Technologie

Wie ein Paar aus Ladenburg den Klinikalltag von Ärzten erleichtern will

Ira Stoll, Lars Ewert und Hussein Alhasan wollen mit ihrer preisgekrönten Smartphone-App den Alltag von Klinikärzten erleichtern. Wie die KI-Software "MyScribe" bei der Dokumentation hilft

Von 
Peter Jaschke
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Lars Ewert und Ira Stoll aus Ladenburg haben am Mannheimer Gründungszentrum Cubex One die preisgekrönte Smartphone-App MyScribe entwickelt. © Peter Jaschke

Ladenburg/Mannheim. Schon als Schülerin träumt Ira Stoll aus Ladenburg davon, Ärztin zu werden. Doch nach dem Einser-Abitur am Carl-Benz-Gymnasium kommt die heute 29-Jährige ins Grübeln. Sie hat damals die Qual der Wahl. Denn sie ist als Violinistin seit Kindertagen ebenso begabt wie als Zahlenmensch. Sie entscheidet sich aber gegen die Musikhochschule, lässt auch das Mathematikstudium sausen und setzt voll auf die Medizinkarte. Als Assistenzärztin erlebt sie jedoch einen Praxisschock: Das Anfertigen von Visitenlisten und Entlassbriefen frisst wertvolle Zeit, die sie doch so viel lieber Patienten widmen würde.

Wie es Ira Stoll zusammen mit ihrer Jugendliebe, ihrem Musikduo-Partner und heutigem Ehemann Lars Ewert (30) gelingt, ein Start-Up-Unternehmen zu gründen, um den Klinikalltag zu erleichtern, davon handelt diese Geschichte. „Statt aufzuhören, was ich mir schon überlegt hatte, versuche ich jetzt, mir und anderen Leuten den Arztberuf schöner zu gestalten“, erzählt Stoll als Geschäftsführerin von „MyScribe“ und frischgebackene Mit-Preisträgerin des Mannheimer Existenzgründerpreises (MEXI) 2023. Um besser verständlich zu machen, was hinter der Geschäftsidee steckt, holt Stoll an ihrem derzeitigen Arbeitsplatz im Gründerzentrum Cubex One nahe der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) etwas weiter aus.

Lästige Dokumentationspflicht

„Das Studium war super, aber die Arbeit als Klinikärztin ist nicht das, was man sich darunter vorstellt“, findet Stoll und fährt fort: „Die meisten ahnen nicht, dass man als Ärztin oder Arzt eigentlich Schriftsteller ist.“ Mit bissigem Humor schafft sie Distanz zum Thema. Doch der Hintergrund ist und bleibt ernst: Wegen der aufwendigen Dokumentationspflichten wollen bereits 25 Prozent aller Ärzte ihren Job aufgeben. Stoll kennt viele, die bereits ausgestiegen sind, weil sie mit den Arbeitsbedingungen „extrem unzufrieden waren“.

Allein einen Entlassbrief zu schreiben und alles zuvor handschriftlich und in Stichworten Notierte zusammenzufassen, dauere 30 bis 60 Minuten. Und das bei sechs bis acht Entlassungen pro Tag auf der Station, auf der sie zuletzt gearbeitet habe. Das war für Stoll ausschlaggebend, sich an ihren Mann Lars Ewert zu wenden. Der Ladenburger Software-Entwickler hat nach einer Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker an der Ehrhart-Schott-Schule in Schwetzingen das Abitur gemacht und an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Mannheim Service-Ingenieurwesen studiert.

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„Kannst Du etwas programmieren, womit man digital dokumentieren kann und das aus den Stichpunkten, die ich täglich eingebe, am Ende automatisch einen Arztbrief erstellt?“ So lautet ihre Frage, die als Initialzündung gilt. Denn Ewert kann. Der Name „MyScribe“ für die von ihm entwickelte Smartphone-App bezieht sich auf Schreibkräft (auf Englisch Scribes), die in den USA jeden Handgriff der Ärzteschaft dokumentieren und die Stoll bei ihrer früheren Arbeit in einer Bostoner Klinik erlebt hatte. Sie ist hochzufrieden mit Ewerts Ergebnis: „Man muss nur auf einen Knopf drücken, dann wird der Entlassbrief dank künstlicher Intelligenz geschrieben und ist in wenigen Minuten kontrolliert.“

