Justiz

Fall Zoe: Haftentlassung des mutmaßlichen Mörders aus Ludwigshafen beschäftigt Landtag

Am 11. November will der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin die Geschehnisse der vergangenen Woche im Rechtsausschuss thematisieren. Allerdings hat das Ministerium keine Handhabe in der Sache

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Agnes Polewka
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Justizminister Herbert Mertin hat angekündigt, die Haftentlassung im nächsten Rechtsausschuss des Landtags (Bild) zu thematisieren. © dpa/Sebastian Gollnow

Mainz. Nach der Haftentlassung eines 19 Jahre alten verurteilten Mörders und Vergewaltigers aus Ludwigshafen soll das Thema nun auch im Landtag aufgearbeitet werden. Ein Sprecher des rheinland-pfälzischen Justizministeriums erklärte im Gespräch mit dieser Redaktion, Justizminister Herbert Mertin (FDP) werde im nächsten Rechtsausschuss am 11. November über den Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Zweibrücken berichten.

Dieser hatte in der vergangenen Woche für Fassungslosigkeit gesorgt. Er verfügte, dass der 19 Jahre alte Lukas V. aus der Untersuchungshaft entlassen wurde - knapp zwei Monate, nachdem das Frankenthaler Landgericht ihn zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt hat - wegen Mordes, Vergewaltigung mit Todesfolge und sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen. Sein Opfer: die 17 Jahre alte Zoe aus Frankenthal, die V. am Willersinnweiher in Ludwigshafen vergewaltigt und gewürgt haben soll. Zoe erlag ihren schweren Verletzungen.

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18 Fälle im Land seit 2018

Grund für V.s Haftentlassung war ein Verstoß gegen den sogenannten „Beschleunigungsgrundsatz“: Das Verfahren zog sich hin, rund zwei Jahre lang wurde verhandelt. Seit März 2020 saß V. in Untersuchungshaft - ungewöhnlich lange. Dagegen hatte sein Verteidiger Alexander Klein nach dem Urteil Haftbeschwerde eingelegt. Mit Erfolg. „Das war die längste Untersuchungshaft, die es in der Jugendstrafanstalt Schifferstadt jemals gab“, sagte Klein nach der Entscheidung.

Schon im Januar 2019 hatte der Rechtsanwalt im sogenannten Frankenthaler Babymord-Prozess eine Haftentlassung für seinen Mandanten erwirkt. Während des laufenden Verfahrens kam der Mann, dem vorgeworfen wurde, seine kleine Tochter Senna vom Balkon aus in den Tod geworfen zu haben, frei. Zu diesem Zeitpunkt saß er bereits über zweieinhalb Jahre lang in U-Haft. Vier Monate später wurde er wegen Mordes zu 15 Jahren Haft verurteilt.

Insgesamt kam es in Rheinland-Pfalz laut Justizministerium seit 2018 zu 18 Haftentlassungen aus der U-Haft aufgrund von Verfahrensverzögerungen - einschließlich des aktuellen Falls. Davon seien fünf Entlassungen auf den Landgerichtsbezirk Frankenthal entfallen. „Die Ursachen für die Haftentlassungen sind vielfältig“, so der Sprecher des Ministeriums. Und im aktuellen Fall auch strittig: Das Landgericht Frankenthal hat einen Tag nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts in Zweibrücken eine umfassende Erklärung abgegeben. „Nach Auskunft des hier zuständigen Vorsitzenden war die Kammer in diesem wie auch in allen anderen Verfahren bemüht, möglichst vielen Beteiligten die Teilnahme an den Hauptverhandlungstagen zu ermöglichen. Die Termine wurden daher mit allen Beteiligten im Vorfeld einvernehmlich abgesprochen, auch mit dem terminlich sehr stark ausgelasteten Hauptverteidiger“, teilte eine Sprecherin auf Anfrage dieser Redaktion mit. Personalengpässe oder außergewöhnliche Belastungen der Kammer hätten nicht vorgelegen. Dem widersprach Verteidiger Alexander Klein in einer eigenen Stellungnahme massiv: Er kritisierte, dass bei den Terminvereinbarungen insbesondere auch auf die drei Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen Rücksicht genommen wurde, die durch die Nebenklägerinnen beauftragt worden seien. „Deren Teilnahme an der Hauptverhandlung ist jedoch im Gegensatz zu der Verteidigung gesetzlich nicht vorgeschrieben“, so Klein. Außerdem würde das Landgericht Frankenthal die Staatsanwaltschaft nicht dazu anhalten, Haftsachen, die bereits in Bearbeitung seien, rechtzeitig anzukündigen - entgegen der Gepflogenheiten anderer Gerichte. So bleibt vorerst offen, wer die Hauptverantwortung für die Länge des Verfahrens trägt, die dafür gesorgt hat, dass Lukas V. auf freiem Fuß kommt. Die Haftstrafe kann erst vollstreckt werden, wenn das Urteil rechtskräftig ist. Da Staatsanwaltschaft und Verteidigung Revision eingelegt haben, sehen die nächsten Schritte nun vor, dass beide die Urteilsbegründung einsehen.

Ministerium hat keine Handhabe

Diese wird aber voraussichtlich erst Ende November vorliegen. Staatsanwaltschaft und Verteidigung haben dann einen Monat lang Zeit, um ihre Revision zu begründen, die daraufhin an den Bundesgerichtshof wandert, der entscheiden muss, ob das Urteil Bestand hat. Sollte der BGH das Urteil kippen, muss das Verfahren komplett neu aufgerollt werden. Bis es zu einer Entscheidung kommt, muss V. nicht zurück in Haft. Diese dürfte frühestens im März 2023 fallen, falls Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Revision nicht zurückziehen.

Am Landgericht Frankenthal will man den Fall aufarbeiten. „Es muss alles daran gesetzt werden, derartige Fälle in Zukunft zu vermeiden“, so eine Sprecherin. Denn auch wenn Justizminister Mertin den Fall im Rechtsausschuss thematisieren will, so hat das Ministerium eigentlich keine Handhabe. „Auf die Anzahl und Dauer von Gerichtsverhandlungen kann und wird das Ministerium aufgrund der Unabhängigkeit der Gerichte und der richterlichen Unabhängigkeit keinen Einfluss nehmen“, so der Ministeriumssprecher. Denn: Die Unabhängigkeit der Justiz gehört zu den tragenden Säulen des deutschen Rechtsstaats.

Redaktion

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