Ludwigshafen. Würden Menschen in Afghanistan, in Syrien, in der Türkei oder in der Ukraine ihre meist beschwerliche Flucht auch antreten, wenn man ihnen vor ihrem Aufbruch Aufnahmen von Hochbetten und Absperrgittern zeigen würde, die in einem früheren Einkaufszentrum in der Ludwigshafener Walzmühle ihr zukünftiges Nachtlager abbilden? „Besser als Krieg und Angst“, würden die einen vielleicht sagen. Andere hingegen schlagen hart auf dem Boden der Realität im winterlichen Deutschland auf - keine blühenden Landschaften.
Walzmühle in Ludwigshafen: Erste Flüchtlinge ziehen ein
Beantwortet werden könnte die eingangs gestellte Frage theoretisch ab kommenden Dienstag von echten Menschen. Dann sollen die ersten rund 25 Flüchtlinge da einziehen, wo bis vor einigen Jahren auf 8000 Quadratmetern ein Real-Markt vom Kindermüsli bis zum Korkenzieher ungefähr alles angeboten hat, was die Konsumgesellschaft an ganz normalen Tagen so braucht.
In jeder Woche bis Ende April - so ist es prognostiziert - soll die Zahl der Bewohner dann um 25 steigen. Ludwigshafen erfüllt damit seine Pflicht, denn das Land Rheinland-Pfalz weist den Kommunen die Asylbewerber nach dem Königsteiner Schlüssel zu. Nur ein Bruchteil der Ankommenden wird tatsächlich eine Bleibeperspektive haben, aber darauf hoffen, irgendwie geduldet zu werden.
Trostlos sieht das aus, diese mit Metallständern umbauten Pseudoräume mit den schwarzen Sichtschutzfolien, die einen kleinen Rest Privatsphäre vortäuschen sollen. Dutzende dieser Zellen summieren sich in den kommenden Monaten zu einer Unterkunft für Menschen, die von Krieg und Flucht gezeichnet sind.
Walzmühle in Ludwigshafen: 392 Betten für Flüchtlinge
Andere kommen einfach, weil sie sich in Deutschland eine bessere wirtschaftliche Situation versprechen. Ob ihr Anspruch auf Asyl gerechtfertigt ist, ist Teil eines oft langwierigen Verfahrens. Pragmatisch wurden von der Yorckstraße aus Container mit Duschen und Kochstellen ins Gebäude gehievt, das weitgehend ohne Tageslicht auskommen muss.
392 Betten gibt es im Untergeschoss. Im Stock darüber, der per stillgelegter Rolltreppe erreichbar ist, steht neben den genannten Containern Raum für Bewegungsspiele zur Verfügung. Wenn Ende April schließlich alle Betten belegt sind, soll es sukzessive wieder rückwärts gehen.
Beate Steeg: "Keine goldenen Wasserhähne"
Ab Mai bis Ende August will die Stadt 100 Flüchtlinge pro Woche auf andere Einrichtungen in Ludwigshafen verteilt haben. Denn dann sollen die Pläne des Gebäudeeigentümers zum Tragen kommen, die Walzmühle zu einem Fachmarkt- und Nahversorgungszentrum umzurüsten. „Die Planungen laufen parallel“, sagt Baudezernent Alexander Thewalt am Freitag bei dem Rundgang durch die beheizten Hallen.
„Hier wurden keine goldenen Wasserhähne verbaut.“ Die Ludwigshafener Sozialdezernentin Beate Steeg (SPD) spricht den Satz etwas ironisch aus. Wissend, dass es Gegner gibt; Anlieger und Nachbarn, die nicht wollen, dass in ihrer Nähe womöglich traumatisierte Menschen aus fremden Kulturkreisen leben.
Chronik
- Vor zwei Monaten erst kündigte OB Jutta Steinruck an, dass die Walzmühle zur Notunterkunft für Flüchtlinge werden soll.
- Eigentlich ist geplant, aus der Walzmühle ein Fachmarktzentrum zu machen. Diese Pläne werden nun parallel umgesetzt. Die Flüchtlinge sollen nur bis September im Gebäude bleiben.
- Im Dezember musste ein Bürgerdialog her, weil Anlieger Angst haben, dass von der Notunterkunft Gefahr ausgehen könne, wenn Migranten den Ort bevölkern.
- Am Dienstag sollen die ersten 25 Ankömmlinge einziehen. Ihre Zahl wird bis Ende April voraussichtlich auf 400 steigen.
- Danach soll die Zahl jeden Monat um 100 sinken.
Sie befürchten, dass junge Migranten ihre Kinder auf dem Schulweg ansprechen könnten oder zu einer Vermüllung der Umgebung beitragen. Explizit wurden diese Dinge geäußert, als Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck (SPD) im Dezember die Pläne für die Walzmühle anlässlich eines Bürgerforums präsentierte. Gleichzeitig weist die Stadt am Freitag darauf hin, dass sie bisher im Umfeld von Unterkünften eben keine Erfahrungen mit höherer Kriminalität unter Flüchtlingen selbst oder gegenüber der Stadtgesellschaft gemacht habe.
Kosten für Unterbringung in der Walzmühle Ludwigshafen: sechs Millionen Euro
Die Kosten für die Bereitstellung und den Betrieb des Übergangsflüchtlingsheims benennt Steeg am Freitag ebenfalls. In der Hoffnung, dass der Bund die sechs Millionen Euro an Investitionen (davon 2,6 Millionen allein für die Vorkehrungen in der Walzmühle) für das Haushaltsjahr 2024 begleicht. Bis September gilt der Mietvertrag in der Walzmühle, wo in den kommenden drei Monaten jeden Tag acht Security-Mitarbeiter damit beschäftigt sein werden, für eine gewisse Struktur im Haus zu sorgen.
Es gibt Kontrollen am Eingang, um sicherzustellen, dass sich nur Berechtigte im Gebäude aufhalten. Innen sollen Rücksicht genommen werden. Bei der Zuweisung der Boxen soll auf Geschlechter, Familien und Paare Rücksicht genommen werden, sagt Steeg. Auf eine Ausstattung mit W-Lan, wie man das beispielsweise in der Zeltstadt in Bensheim praktiziert hat, hat man in Ludwigshafen verzichtet.
Im besten Falle gelingt es der Stadt, die für die Flüchtlinge bleierne Zeit sinnvoll mit Sprachvermittlung zu füllen. Zumindest kündigt Beate Steeg das an. Mit Sportvereinen stehe die Stadt ebenfalls im Austausch, um hier erste Integrationsangebote zu machen. Vielleicht ist die Walzmühle einfach nur ein Startpunkt.URL dieses Artikels:
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