Ludwigshafen. Frau Steinruck, der nächste OB heißt Klaus Blettner und kommt von der CDU. Eine gute Wahl?
Jutta Steinruck: Alle Kandidatinnen und Kandidaten wären in der Lage gewesen, Ludwigshafen zu führen, weil man sich auf ein engagiertes, fachkompetentes Team in der Stadtverwaltung verlassen kann. Ich halte Klaus Blettner für geeignet. Er war diese Woche schon zweimal in meinem Büro.
Wieder eine Wahl, die für die SPD verloren gegangen ist. Ihre ehemalige Partei kämpft gerade – überall im Land. Geht die lange Geschichte der Sozialdemokratie nach rund 180 Jahren ihrem Ende entgegen?
Steinruck: Die SPD ist im Bund immer noch die zweitgrößte Fraktion. Vom Ende der Sozialdemokratie zu sprechen, scheint mir übertrieben. Wir merken aktuell bei den Diskussionen ums Bürgergeld, dass eine Partei gebraucht wird, die den Blick auf den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft richtet. Dass Sozialdemokratie aber auch neue Themen besetzen muss, ist aus meiner Sicht ebenso notwendig. Nur bin ich jetzt von außen nicht die beste Ratgeberin. Ich halte die Sozialdemokratie nach wie vor für einen wichtigen Faktor in ganz Europa.
Ihre Beliebtheitswerte gingen – zumindest wenn man die Resonanzen in der Bevölkerung wahrnahm – steil nach oben. Und zwar, nachdem Sie ihren Austritt aus der SPD erklärt hatten. Sie waren dann zweimal in der Talkshow von Markus Lanz. Fühlen Sie sich da wie eine Widerstandskämpferin, oder gar wie der weibliche Boris Palmer?
Steinruck: Boris Palmer und mich unterscheiden viele Dinge. Ich bin aus der SPD nicht ausgetreten, um irgendeine Rebellion anzuführen. Ich wollte ein Signal setzen für die Situation der Stadt Ludwigshafen.
Trotzdem nahm die Beliebtheit gefühlt zu – nach dem Parteiaustritt?
Steinruck: Ich glaube nicht, dass der Parteiaustritt der Grund war, dass meine Beliebtheit zugenommen hat, sondern die Tatsache, dass die Menschen wahrgenommen haben, dass ich für meine Stadt gekämpft habe. Die Menschen haben verstärkt gemerkt, dass ich dabei Schritte gegangen bin, die für mich persönlich auch unangenehm waren.
Unangenehm war auch das, was nach der Entscheidung des Wahlausschusses geschehen ist. Wann waren Sie sich der Folgen bewusst?
Steinruck: Ich habe als Oberbürgermeisterin eine Aufgabe. Das Kommunalwahlgesetz und das Beamtengesetz sind da sehr eindeutig. Ich habe diese Entscheidung auch nicht alleine getroffen. Aber ja, es gab den Moment, da habe ich kommen sehen, dass es komplizierter als in der Vergangenheit ist. Ich habe mich in die Materie, um die es ging, sehr intensiv eingearbeitet. Auch in dieses Remigrationskonzept. Mir wäre lieb, viele Menschen würden sich damit mal befassen.
Der AfD-Bewerber Joachim Paul war ja anschließend mit der Botschaft unterwegs, sein Ausschluss wäre ein Diktat aus der Mainzer SPD-Landesregierung gewesen.
Steinruck: Wer mich kennt, weiß, dass ich mir von niemandem etwas vorschreiben lasse. Wir haben uns schlicht an Regeln gehalten. Ich konnte die Mitglieder des Wahlausschusses ja nicht zwingen, so abzustimmen.
Nach der Entscheidung gab es bei kritischen Beobachtern das Gefühl, dass der Staat nun zwar gerettet, das Volk aber tot war. Das erklärt vielleicht die Wahlbeteiligung.