Rückkehr zur geliebten Musik

Ira Stoll sprüht vor Begeisterung - und hat den Kopf wieder frei für die geliebte Musik -, auch wenn „NelsonsRose“, das spannende Violin-Dubstep-Duo mit ihrem Lars noch auf Eis liegt. Doch ist sie kürzlich zum Stamitz-Orchester Mannheim zurückgekehrt und verstärkt auch wieder die Ladenburger Irish-Folk-Gruppe „The Dullahans“ an der Geige. Ein perfekter Tag für Lars Ewert sieht dagegen so aus: Morgens mit Ira und dem Fahrrad zur Arbeit fahren und sich nach erfolgreichen Kundengespräche eine Poke-Bowl, also hawaiianisch-japanischen Fischsalat, im Stadtteil Jungbusch gönnen. Seine Frau träumt schon davon, am Meer aufzuwachen, mit Lars Surfen zu gehen und - nach erfolgreichen Kundengesprächen - den Tag beim Sonnenuntergang am Strand mit einem Cocktail gemeinsam zu beenden.

Doch das muss noch ein wenig warten. Ist Ira Stoll anfangs noch nebenberuflich mit der App beschäftigt, stellt sie bald fest, dass die Doppelbelastung zu viel ist. Als sie ihrem Chef an der Heidelberger Universitätsklinik gesteht, dass sie dort pausieren muss, bestärkt er sie sogar: „Diese App ist eine tolle Idee, machen Sie das.“ Dank eines so genannten Exist-Stipendiums kann sich das Paar voll auf sein Projekt konzentrieren: Das Förderprogramm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz unterstützt jeweils bis zu drei Gründerinnen und Gründer aus dem Hochschulbereich.

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„Wir bekommen ein monatliches Gehalt und eine Sachgüterleistung, die nicht zurückgezahlt werden müssen“, erklärt Stoll. Der dritte Mann im Bunde ist inzwischen der Medizininformatiker Hussein Alhasan. Er entkommt 2015 dem Bürgerkrieg in Syrien nach Mannheim, wo er an der Hochschule gerade seinen Master in Informationstechnologie macht. „Hussein ist maßgeblich für die Künstliche Intelligenz in unserer App zuständig gewesen, und es ist super, wie er sich einbringt“, sagt Ewert. Alhasan habe die „Sprache so zum Leben erweckt, dass wir das, was wir haben wollten, auch so umsetzen konnten.“

Als es darum geht, Geldgeber zu finden, springt dem Trio das Glück der Tüchtigen bei: „Förderer kamen auf uns zu, und wir mussten uns kaum selbst kümmern um Investoren“, sagt Stoll. So kommt die Arbeit voran. „Unser Produkt wird jetzt auf Herz und Nieren geprüft.“ Erste Tests hatten gezeigt, dass die App mehr als 70 Prozent Zeitersparnis in der Dokumentation bringt. „Das bedeutet im Klinikalltag viele Stunden, die man für Wichtigeres verwenden kann“, weiß Stoll. „Was wir jetzt machen, wird viel ändern“ - davon ist Stoll überzeugt. Sie macht sich ihren Traumberuf angenehmer, bevor sie dahin zurückkehrt: „Ich will wieder als Ärztin arbeiten, weil ich das ja auch lange studiert habe, aber erst, wenn das Start-Up richtig läuft“, sagt Stoll und fügt hinzu: „Diese Arbeit fühlt sich momentan sinnvoller an, was komisch klingen mag, aber damit zu tun hat, dass durch die Dokumentation so viel Zeit verschwendet war.“

Bruder betreibt Firmen-Blog

Ihr 19-jähriger Bruder Louis, der Medien- und Kommunikationsdesign studieren will, ist auch schon Feuer und Flamme: Er betreibt inzwischen den Blog auf der Myscribe-Internetseite (https://my-scribe.de). Lars Ewert würde das Gründungszentrum Cubex One beruflich am liebsten gar nicht mehr verlassen: Netzwerkaktivitäten und geförderte Mieten machten es „supereinfach, den Einstieg zu bekommen und ein professionelles Auftreten zu haben“. Ira Stoll lächelt und zeigt auf ihren wachsenden Bauch: „Das zweite Start-Up zeichnet sich ab.“ Im August erwartet das Paar ein Kind. Darauf freuen sich auch die werdenden Großeltern, mit denen das Jungunternehmerpaar in Ladenburg unter einem Dach wohnt.

Freier Autor Peter Jaschke ist freier Mitarbeiter seit 1997 und macht überwiegend regionale Berichterstattung, nimmt aber auch Sport- und Kultur-Termine wahr.

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