Mannheim. Nicht zu viel lächeln – das hat sich Clara Teschner für manche Gespräche inzwischen angewöhnt, auch wenn es ihr eigentlich widerstrebt. „Ich mag es nicht, mich zu verstellen. Aber ich merke immer wieder, dass ich von einigen männlichen Geschäftspartnern ernster genommen werde, wenn ich kühler und zurückhaltender auftrete“, sagt die 29-Jährige.
Clara Teschner ist Unternehmerin. Vor rund zwei Jahren hat sie in Mannheim ihren Onlineshop MyClarella gegründet, in dem sie werdenden Müttern Produkte für die erste Zeit nach der Geburt anbietet. Teschners Kunden sind Frauen – ihre sonstigen Geschäftspartner dagegen oft Männer. Marketingexperten, denen sie erst einmal erklären muss, wofür Wochenbettprodukte überhaupt gut sind. Lieferanten, die ihr sofort jede Menge Zahlen um die Ohren hauen, um zu prüfen, wie sie reagiert. Oder die sie mit „Hallo Fräulein“ ansprechen.
„Natürlich gibt es auch viele Männer, die überhaupt nicht so sind. Trotzdem ist man als Gründerin mit Herausforderungen konfrontiert, die Gründer eher nicht haben“, sagt Teschner und verweist nochmal auf das Beispiel mit dem „Bloß-nicht-zu-viel-lächeln“. „Ich glaube nicht, dass Männer in ihrem Berufsalltag diese Art von Spagat hinlegen müssen“, sagt sie.
Komische Fragen bei der Bank
Dass Frauen, die gründen, anderen Herausforderungen begegnen als Männer, beobachtet Lena Rübelmann bei ihrer Arbeit fast täglich. Sie leitet das Mannheimer GIG7, eines von drei Gründerinnenzentren bundesweit. Nur in Hannover und Berlin gebe es vergleichbare Einrichtungen, so Rübelmann.
Das Mannheimer GIG7 feiert in diesen Tagen Jubiläum: 20 Jahre sind seit seiner Gründung vergangen, eine Zeit, in der sich einiges getan hat, manches aber auch erschreckend gleich geblieben ist. „Auch heute berichten uns Frauen noch davon, dass sie beim Bankgespräch nicht zu ihrem Businessplan, sondern fast ausschließlich zu ihren Kindern und der Betreuung befragt worden sind. Oder dass der Geschäftspartner einer Gründerin bei einem Termin nur mit dem männlichen Praktikanten gesprochen hat, den sie dabei hatte“, sagt Rübelmann.
Unter anderem, um sich über solche Erfahrungen und den Umgang damit austauschen zu können, brauche es für Gründerinnen spezielle Angebote und Räume wie das GIG7, so Rübelmann. „Unser Fokus liegt ganz stark auf der Möglichkeit, sich zu vernetzen“, sagt sie. Mit der Hoffnung, sich ein Netzwerk aufbauen zu können, ist auch Sophie Baillod vor rund 20 Jahren ins GIG7 eingezogen – sie war eine der ersten Frauen, die sich 2002 in dem neuen Gründerinnenzentrum einmieteten. Die freiberufliche Übersetzerin war schon etwas länger selbstständig, als sie von dem neuen Angebot im Mannheimer Quadrat G7 erfuhr – und begeistert von der Location.
„Die Räumlichkeiten waren genial, alles war wunderschön renoviert“, erinnert sie sich. Sie habe damals zu Hause kein Arbeitszimmer gehabt und sei auf der Suche nach mehr Platz gewesen. Im GIG7 bekam die Übersetzerin für wenig Geld ein eigenes Büro, 15 Quadratmeter, in denen sie in Ruhe arbeiten konnte. „Das hat mir damals wirklich viel gebracht“, erinnert sich Baillod heute.
Die Aufbruchstimmung und den regen Austausch mit anderen Gründerinnen, den sie sich eigentlich auch erhofft hatte, fand die Übersetzerin in dem Zentrum zumindest in der Anfangszeit allerdings nicht. „Das war deutlich weniger, als ich es erwartet hatte. Aber damals war es auch noch nicht so selbstverständlich wie heute, zusammenzuarbeiten“, glaubt die Übersetzerin.