Steinruck: Wir haben uns an Recht und Gesetz zu halten. Insofern hat nicht Jutta Steinruck entschieden, dass der Herr Paul nicht antreten darf. Es ging um formale Fragen und auch um die Frage, ob Zweifel an der Verfassungstreue eines Kandidaten bestehen.
Die AfD wäre ja auch vertreten gewesen in diesem Wahlausschuss. Warum hat die Partei denn nicht Gebrauch gemacht von ihrem Stimmrecht?
Steinruck: Wir haben die Fraktionen im Rat dazu angeschrieben. Die AfD hat sich innerhalb dieser Frist nicht zurückgemeldet, sondern mehrere Wochen nach Ablauf der Frist.
Ein Mitglied des Wahlausschusses hat mir erzählt, dass die Polizei ihm empfohlen habe, im eigenen Wohnhaus umfangreiche Sicherungsmaßnahmen einzuleiten. Das ist eine neue Dimension in der Lokalpolitik, nicht wahr?
Steinruck: Als das Ergebnis bekannt wurde, sind Drohungen, bis hin zu Morddrohungen, sowohl bei Mitgliedern des Wahlausschusses, als auch in der Verwaltung eingegangen. Die Härte und die Wortwahl hatte ich selbst zu Corona-Zeiten nicht erlebt. Das wirft die Frage auf: Wie gehen wir zukünftig bei Meinungsunterschieden miteinander um. Gerade in den sozialen Netzwerken, wo sich viele Menschen nicht mit Namen zeigen, sondern sich hinter Pseudonymen verstecken.
Wo stehen wir eigentlich in der Demokratiegeschichte, wenn die Leute, die sich zur Wahl stellen, öffentlich verächtlich gemacht werden und mit diesen Bedrohungen umgehen müssen?
Steinruck: Ich glaube, dass sich manch einer überlegen wird, ob er oder sie für ein öffentliches Amt antreten will. Das war ja nicht nur der Vorgang hier in Ludwigshafen. Als es im Bundestag um die Verfassungsrichterin ging, konnte eine Kampagne eine unbescholtene Juristin zum Unmensch machen. Ich mache mir viel Gedanken darüber, wie Politik in Zukunft funktionieren soll.
Politiker und Politikerinnen versprechen im Wahlkampf viel und halten wenig davon.
Steinruck: Politikerinnen und Politiker, die zum ersten Mal für ein Amt kandidieren, erleben aber oft erst, wenn sie im Amt sind, wo die Grenzen sind. Ich finde übrigens, dass wir in Ludwigshafen einen sehr guten inhaltlichen Wahlkampf hinter uns haben.
Wo sind Sie an Grenzen gekommen?
Ich war drei Wochen im Amt - oder eine Woche. ich weiß das gar nicht mehr genau. Da hat man mir erklärt, dass die Hochstraße Süd vielleicht ruinöser sein könnte als die Hochstraße Nord. In den USA bin ich später mal aus dem Flugzeug gestiegen und habe nur Hochstraßen gesehen. Da habe ich gedacht, oh Gott, die kriegen auch noch ihre Freude hier.
Man wird sensibel. Was wollten Sie erreichen in ihrer Amtszeit?
Steinruck: Man muss aufpassen als Politiker, was man verspricht, aber andererseits wollen die Bürgerinnen und Bürger auch sehen, wo Unterschiede sind. Ich bin angetreten und habe zum Beispiel auch gesagt, der Reiz für mich ist die Entwicklung der sogenannten City West. Das war auch die reizvollste Aufgabe meiner Amtszeit. Mir war dabei viel Grünfläche zwischen Friedenspark und Hauptbahnhof ganz wichtig. Als ich ins Amt kam, gab es einen Entwurf, der hätte alles zugebaut.
Eine Kollegin in meiner Redaktion hat mir erzählt, dass sie in Ludwigshafen wohne und abends nicht über den Berliner Platz laufen möchte, weil es ihr zu gefährlich sei.
Steinruck: Das ist schade.
