Ludwigshafen. Als Sebastian Werst im Jahr 1919 einen kleinen Friseurladen in Oggersheim übernimmt, da kann noch keiner ahnen, dass sich daraus einmal ein Spielwarengeschäft mit weltweiter Reputation entwickeln wird. Heute ist „Werst“ nicht nur Ludwigshafenern als Spezialist für Modelleisenbahnen und Modellautos ein Begriff, die Kunden kommen auch aus Japan, den USA oder Südamerika. „Wir sind weltweit bekannt“, sagt der Mann, der in erster Linie dafür verantwortlich ist. Bernhard Werst, knallrotes Polo-Shirt, Jeans, graues Haar, steht im hintersten Raum seines Ladens in der Schillerstraße. Neben ihm türmen sich Kartons mit Spielzeugautos, Flugzeugen oder Raumschiffen auf. In einer Vitrinen-Wand sind einige der größten Schätze ausgestellt: Dampfloks, Güterwagen und Zugabteile im Maßstab 1:32, Objekte für Sammler und Liebhaber, wie auch Werst selbst einer ist.
„Entscheidung unfassbar schwer gefallen“
Der Enkel von Sebastian Werst betreibt den Spielwarenhandel in der dritten Generation, seit mehr als 100 Jahren ist das Geschäft in Familienhand. Weitere werden nicht hinzukommen. Der 61-Jährige hat sich entschieden, sein Lebenswerk in neue Hände zu legen. Werst hört auf - ein großer Einschnitt für ihn selbst und für ganz Oggersheim. Am 6. Januar schließen sich in der Schillerstraße 3 letztmals die Türen.
Leicht hat sich der in Oggersheim verwurzelte Unternehmer diese Entscheidung nicht gemacht. „Es ist mir unfassbar schwer gefallen“, sagt er. „Ich habe den schönsten Job der Welt, und ich habe ihn mit Liebe und Leidenschaft gemacht.“ Doch die 70 bis 80 Stunden Arbeit in der Woche zehren an ihm. Sein Vater, der den Laden vor ihm geleitet hat, sei früh gestorben. „Als dann in der Corona-Pandemie ein Verwandter gestorben ist, hat mich meine Frau gefragt, was sie denn eigentlich machen würde, wenn ich sterben sollte“, berichtet Werst. Der Gedanke, dass seine Frau mit dem Laden, zehn Mitarbeitern und den riesigen Warenbeständen zurückbleibe, habe ihn ins Grübeln gebracht. Denn auch der gemeinsame Sohn habe sich anders orientiert und werde den Laden nicht übernehmen. Und so reifte der Beschluss, aufzuhören, solange er noch bei guter Gesundheit ist.
Die Geschichte von „Spielwaren Werst“ beginnt im Jahr 1919. Der Großvater übernimmt als Meister einen Friseurladen am Schillerplatz. Der Kampf ums Dasein ist zunächst hart, Werst bedient anfangs Kunden auch noch mit dem Fahrrad in deren Zuhause. Um sich etwas dazuzuverdienen, verkauft er Versicherungen, Tabakwaren, Parfüm und Kondome. Aus den langen Haaren der weiblichen Kundschaft fertigt der Salon bald Damenperücken - oder Puppenperücken, die für die Spielzeuge der Mannheimer Schildkrötfabrik genutzt werden. Im Gegenzug bezieht Werst Puppen und Celluloid-Spielwaren aus Neckarau. 1921 wird bei Werst erstmals auch mit dem Verkauf von Spielwaren geworben.
Eine mutige Entscheidung
Nach dem Zweiten Weltkrieg zieht die Familie Werst in ein größeres Gebäude. Friseursalon und Spielwarenabteilung nehmen hier nun schon ähnlich viel Raum ein. Irgendwann übernimmt Bernhard Wersts Vater, Sebastian junior, den Betrieb, auch er Friseurmeister. Nach dessen Tod 1990 ist dann die nächste Generation an der Reihe: Bernhard Werst, der schon im Kindesalter eifrig im Laden geholfen und verkauft hat, leitet nun die Geschicke von „Spielwaren Werst“.
2003 trifft er eine mutige Entscheidung. Er schließt den Friseursalon und kauft die ehemalige VR-Bank, in der sich der Spielzeugladen heute noch befindet. „Ich wollte mich mehr auf Modelleisenbahnen und -autos spezialisieren“, sagt er. Bereits 2000 hatte er einen Webshop eröffnet, der sofort sehr gut funktionierte. Die Anfangszeit sei zwar hart gewesen, für die neue Immobilie habe er sich strecken müssen. „Ich habe die Entscheidung aber nie bereut. Heute kann ich sagen, dass ich alles richtig gemacht habe.“
Gigantische Menge unterschiedlicher Artikel
Mit 600 Quadratmetern Verkaufsfläche entwickelt sich „Spielwaren Werst“ zu einer angesehenen Adresse bei Sammlern. 15 Mitarbeiter sind in der Hochphase in dem Laden beschäftigt. Das Sortiment ist gigantisch. „Wir haben 160 000 unterschiedliche Artikel vorrätig“, sagt er. Die meisten davon sind Modelleisenbahnen und Zubehör sowie Modellautos. Anderes Spielzeug hat Werst im Laufe der Jahre mehr und mehr aufgegeben, die Konkurrenz durch den Online-Handel und Anbieter wie Amazon und eBay sei einfach zu groß geworden.
In Wersts Laden geht es familiär zu. Viele Kunden begrüßt er mit Vornamen. „Viele kennt man seit Jahrzehnten“, berichtet der 61-Jährige. Man begegne sich mit viel Respekt. Als er vor einigen Tagen bei Facebook über seinen Ausstieg informiert habe, da seien zahlreiche Reaktionen gekommen. „Das war sehr rührend. Ich muss offen sagen, da habe ich Rotz und Wasser geheult.“
Nachfolger stehen fest
Übernehmen werden den Laden Sven Heine und Markus Andrae. Durch Zufall habe Werst erfahren, dass die beiden ein gemeinsames Projekt planen. Heine ist Inhaber des Geschäfts Moba-Tech e.K. in Deidesheim und seit früher Jugend Modelleisenbahn-Fan. Andrae hat zwei Hörakustik-Geschäfte in Mannheim und Ketsch, auch er sei Modelleisenbahn-begeistert. Ihnen kann Werst sein Lebenswerk guten Gewissens übergeben, wie er sagt. Bei der Auswahl der Nachfolger habe er aber natürlich ganz genau hingeschaut. Der Fokus soll künftig auf Modelleisenbahnen, dazugehörigen Autos und Zubehör liegen. Größere Modellautos wird es im Sortiment nicht mehr geben. „Ansonsten wird sich für die Kunden aber nicht viel ändern“, verspricht Werst. Auch einige der aktuell noch zehn Mitarbeiter sollen übernommen werden. Ein paar gehen in Rente.
Wenn man Bernhard Werst fragt, dann haben Modellbahn-Geschäfte auch in der heutigen Zeit noch eine Zukunft. „So lange da draußen ein ICE durch die Gegend fährt, wird es immer ein Modell davon geben. Und die Kinder drücken sich die Nase am Schaufenster platt“, sagt er. „Eine kleine, heile Welt im Modell darzustellen - das wird es immer geben. Für viele bedeutet das eine Flucht aus der Realität, sie können abschalten. Das ist ein Stück Lebensqualität. Das spüren wir hier jeden Tag.“
Die aktuellen Räume in der Schillerstraße wird Werst verkaufen. Der neue Laden soll in halber Größe in der Froschlache eröffnen. In einem ehemaligen Friseursalon.
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