Wochenlang untergetaucht - Rückführung aus Ludwigshafen hat bei Flüchtlingshelfern viel Frust hinterlassen / 17-Jähriger freiwillig ausgereist

Familie aus Ludwigshafen abgeschoben - warum nun auch der Sohn zurück in Armenien ist

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Julian Eistetter
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Im Frühjahr 2021 demonstrierten unter anderem Schüler gegen die Abschiebung der Familie S. nach Armenien. © Thomas Tröster

Ludwigshafen. Die Familie S. ist bestens in Ludwigshafen integriert. Seit vier Jahren lebt die jesidische Flüchtlingsfamilie aus Armenien in der Chemiestadt. Das jüngste der drei Kinder kennt fast nur das Leben hier in Deutschland. Die älteren Brüder des Mädchens besuchen die Schule und knüpfen Freundschaften. Doch der Asylantrag der Familie wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt, die Eltern und ihre drei Kinder sind ausreisepflichtig. Und so klopfen an einem Abend im März Ausländerbehörde und Polizei an der Tür, um die Abschiebung zu vollziehen. Der älteste Sohn, Thar, damals 16 Jahre alt, flüchtet bei der Aktion und taucht unter. Seine Eltern und Geschwister werden dadurch von ihm getrennt und nach Armenien gebracht.

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Die Geschichte der jesidischen Familie hat im vergangenen Jahr in Ludwigshafen hohe Wellen geschlagen. Aktivisten kritisierten das Vorgehen der Stadt und organisierten eine Demonstration auf dem Rathausplatz. Mit Hilfe eines Rechtsanwalts sollte die Familie nach Ludwigshafen zurückgeholt werden. Doch alle Bemühungen blieben erfolglos. Das Verwaltungsgericht Neustadt erklärte die Abschiebung für rechtmäßig, ein Anspruch auf Rückkehr bestehe nicht.

Mehrere Wochen vermisst

Nachdem der älteste Sohn Thar im Frühjahr 2021 nach der Abschiebung seiner Familie mehrere Wochen als vermisst galt und von der Polizei mit einer Öffentlichkeitsfahndung gesucht wurde, tauchte er im Mai plötzlich wieder auf. Das Jugendamt nahm ihn in seine Obhut. Ehrenamtliche forderten, von einer Abschiebung abzusehen und den Jugendlichen in seinen Strukturen zu lassen, zumal auch seine Großeltern noch in Ludwigshafen lebten. Doch jetzt ist auch Thar wieder zurück in Armenien, wie Dolly El-Ghandour im Gespräch mit dieser Redaktion berichtet. Die Ludwigshafener Aktivistin und SPD-Politikerin hat sich für die Familie S. eingesetzt und für deren Verbleib gekämpft. Jetzt ist sie zutiefst frustriert.

Die Familie S. nach ihrer Abschiebung in das Heimatland Armenien. © Familie S.

Viel Kraft und Energie investiert

„Thar ist schon vor ein paar Wochen freiwillig nach Armenien zurückgereist“, sagt El-Ghandour mit einem bitteren Unterton. Sie selbst sei aus dem ganzen Verfahren „hinausgedrängt“ worden und habe keinen Einfluss mehr nehmen können, berichtet sie. Dem heute 17-Jährigen sei Geld für die freiwillige Ausreise angeboten worden, die Aktivistin vermutet, dass Druck ausgeübt wurde. Dennoch ist für sie das Kapitel nun abgeschlossen. „Ich hing emotional sehr daran, habe viel Kraft und Energie hineingesteckt und sehr gekämpft“, sagt die Ludwigshafenerin. Mehr könne sie nun einfach nicht mehr investieren, ohne selbst zu große innerliche Narben davonzutragen. Sie habe noch ein oder zweimal Kontakt mit Thar gehabt, seit er wieder in Armenien ist. „Ja, es geht mir gut“, habe er knapp auf ihre Frage nach seinem Befinden geantwortet. Mit dem Geld für die Ausreise könne sich die Familie in Armenien zumindest eine Bleibe leisten.

Hintergrund

  • Die Familie S. war im Juni 2017 nach Deutschland eingereist. Den Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 25. Juli 2017 ab.
  • Eine Klage vor dem Verwaltungsgericht Trier scheiterte, im Jahr 2020 bestätigte das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz die ablehnende Entscheidung.
  • Am 30. März wurde die Familie aus Ludwigshafen nach Armenien abgeschoben – ohne den ältesten Sohn.

Auch Marianne Speck von der Initiative „Respekt: Menschen!“ ist alles andere als glücklich darüber, wie der Fall Thar abgelaufen ist. „Der Junge hätte hier zumindest noch bis zu seinem 18. Lebensjahr als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling bleiben und seinen Schulabschluss machen können“, sagt sie im Gespräch mit dieser Redaktion. Auch die langjährige Flüchtlingshelferin hat in der Vergangenheit schon erlebt, wie Ehrenamtliche bei solchen Verfahren ausgeschlossen worden seien. Sie glaubt, dass eine massive Beeinflussung des Jungen stattgefunden habe und dass ihm mit Abschiebung gedroht worden sei, wenn er nicht freiwillig ausreise.

„Das ist insgesamt nicht gut abgelaufen und das Wohl des Jungen stand nicht im Vordergrund“, betont Speck, die mit ihrer Initiative die Anwaltskosten für die Familie S. übernommen hat. Ein Gesprächsangebot sei seitens der Verwaltung bislang unbeantwortet geblieben.

Auf eine Anfrage zu Hintergründen und Ablauf der Ausreise des 17-jährigen Thar teilt die Stadt mit, dass sie sich nicht zu Details eines Einzelfalls äußern kann. Allerdings weist ein Sprecher darauf hin, dass es dem Jugendamt nicht zukomme, aufenthaltssichernde oder -beendende Maßnahmen durchzuführen. „Der für Thar durch das Familiengericht bestellte Amtsvormund des Jugendamtes übt seine Aufgabe kraft des Gesetzes weisungsfrei aus. Er hat grundsätzlich ausschließlich im Interesse seines Mündels zu agieren“, betont er. Dabei habe der Vormund aber „selbstverständlich auch geltendes Recht zu beachten“. Im vorliegenden Fall also den abgelehnten Asylantrag, der auch für Thar galt.

Förderprogramm des Bundes

Daneben weist der Sprecher darauf hin, dass es „nicht Aufgabe der Jugendämter“ sei, „finanzielle Mittel für eine freiwillige Ausreise zur Verfügung zu stellen“. Medienberichte hätten den Eindruck erweckt, als sei dies in diesem Fall geschehen. „Dem ist aber nicht so“, betont der Sprecher. Finanzielle Anreize erhalten freiwillig aus Deutschland Ausreisende durch ein Förderprogramm des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im Auftrag des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat gemeinsam mit den Bundesländern. Umgesetzt wird es durch die Internationale Organisation für Migration. Geflüchtete erhalten dabei bis zu 200 Euro für die Reise und bis zu 1000 Euro Starthilfe in ihrem Heimatland.

Redaktion Reporter Region, Teamleiter Neckar-Bergstraße und Ausbildungsredakteur

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