Lampertheim. Die Gründe für eine Flucht können sehr unterschiedlich sein. Menschen fliehen vor Krieg, Gewalt, Diskriminierung oder aus ökonomischen Motiven. Vier Flüchtlinge aus verschiedenen Herkunftsländern berichteten im Alten Rathaus von ihren Erfahrungen.
„Wir vermeiden bei der Podiumsdiskussion, über die Fluchtgründe zu sprechen“, erklärte Susanne Kolb des regionalen Diakonischen Werkes. Sie übernahm die Moderation der Veranstaltung „Heimat – Hier und Anderswo!?“ der Interkulturellen Woche Lampertheim, die zum ersten Mal stattfindet.
Geschmack und Geruch
„Außerdem ist heute der bundesweite Auftakt der Interkulturellen Woche und es läuft noch die Aktion Heimat shoppen“, erläuterte Kolb und stellte gleich den Zusammenhang her. Jede Heimat habe ihren Geschmack, ihren Geruch und ihre Landschaft, gab Kolb zu bedenken. Und jeder Mensch habe seine persönliche Vorstellung von Heimat.
In der Gesprächsrunde mit zwei geflüchteten Frauen und zwei Männern drehte es sich vordergründig darum, wie sich Zugehörigkeit anfühlt, welche Erinnerungen sie an ihre alte Heimat haben, ob sie jetzt etwas vermissen, inwieweit sie in ihrer Wahlheimat Lampertheim angekommen sind und sich wohlfühlen. Außerdem wollte der städtische Leiter der Stabstelle Soziales, Andreas Dexler, erfahren, was die Stadt Lampertheim und die Gesellschaft beitragen könnten, dass sich geflüchtete Menschen heimisch fühlten.
Susanne Kolb, Mitwirkende in der Partnerschaft für Demokratie Lampertheim, freute sich über die Bereitwilligkeit der Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmer, einen Einblick in ihre Erlebnisse zu gewähren. Nach der Vorstellungsrunde wandte sich Kolb mit den Fragen an die Flüchtlinge, was sie sich unter dem Begriff Heimat vorstellen und was sie damit verbinden.
Das Essen sei ein Teil von Heimat. Und es war dann auch zu erfahren, dass die Nahrungsaufnahme eine ganz persönliche Heimat der Befragten war und die Wahrnehmungssinne Geschmack und Geruch beteiligt sind. So schwärmten die Flüchtlinge von ihren früheren Ernährungsgewohnheiten. Und beim Reden über die Grundlage des Lebens plauderte es sich gleich viel lockerer.
Der 54-jährige Fuad Zatima war 2016 aus Syrien geflüchtet. Er hatte als Händler für Kinderbekleidung gearbeitet, jetzt ist er im Krankenfahrdienst tätig. Seine Leibspeise sind gefüllte Weinblätter. Abutu Ejoga hat nigerarische Wurzeln und erinnert sich noch gut an die schmackhaften Bohnengerichte und Suppen, auch unter der Verwendung der Yamswurzel. „Gerichte, wie sie einst die Mutter zubereitet hat“, sagte Ejoga. Die Mahlzeiten verband der jetzt 44-Jährige mit der Gelegenheit, gemeinsam mit den Familienmitgliedern zusammenzusitzen.
Er ist 2018 ohne seine Familie nach Deutschland gekommen und darum bewegte ihn der Rückblick sehr. Freunde hätten ihm Mut und Hoffnung zugesprochen. An erster Stelle habe bei ihm gestanden, die deutsche Sprache zu erlernen. In seiner Heimat hatte Ejoga Pharmazie studiert. Aktuell arbeitet er für eine Versandapotheke, möchte jedoch als Pharmazeut eingesetzt werden. „Wegen der Armut gehen die Kranken in Nigeria nicht sofort zum Arzt. Deshalb ist auch die Kindersterblichkeit sehr hoch“, erklärte Ejoga.
Semhar Brhane kommt ursprünglich aus Eritrea. Da die Kolonie ein italienisches Kolonialgebiet war und Brhane eine Weile in Italien lebte, schwärmte die 32-Jährige von Pasta. Die junge Frau war in Eritrea eine bekannte Läuferin. Da sie viel Zeit mit ihren drei Kindern verbringen möchte, hängte sie den Leistungssport an den Nagel. Sie lebt seit sieben Jahren in Lampertheim und wird eine Ausbildung zur Altenbetreuerin aufnehmen.
„In der ukrainischen Küche wird fast an alle deftigen Speisen Speck getan“, berichtete Myra Grovs. Die 37-Jährige ist gebürtige Ukrainerin und kam 2009 als Au Pair-Mädchen nach Deutschland. Außerdem lebte sie in Österreich. „In Deutschland gefallen mir die Ordnung und die Regeln. Ich bin verliebt in Deutschland“, so Grovs. Sie findet es schade, dass die Schulkinder nur wenig Unterricht in den Fächern Musik und Kunst erhielten. Die 37-Jährige ist Integrationslotsin in Lampertheim und wohnt seit kurzem in Bensheim.
Einstimmig erklärten die vier Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmer, dass ihr Anfang in Deutschland schwer war, wie etwa das Erlernen der deutschen Sprache und die Bürokratie auf den Ämtern. Viel zu lange sei die Warterei auf die Einbürgerung. Sie bedankten sich bei den Freiwilligen vor Ort, bei der Stadt Lampertheim und bei Deutschland.
Hoffen auf Frieden
Vor allem wünschten sich die Flüchtlinge Frieden. Das war das Stichwort für Susanne Kolb, auf die Kriegssituation in der Ukraine einzugehen. „Helfen kann man nur mit Waffen“, betonte Myra Grovs. Wegen des Ukrainekriegs zahlten die Deutschen höhere Energiepreise, aber: „Wir bezahlen mit Blut“, fügte Grovs hinzu. Ihre Geschwister befänden sich im Ukrainekrieg. „Ich bin dankbar für alle Hilfe, die geleistet wurde. Wenn die Ukraine den Krieg verliert, dann verlieren wir alle“, bekräftigte Grovs.
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