Migration - Trennung einer Familie bei der Abschiebung sorgt in Ludwigshafen für Kritik / Stadt spricht von bewusster Absprache mit Vater

Bei Abschiebung aus Ludwigshafen von Familie getrennt: 16-Jähriger noch vermisst

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Julian Eistetter
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Ludwigshafen. Aus den Nachrichten, die Dolly El-Ghandour nahezu täglich per Whatsapp aus Armenien erreichen, ist zunehmend Verzweiflung zu lesen. Fast einen Monat ist es her, dass die jesidische Familie S. aus Ludwigshafen in das Land im Kaukasusgebiet abgeschoben wurde. Fast 30 Tage, an denen die Eltern gehofft und gebangt haben, dass es ihrem ältesten Sohn gut geht. Stunden voller Ungewissheit. Geschwister, die ihren großen Bruder vermissen. Doch der ist verschwunden.

Seit dem Abend des 30. März, als plötzlich Polizei und Ausländerbehörde an der Tür in der Flüchtlingsunterkunft in der Wattstraße klopften und die Familie mitnehmen wollten. Der 16-jährige Thar sei in Panik geraten und geflüchtet, berichtet Aktivistin El-Ghandour, die sich für die Familie einsetzt. „Er ist einfach weggelaufen, nur mit den Kleidern, die er anhatte. Ohne Handy“, sagt sie. Seither wird der Jugendliche vermisst. Anhaltspunkte zu seinem Aufenthaltsort gebe es keine.

Die Umstände der Abschiebung haben in Ludwigshafen vielfache Kritik hervorgerufen. Am Wochenende protestierten mehr als 100 Menschen auf dem Rathausplatz, Mitschüler forderten ihre Klassenkameraden zurück. Auch Stadtratsfraktionen solidarisierten sich mit den Abgeschobenen. Der Familie komme im Verfassungsrecht ein besonderer Schutz zu, betont El-Ghandour. Deshalb sei es nicht zu tolerieren, dass Eltern von ihren Kindern getrennt werden. „Das ist schon heftig“, sagt sie. „Die Mutter hat die Polizisten angefleht, zumindest sie da zu lassen, damit sie nach Thar suchen kann. Sie wurde trotzdem abgeschoben“, so die SPD-Kommunalpolitikerin.

Abschiebung unerlaubt entzogen?

Die Stadtverwaltung teilt auf Anfrage mit, dass sich der Jugendliche „unerlaubt und in Absprache mit seinem Vater bewusst von seiner Familie getrennt und sich damit der Abschiebung entzogen“ habe. „Dies war primär eine Entscheidung der Familie, wie es auch eine Entscheidung der Familie war, nicht der rechtskräftigen Ausreiseaufforderung freiwillig nachzukommen“, so eine Sprecherin. Bezüglich der Trennung der Familie bezieht sich die Stadt auf die Handlungsanweisungen des Integrationsministeriums, wonach Abschiebungen in Ausnahmefällen auch dann durchgeführt werden könnten, wenn es dabei zur Trennung einer minderjährigen Person komme.

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Gleichwohl hat das Ministerium angekündigt, den Fall gemeinsam mit den örtlichen Behörden überprüfen zu wollen. „Die Stadtverwaltung Ludwigshafen und das Integrationsministerium des Landes stehen im Austausch“, bestätigt die Sprecherin. Bis wann mit einem Ergebnis zu rechnen ist, ist unklar.

Fest steht, dass ein Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis der Familie S. vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abgelehnt wurde. Die zuständige Ausländerbehörde habe die Aufgabe, die Rückführung durchzusetzen, so die Stadt.

Im Jahr 2017 war die Familie mitsamt den Großeltern aus Armenien nach Ludwigshafen geflüchtet. „Sie gehört der jesidischen Minderheit an, die dort etwa 0,8 Prozent der Bevölkerung ausmacht“, berichtet El-Ghandour. In dem Dorf hätten mafiaartige Strukturen geherrscht, der Vater sei zusammengeschlagen und bedroht worden. Dass das faktisch kein Asylgrund ist, weiß auch die Aktivistin. „Das ist eine schwierige Abwägung.“

„Aus Strukturen herausgerissen“

Was El-Ghandour aber vor allem stört, ist die lange Bearbeitungsdauer der Asylverfahren. „Die Familie hat jetzt fast vier Jahre in Ludwigshafen gelebt. Die jüngste Tochter ist fünf Jahre alt, die kennt gar nichts anderes“, sagt sie. Werde eine Familie einen Monat nach dem Asylantrag berechtigt abgeschoben, dann sei das zu tolerieren. „Aber so werden sie aus ihrem Leben und ihren Strukturen herausgerissen.“ Über einen Anwalt will El-Ghandour als Bevollmächtigte der Familie jetzt einen Widerspruch gegen die Abschiebung einlegen. „Wir fordern, dass sie rückgängig gemacht wird.“

Unterdessen hause die Familie in Armenien unter erbärmlichen Zuständen. „Sie sind in einem ehemaligen Kuhstall untergebracht“, berichtet El-Ghandour. Noch hätten die Eltern die Hoffnung aber nicht aufgegeben. Die Hoffnung auf eine Rückkehr nach Ludwigshafen. Die Hoffnung, ihren ältesten Sohn wiederzusehen.

Redaktion Reporter Region, Teamleiter Neckar-Bergstraße und Ausbildungsredakteur

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