Wer mal mitgezählt hat, wie oft Politiker - egal ob Oberbürgermeister oder Bundestagsabgeordneter - über das Thema Bildung sprechen, bevor sie gewählt werden, der weiß, was jetzt kommt. Wahrscheinlich ist es sogar so, dass „Kita“ und „Schule“ zu den meist verwendeten Begriffen in Wahlkämpfen gehören, weil insbesondere Familien davon direkt betroffen sind. Dem diametral gegenüber steht, was nach Wahlen passiert: Das Thema „Bildung“ schafft es im Wettkampf mit anderen drängenden Sujets meist nicht, die Aufmerksamkeitsschwelle zu überwinden. Das gilt in gewissem Maße auch für die Massenmedien. Da brauchte es etwa im Frühjahr 2006 erst einen Katastrophenfall wie die Rütli-Schule in Berlin-Neukölln. Als der Ort zum Symbol des Scheiterns für Hauptschulen insgesamt wurde, da begann sich langsam und begrenzt etwas zu ändern.
Die Gräfenauschule im Ludwigshafener Stadtteil Hemshof könnte regional eine ähnliche Bedeutung erlangen, denn die Verhältnisse dort legen ein strukturelles Problem von Bildungspolitik offen: Sie reagiert immer dann, wenn es zu spät ist. Mit Blick auf den Hemshof brauchte doch niemand eine Brille, um zu erkennen, wie schnell sich dort in den vergangenen 20 Jahren die Milieus immer wieder geändert haben und wie viele Menschen dort heute keinerlei Anbindung an die länger hier lebende Gesellschaft bekommen. Um im Hemshof zu überleben, braucht man die deutsche Sprache jedenfalls nicht mehr. Das alles war vorhersehbar. Und doch wollte es kaum jemand wahrnehmen.
Das ist gerade vor jenem Hintergrund peinlich, dass wir gerade lernen, wie wichtig es ist, einen vereinenden Rohstoff in der eigenen Hand zu haben. Unser Rohstoff, den wir fördern sollten wie Russen ihr Gas, heißt Bildung. Leider hat unser Rohstoff keine Lobby. Dabei gibt es in Europa kein wichtigeres Instrument, um Demokratie zu untermauern und kulturellen wie wirtschaftlichen Wohlstand zu erhalten. Klingt wie eine neue Predigt, ist aber eigentlich schon bekannt.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Bildung ist ein Rohstoff, der keine Lobby hat
Stephan Alfter kritisiert fehlende Weitsicht in der Bildungspolitik