Hammelbach. Als der ehemalige Bundesliga-Golftrainer Marc Freukes 2014 nach einem Burnout für ein Jahr in ein Tipi auf einem Waldgrundstück in der Nähe von Hammelbach zog, wollte er für sich herausfinden, wie eine alternative Lebensform aussehen könnte, ohne der Gesellschaft zur Last zu fallen.
Aus einem wurden zehn Jahre, schon bald wurde aus dem Tipi eine selbstgebaute Jurte. Die jedoch konnte vom Kreis Bergstraße nicht genehmigt werden, 2020 musste er sie abbauen. Nach einer Übergangszeit in einem Bauwagen übersiedelte er 2021 auf ein umzäuntes Freizeitgrundstück im südhessischen Odenwald. Dort lebt er nun in einer neuen Jurte auf einer Gesamtwohnfläche von 18 Quadratmetern. Auch sein neues Domizil hat er gemütlich und vor allem praktisch eingerichtet.
So ist die Jurte des Odenwald-Tipianers eingerichtet
Jeder Zentimeter ist funktionell oder als Stauraum genutzt, die Wände sind mit Wollfilz bezogen. Nahrungsmittel kühlt er in einem tief in den Boden eingelassenen Erd-Kühlschrank, ein selbst gebauter Ofen dient zum Kochen und wärmt die Jurte an kalten Tagen. „Natürlich könnte alles komfortabler sein. Aber dann hätte ich mehr, als ich brauche. Warum sollte ich das machen?“.
Leben im Wald
- Mehr Infos zu Marc Freukes und zu den Wildniskursen unter www.wildniskurs.de
- Youtubekanal: Zuhause im Wald
- Wildniskurse finden 2024 noch im September, Oktober und November statt, eine Waldwoche ist für Anfang September geplant.
- Am 17. Oktober bietet Marc Freukes einen Schnuppertermin für Besucher an. Er dauert ca. zwei Stunden und kostet 20 € pro Person.
- Auf Anfrage sind auch Junggesellenabschiede, Kindergeburtstage oder Besuche von größeren Gruppen möglich.
- Marc Freukes kann man nur nach Voranmeldung treffen. Den genauen Treffpunkt erhält man per SMS, sein derzeitiger Standort ist nicht öffentlich bekannt.
Inklusive Krankenversicherung reichen ihm derzeit 300 bis 400 Euro im Monat. Seinen Lebensunterhalt deckt er mit dem Verkauf seiner Bücher und den Erlösen aus den Wildniskursen. In guten Jahren kann er so sogar ein wenig Geld zur Seite legen. Neben der Jurte steht ein kleines, knallrotes Schindelhäuschen, das er an Besucher und Kursteilnehmer vermietet. Die mehr als 1200 Fichtenschindeln auf dem spitzen Dach hat er selbst hergestellt und aufgezogen. Auf sieben Quadratmetern bietet es Platz für zwei Personen, gebaut hat er es aus einem alten Bauwagen, der davor als Hühnerstall diente.
Fitnessgeräte aus Schrott und Holz gebastelt
Auch das Outdoor-Fitnessstudio ist aus übrig gebliebenem und gespendetem Holz, einem alten Heizungsrohr vom Schrott und einer von einem Besucher vergessenen Isomatte entstanden. Neu sind Gewichtscheiben, Kurzhanteln und ein Zugsystem, eine Investition in die Gesundheit des inzwischen 50-jährigen. Durch den Alltag im Wald trainierte er zwar seinen Oberkörper und die Arme, Beine und Rücken wurden jedoch vernachlässigt, Rückenschmerzen lähmten den ehemaligen Profisportler.