Laufen Sie abends über den Berliner Platz?
Steinruck: Ja. Aber ich kann niemandem sein subjektives Empfinden nehmen. Wir haben für den Berliner Platz ja eine Bebauung vorgesehen, die mögliche Angstträume verschwinden lassen soll.
Solche Angstträume gibt es zum Beispiel weniger in Heidelberg. Hätten Sie mal gerne mit OB Eckart Würzner getauscht?
Steinruck: Ich liebe Ludwigshafen. Ich habe mir nie Gedanken gemacht, ob ich mit ihm tauschen möchte. Ich bin aber übrigens vor vielen, vielen Jahren auch mal gefragt worden, ob ich mir vorstellen könnte, als OB in Heidelberg zu kandidieren.
BASF und Ludwigshafen – wenn man diese Stadt liebt, muss man ja die BASF irgendwie auch lieben. Bei Lanz haben Sie aber kürzlich gesagt, dass die BASF ihnen gar nichts bringt. Wie war das gemeint?
Steinruck: Wo ein großes Unternehmen ist, muss eine Stadt auch im Umfeld sehr viel investieren. Die BASF ist ein Unternehmen, das sich im Rahmen der gegebenen gesetzlichen Steuerregelungen verhält. Ich bin froh, dass sie hier am Standort viel investiert. Die BASF will CO₂-neutral werden – was der Stadt hilft. Diese Investitionen sind wichtig und ein Bekenntnis zum Standort. Solange die BASF in Ludwigshafen ist, gibt es für die Stadt, aber auch für die Region Arbeitsplätze.
Also bringt uns die BASF doch was?
Steinruck: Ja, vielleicht habe ich an den Gegensatz zu früher gedacht. Da hat die BASF sehr viel Steuereinnahmen in die Stadt geschwemmt. Das ist heute deutlich anders. Ludwigshafen war mal eine richtig reiche Stadt. Und es ist nicht so, dass wir über unsere Verhältnisse gelebt haben, sondern es ist so, dass veränderte Rahmenbedingungen die Einnahmen der Stadt über die Jahrzehnte haben schrumpfen lassen. Das sieht man jetzt im Stadtbild.
Amtszeit endet
- Seit dem 1. Januar 2018 war Jutta Steinruck (63) Oberbürgermeisterin in Ludwigshafen. Am 31. Dezember verlässt sie den Posten nach einer Legislaturperiode. Auf eine erneute Kandidatur hatte sie verzichtet.
- Es wird keine große Feier zum Abschied geben. Es soll „unprätentiös“ sein, sagt sie.
- Die Diplom-Betriebswirtin (BA) hat keine konkreten Pläne für die Zukunft. Steinruck ist geschieden und hat einen erwachsenen Sohn.
Was passiert denn jetzt mit Ihnen?
Steinruck: Ich habe keine Ahnung. Ich gehe jetzt erst mal am 31. Dezember. Das ist mein letzter Arbeitstag. Und dann werde ich mir Gedanken machen, wie es mit mir weitergeht.
Landespolitik?
Steinruck: Ich werde immer wieder auf solche Gerüchte angesprochen, aber da ist nichts dran.
Treten Sie wieder in die SPD ein?
Steinruck: Ich bin in sehr gutem Austausch mit Ministerpräsident Alexander Schweitzer. Aber wir hatten auch vereinbart, dass wir zunächst inhaltlich für die Stadt arbeiten. Ich erlebe in ihm jemanden, der verstanden hat, was mich bewegt hat, aus der SPD auch auszutreten. Wir reden auch über die besondere Situation der Stadt Ludwigshafen. Alexander Schweitzer versteht nicht nur, sondern er versucht, weitergehende Schritte einzuleiten. Ich habe in ihm einen Mitstreiter gefunden.
Also Wiedereintritt?
Steinruck: Ich werde in diesem Jahr keine Entscheidung treffen. Aber: Die Überlegungen darüber gibt es.
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