Ludwigshafen. Die Entlassung des mutmaßlichen Vergewaltigers und Mörders der 17-jährigen Zoe aus Frankenthal ist nicht nur für die Eltern des Opfers ein Schock. Auch in den Sozialen Netzwerken herrschen Fassungslosigkeit und Wut vor. Dass sich der 19-jährige Ludwigshafener trotz des Urteils von Anfang August jetzt auf freiem Fuß befindet, ist nur schwer vermittelbar. Unweigerlich drängen sich Fragen auf. Was ist falsch gelaufen? Wer ist dafür verantwortlich, dass es so weit kommen konnte?
Das Landgericht Frankenthal gibt am Freitag, einen Tag nachdem das Oberlandesgericht Zweibrücken den Haftbefehl gegen den 19-Jährigen wegen mangelnder Termindichte im Hauptverfahren aufgehoben hat, eine umfassende Erklärung ab. „Nach Auskunft des hier zuständigen Vorsitzenden war die Kammer in diesem wie auch in allen anderen Verfahren bemüht, möglichst vielen Beteiligten die Teilnahme an den Hauptverhandlungstagen zu ermöglichen. Die Termine wurden daher mit allen Beteiligten im Vorfeld einvernehmlich abgesprochen, auch mit dem terminlich sehr stark ausgelasteten Hauptverteidiger“, teilt eine Sprecherin auf Anfrage dieser Redaktion mit.
Weiter erklärt sie, dass im vorliegenden Verfahren „ein umfangreicher Prozessstoff zugrunde lag und die Beweisaufnahme zur Aufklärung der Taten sehr aufwendig war“. Die Termine vieler Beteiligter hätten unter einen Hut gebracht werden müssen. „Hinzu kamen während des Prozesses mehrere Krankheitsfälle, unter anderem Corona-Erkrankungen, von Prozessbeteiligten, die dazu geführt haben, dass das Verfahren über Wochen nicht weiter betrieben werden konnte.“ Für das Oberlandesgericht war dies jedoch keine ausreichende Begründung für die großen Verzögerungen.
Rüge schon während Verfahren
Personalengpässe oder außergewöhnliche Belastungen der Kammer hätten laut Gerichtssprecherin nicht vorgelegen. Während des laufenden Verfahrens sei eine Verzögerung seitens der Verteidigung auch nicht gerügt worden. „Die Beschwerde gegen die Anordnung der Haftfortdauer ist erst nach dem Urteil der Kammer eingelegt worden“, so die Stellungnahme.
Auch Rechtsanwalt Alexander Klein, der den Angeklagten vertritt, äußert sich am Freitag nochmals ausführlich. Er kritisiert, dass bei den Terminvereinbarungen insbesondere auch auf die drei Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen Rücksicht genommen wurde, die durch die Nebenklägerinnen beauftragt worden waren. „Deren Teilnahme an der Hauptverhandlung ist jedoch im Gegensatz zu der Verteidigung gesetzlich nicht vorgeschrieben, so dass die Rücksichtnahme nicht notwendig war“, betont er. Klein habe wiederholt widersprochen, als Termine wegen einer Verhinderung eines Nebenklagevertreters nicht zustande gekommen seien. „Es trifft also nicht zu, dass die Terminierung von der Verteidigung nicht während der Verhandlung gerügt worden wäre.“
Darüber hinaus seien von der Kammer ohnehin zu wenige Hauptverhandlungstermine angeboten worden. An 20 Terminen sei zudem weniger als zwei Stunden verhandelt worden, obwohl alle Verfahrensbeteiligten an den Tagen länger zur Verfügung standen. „Nach alledem kann der vom Senat festgestellte Verstoß gegen das Beschleunigungsprinzip am allerwenigsten der Verteidigung angelastet werden, sondern allein einer wenig vorausschauenden und unzureichenden Terminierung des Vorsitzenden“, so Klein.
Die Haftbeschwerde habe Klein indes erst nach Urteilsfällung eingelegt, da ihm die Sicherheit seines Mandanten auf den Wegen zu den Gerichtsterminen im Falle einer Freilassung während der laufenden Hauptverhandlung nicht ausreichend gewährleistet erschien.
„Mögliche Gefahren abwenden“
Nun ist der 19-Jährige dennoch auf freiem Fuß. Da der Haftbefehl aufgehoben und nicht nur außer Vollzug gesetzt wurde, gibt es keinerlei Auflagen, wie eine Sprecherin des Oberlandesgerichts auf Nachfrage bestätigt. Der Angeklagte kann sich also frei bewegen und theoretisch auch ins Ausland reisen. „Es gibt keine Anhaltspunkte, dass er das für eine Flucht nutzen könnte“, sagt Klein. Der 19-Jährige verfüge gar nicht über die nötigen Mittel dafür.
In Absprache mit der Staatsanwaltschaft ergreift das Polizeipräsidium unterdessen Maßnahmen, um „mögliche Gefahren für Beteiligte und Unbeteiligte“ abzuwenden, wie eine Sprecherin auf Anfrage sagt. „Wir wurden frühzeitig über die Haftentlassung informiert und konnten uns entsprechend vorbereiten“, sagt sie. Konkretere Angaben zu den Schutzmaßnahmen macht sie nicht. Auch der Leitende Oberstaatsanwalt in Frankenthal, Hubert Ströber, hält sich mit Aussagen zurück. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts kommentiert er nicht. „Wir haben alles dafür getan, um ein derartiges Ergebnis zu verhindern“, betont er aber – ohne Erfolg. „Rechtsmittel gibt es nun keine mehr.“ Die polizeilichen Maßnahmen müssten nun sicherstellen, dass die Situation nicht eskaliert und weitere Straftaten verhindert werden.
Wie die Staatsanwalt in Sachen Revision weiter vorgehen wird, ist noch offen. „Wir prüfen sorgfältig, was wir tun werden“, so Ströber. Die Verurteilung zu zehn Jahren Jugendstrafe wegen Mordes und Vergewaltigung gegen den 19-Jährigen ist nämlich noch nicht rechtskräftig, weil sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung Revision eingelegt hatten. Ziehen beide Seiten zurück, müsste der Angeklagte seine Haftstrafe schneller antreten.
Nicht der erste Fall
Beim Landgericht Frankenthal sollen die kritischen Ausführungen des Oberlandesgerichts nun „sorgfältig analysiert“ werden, wie die Sprecherin sagt. Künftige Verfahrensweisen sollen daran ausgerichtet werden. „Es muss alles daran gesetzt werden, derartige Fälle in Zukunft zu vermeiden“, betont sie.
Der erste Fall ist es indes nicht. Auch der Angeklagte im Frankenthaler Babymord-Prozess wurde Anfang 2019 wegen massiver Verzögerungen noch während der Hauptverhandlung aus der Untersuchungshaft entlassen. Der Verteidiger auch damals: Alexander Klein.
Auch in der Landespolitik ist die Haftentlassung des 19-Jährigen inzwischen angekommen. Die CDU-Fraktion will den Fall im Rechtsausschuss thematisieren. "Der zuständige Justizminister muss erklären, wie es zu dieser Verzögerung kommen konnte und insbesondere, ob mangelhafte Personalausstattung des Gerichts dafür ursächlich ist", so Anette Moesta, Rechtspolitikern in der CDU-Landtagsfraktion. Die Freilassung sei nicht akzeptabel und unerträglich für Opfer, Angehörige und jeden Menschen mit gesundem Rechtsempfinden.
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