Nun stehen sechs Mal pro Woche Bankdrücken, Rudern oder Klimmzüge auf dem Programm, mit eiserner Disziplin hält er sich an seine selbst erstellten Trainingspläne: „Das tut mir einfach gut und ich fühle mich inzwischen wieder richtig wohl in meinem Körper!“ Daraus entwickelte er einen neuen Leitspruch: „Nicht alles, was gut ist, muss auch Spaß machen.“ Ein weiterer lautet: „Nichts, was man macht, ist umsonst. Ich habe gelernt, dass ich an den Umständen selbst etwas ändern kann.“
Und ganz nebenbei beschreibt er das Sportprogramm auch als Beschäftigungstherapie, denn im Wald verschwimmen manchmal die Wochentage. Täglich macht er neue Erfahrungen. „So weiß ich inzwischen, dass es bei meiner Lebensweise kaum Sicherheit gibt“. Als die größte Gefahr im Wald identifizierte er für sich eine Tetanus-Infektion und ließ sich impfen. Auch vor Zecken hat er Respekt, sie werden von ihm sofort entfernt. „Generell ist die Natur aber längst nicht so gefährlich, wie man vielleicht denkt.“ Auch der Schlaf hat sich in den Jahren im Wald verändert. „Ich schlafe nicht mehr so tief wie in der Zivilisation, höre nachts mehr. Doch der Schlaf ist erholsam und das ist für meinen Alltag wichtig.“
So ernährt sich der Odenwald-Tipianer
Genauso wie konsequentes Training und eine ausgewogene Ernährung. Er sammelt Wildkräuter, Beeren und Giersch, den Großteil seiner Lebensmittel aber kauft er derzeit ein. Sein hoher Energiebedarf ließ sich nicht durch eine ausschließlich vegetarische Ernährung decken, auch das über lange Jahre praktizierte Intervallfasten passte nicht mehr zu seiner Lebensweise: „Durch das dauerhafte Kaloriendefizit war ich sehr dünn.“
Inzwischen berücksichtigt er, dass die Jahreszeiten nicht nur seinen Lebensrhythmus sondern auch seinen Kalorienbedarf vorgeben. Und er versucht, Stress zu vermeiden - einer der Gründe, warum er damals in den Wald zog. Dazu gehört auch, dass er Freundschaften und den Kontakt zur Familie pflegt, indem er sie mit seinem kleinen Auto besucht oder zu sich in den Wald einlädt. Regelmäßig fährt er auch nach Heidelberg oder Mannheim zum Ausgehen oder er geht einfach mal Pizza essen. Einsam ist er deshalb nie, alleine manchmal schon. Dann hört er gerne Musik mit seinem Smartphone und einer Blutoothbox.
Grundsätzlich ist Freukes Alltag meist vollgepackt. Es gibt ständig etwas zu bauen oder zu reparieren. Die inzwischen sechs im Eigenverlag erschienenen Bücher wollen verschickt, Zuschriften von interessierten Besuchern, Kursteilnehmer oder Medienvertretern beantwortet werden. Die Wildniskurse müssen organisiert und sein Internetauftritt aktualisiert werden, für seinen Youtube-Kanal produziert er immer wieder neue Videos. „Eigentlich müsste ich inzwischen jemanden alleine für die Post einstellen“, lacht er.
Ohne Krankenversicherung und Bankkonto geht es auch beim Odenwald-Tipianer nicht
Notwendig wurde auf jeden Fall ein eigenes Regalbrett für Ordner, Unterlagen und einen kleinen Drucker. Denn selbst im Wald geht ohne moderne Technik und Bürokratie nichts: Freukes hat neben seiner Krankenversicherung ein Bankkonto und versteuert sein Einkommen. Den Strom zum Laden seiner Geräte liefert ein Solarpanel.
Grundsätzlich versucht er jedoch, so wenig Ressourcen wie möglich zu verbrauchen. Innerhalb von ein bis zwei Wochen benötigt er rund 30 Liter Quellwasser zum Kochen und Trinken; für die Körperpflege und zum Reinigen von Geschirr und Wäsche nutzt er Regenwasser. Für Küchenabfälle gibt es einen Komposter, sein gesamter Müll beläuft sich auf einen halben gelben Sack in zwei Wochen.
Täglich denkt er darüber nach, was wirklich zählt im Leben. An einem guten Tag hat sich sein Anspruch an das Leben im Wald erfüllt: dann hat er etwas Nützliches gebaut, Sport gemacht und Rala, seiner kleinen Hündin, geht es gut. Sie ist inzwischen 13 Jahre alt, ihr Alter ist derzeit ein großes Thema für ihn. „Es fällt mir sehr schwer, mich damit abzufinden, dass ich irgendwann loslassen muss. Darüber denke ich jeden Tag nach.“
Und auch die Frage: „Wie wollen wir als Gesellschaft in Zukunft leben?“ beschäftigt ihn. In einer idealen Welt, so sagt er, würde es keine bürokratischen Hürden für das Leben im Wald geben und jeder könnte diese Lebensform wählen. „Meiner Meinung nach gibt es nichts Besseres.“ Diese Begeisterung und seine Erfahrung gibt er gerne in seinen mehrtägigen Wildniskursen weiter. Auch über jeden Besuch freut er sich. Den Austausch unter Gleichgesinnten sucht er eher nicht: „Ich habe meinen Weg ja schon gefunden.“
Dabei erkannte er, dass auch in seinem alten Leben nicht alles schlecht war. So hat er auf Bitte seiner Mutter begonnen, wieder ab und an Golf mit ihr zu spielen, was ihm wider Erwarten Spaß macht. Und auch Urlaub hat er im letzten Jahr gemacht: neun Tage in einem Robinson-Club. Zwar erkrankte er dort an einem Magen-Darm-Infekt, etwas, was er eigentlich gar nicht mehr kennt. „Es war trotzdem einfach schön, sich einmal um nichts kümmern zu müssen.“
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