Gegen Ende ihrer Zeit im GIG7 – die Mietdauer für Gründerinnen war auf fünf Jahre begrenzt – seien nach und nach mehr Seminare angeboten worden. „Da haben sich dann sicher auch mehr Gelegenheiten zum Vernetzen ergeben“, so Baillod. Heute gibt es davon jedenfalls jede Menge, sagt GIG7-Leiterin Rübelmann – neben Seminaren und Veranstaltungen stehen zum Beispiel regelmäßig Stammtische oder der digitale Gründerinnen-Lunch auf dem Programm. „Da ist vieles mit der Zeit erst gewachsen“, sagt sie.
Förderung durch EU-Gelder
Treibende Kraft für den Start des Mannheimer Gründerinnenzentrums, in dem heute bis zu 300 Frauen pro Jahr Beratung suchen, war damals im Übrigen die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, Ilse Thomas. Sie setzte sich dafür ein, EU-Fördergelder für das Projekt zu beantragen, suchte nach einem Gebäude – und übernahm später bei der Renovierung in G7 sogar die Bauleitung.
Zu den aktuellen Mieterinnen – neben Büroräumen gibt es auch Ateliers – gehört auch Clara Teschner, die mit ihrer Firma MyClarella seit Oktober 2020 im Hinterhaus sitzt. „Bevor ich ins GIG7 gezogen bin, habe ich meine Bestellungen zu Hause auf dem Dachboden gepackt. In unserer Zwei-Zimmer-Wohnung war es zu eng, durch den Lockdown war die Kita für unser Kind zu, und ich brauchte unbedingt Ruhe, um zu arbeiten“, erzählt die Gründerin.
Gründerinnen auf einen Blick
- Um Gründerinnen mehr Sichtbarkeit zu verleihen, hat das GIG7 zu seinem 20. Jubiläum eine Female Founders Map veröffentlicht – eine Karte, auf der mehr als 100 Gründerinnen in und um Mannheim eingetragen sind.
- Die Karte gibt es in analoger und digitaler Form, dort können sich auch noch weitere Gründerinnen eintragen lassen.
- Nutzerinnen und Nutzern soll dadurch auch die Möglichkeit gegeben werden, gezielt Gründerinnen zu beauftragen oder bei ihnen einzukaufen.
- „Die Karte macht auch deutlich, wie stark Mannheimer Gründerinnen das Stadtbild prägen“, sagt GIG7-Leiterin Lena Rübelmann. In einer Sprayaktion hat das GIG7 zudem vor zahlreichen Geschäften und Standorten von Gründerinnen das Logo „I’m a female founder“ aufgesprayt.
Neben dem Platz genießt sie im GIG7 vor allem den Austausch mit anderen Frauen. „Das ist echt eine tolle Community und es kommt durch die Gespräche oft etwas Neues zustande“, sagt Teschner. Gründen sei oft einsam und anstrengend. „Da ist es einfach toll, wenn man sich gegenseitig ermutigen oder auch mal Tipps geben kann.“
Wenn es nach Leiterin Rübelmann ginge, hätte unterdessen jede Stadt in Deutschland ein „GIG7“. Die strukturellen Hürden, mit denen Gründerinnen konfrontiert sind, seien ein gesamtgesellschaftliches Problem: „Das ist ja nicht lokal oder regional begrenzt.“ In den allermeisten Städten scheitere das Vorhaben an der Finanzierung.
Das Beratungsangebot im GIG7 wird zur Hälfte mit EU-Geldern finanziert, den Rest schießen das Land und die Stadt dazu. Derzeit sei die Finanzierung für die Beratung gerade wieder für drei Jahre gesichert, so Rübelmann, Gerne hätte die GIG7-Leiterin noch zusätzliche Mittel, um Frauen stärker bei Gründungen im Tech-Bereich zu unterstützen – „da bemühe ich mich jetzt aber schon zweieinhalb Jahre, bis jetzt vergeblich.“
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Der Bedarf für ein Gründerinnenzentrum wie das GIG7 habe sich jedenfalls auch nach 20 Jahren noch nicht erledigt. „Es werden immer noch weniger als 20 Prozent aller Start-ups von Frauen gegründet. Solange wir da nicht stabil bei 50 Prozent sind, brauchen wir über eine Abschaffung solcher Angebote gar nicht zu reden.“
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