Ladenburg. Halbzeit bei den Picknick-Konzerten in Ladenburg: Mit Deutschpop-Songwriter Joris steht ein halber Lokalmatador vor knapp 800 Fans auf der Bühne. Schließlich hat der in Ostwestfalen aufgewachsene 31-Jährige die Popakademie in Mannheim absolviert und seine drei Echos dort lange auf dem Fenstersims eines WG-Zimmers aufbewahrt. Sein Gitarrist Wolfgang Morenz lebt immer noch in der Quadratestadt. Wie The-Intersphere-Drummer Moritz Müller, der Joris' Band neuerdings noch schlagkräftiger macht. Bino Engelmann verlegt sich deshalb stärker auf Percussion-Elemente,Bassist Tobi Voges und Keyboarder Konstantin Krieg komplettieren den imposanten Wall-of-Sound.
Der Hauptdarsteller lebt zwar mittlerweile in Berlin, kann aber - anders als manch anderer Popstar - natürlich immer nochHeidelberg oder Mannheim von der Römerstadt unterscheiden. Dementsprechend treffsicher haucht er schon in einen Refrain des ersten Songs „Sturm und Drang“ ein zärtliches „Laaadeenbuuurg“. Joris flunkert also nicht, wenn er später erzählt, dass der Tag sich für ihn ein wenig wie Nach-Hause-Kommen anfühlt.
Punkt 20.15 Uhr hat der Sänger und Multiinstrumentalist unmittelbar nach seiner Band die Bühne betreten. Der aufbrandende Jubel fällt kurz und intensiv aus. Für größere Euphorie ist es einfach zu gemütlich auf den Picknick-Decken, deren Abstände Ordner bei diesem Festival tatsächlich pflichtschuldig mit dem Metermaß kontrollieren. Aber aus dem plätschernden Intro zu „Sturm und Drang“ wächst schnell eine groß dimensionierte Breitwand-Klangwelle. Zusammen mit der opulenten Lichtshow wirkt das pompös, anfangs etwas laut und grell.
Viel Substanz in Musik und Texten
Trotzdem klingt die raue Stimme des Popakademikers angenehm durch die nicht zu kühle Abendluft. Erstaunlich, dass bei diesem halben Heimspiel gut 400 Karten liegen bleiben. 800 Zuschauer sind in Pandemie-Zeiten okay, in Karlsruhe kamen vor kurzem allerdings 1400 Fans. Vielleicht liegt es daran, dass Joris schon heute auch noch im nahe gelegenen Darmstadt auftritt.
Schade, denn man verpasst bei dem mit Hits wie zuletzt „Nur die Musik“ im Radio dauerpräsenten Musiker etwas. Beim oberflächlichen Hören mag seine Musik austauschbar klingen, wie so vieles aus dem Universum Forster/Giesinger/Oerding/Weiss: Offensiv nach vorn gemischter Überwältigungspop, der oft entweder übermotiviert oder übersensibel wirkt. Dieses Handwerk beherrscht Joris auch. Doch nicht zuletzt in der jüngsten „Sing meinen Song“-Staffel hat sich im Zusammenspiel mit den anderen Stargästen gezeigt, wie viel emotionale und kreative Substanz er in Musik und Texte investiert. Auch als Interpret fremder Lieder war er schwer zu übertreffen - selbst DJ Bobos Eurodance-Gassenhauer „There’s A Party“ konnte er in eine gefühlvolle Ballade verwandeln. Diese Version lässt er als Intro seines großen Hits „Herz über Kopf“ anklingen, was auf viel Gegenliebe trifft. Genau auf dieser Nahtstelle liegt auch die Unterschiedsqualität des Arztsohns Joris Ramon Buchholz: Er beherrscht locker den ranschmeißerischen Wohoho-Deutschpop und holt damit viele Fans von der Picknickdecke auf die Tanzbeine. Aber binnen eines Wimpernschlags kann er komplett umschwenken: Dann singt er fast allein zu Klavier oder der Gitarre, scheint todesmutig sein Herz auf die Bühne zu legen und schafft so Momente von größter Intimität. Das Kunststück dabei: Beides wirkt völlig authentisch, gekonnt und wird mit extremer Spielfreude umgesetzt. Vielleicht zieht Joris genau deshalb trotz aller Hits und Qualität noch nicht die ganz großen Massen: Indie-Fans, die ihn nie live gesehen haben, dürften ihn zu oberflächlich finden. Dem breiten Mainstream-Publikum könnten Teile seines sehr unterschiedlichen Materials emotional zu anstrengend sein.
Egal, wer da ist, kommt auf seine Kosten. Ob mit gut gelaunten, tiefenentspannten Nummern wie „„No Drama“, dem fröhlich im Stil einer Straßenmusikerband vorn am Bühnenrand gekrähten „Club der Verlierer“ oder den Reggae-Anflügen, mit denen der Kölner Gentleman Joris beim TV-Tauschkonzert infiziert hat. Oder beim großen Gefühlskino von „Home Again“, „Bis ans Ende der Welt“ oder dem stets grandiosen „Glück auf“. Das widmet Joris den Opfern der Flutkatastrophe. Wiederum so authentisch, dass man ihm abnimmt, wenn er sich fast entschuldigt für seine vielen aufmunternden Ansprachen. Er sei eigentlich „niemand, der in irgendwelchen leeren Popsongs oder mit Kalendersprüchen“ punkten wolle. Für ihn gilt: Das schafft „Nur die Musik“.
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