Und mit einem Mal vibriert der ganze Boden im Umkreis mehrerer Hundert Quadratmeter. Wir stehen am Mittwochmorgen - in gelbe Warnwesten gekleidet - auf einem gefrorenen Acker auf Ladenburger Gemarkung, wo sich in gewisser Hinsicht gerade die Zukunft der deutschen Autoindustrie entscheidet. Es riecht nach Diesel - noch. Gerade eben hat einer dieser drei Vibro-Trucks aus Polen, die ein wenig wie Science-Fiction-Lkw aussehen, eine mehrere Tonnen schwere Platte auf den leicht verschneiten Boden sinken lassen und in Schwingungen versetzt. Zu Demonstrationszwecken dringen nun Schallwellen tief ins Erdreich ein und prallen dort auf Tausende Meter tief liegende Schichten von Buntsandstein.
Am Ende dieses Vorgangs entsteht mit Hilfe sogenannter Geophone (salopp: Erdmikrofone), die derzeit einige Straßenzüge im Raum Mannheim säumen, ein dreidimensionales Bild davon, wie es unter unseren Füßen aussieht. Das wiederum gibt Aufschlüsse darüber, wo man genauer hinschauen sollte. Wer einen Vergleich braucht: Die Aufnahme eines Babys mit Hilfe eines Ultraschallgeräts aus dem Bauch einer schwangeren Frau. Das Baby - es könnte in diesem Fall Lithium heißen.
Rohstoff aus 4500 Metern Tiefe
Es ist ein einigermaßen irrer Gedanke, dass dieser vibrierende Ackerboden bei Ladenburg, der übrigens auch anderswo im sich seit 65 Millionen Jahren noch immer verändernden Oberrheingraben zwischen Frankfurt und Basel liegen könnte, für die Entwicklung von Elektrofahrzeugen von herausragender Bedeutung ist. Das Karlsruher Unternehmen Vulcan Energie will (wie bereits mehrfach berichtet) die Geothermie in Nordbaden, Südhessen und der Südpfalz ausbauen. Das besondere Augenmerk gilt dabei dem im Tiefenthermalwasser gelösten Lithium. Der Rohstoff ist schließlich ein unverzichtbarer Bestandteil effizienter Speichertechnologien in den Akkus von E-Autos. Bis zu 4500 Meter tief will man dafür ins Gestein des Rheingrabens bohren.
Thomas Bening ist Regionalleiter Kurpfalz und Südhessen bei Vulcan Energie und sagt, dass sein Unternehmen mit 180 Milligramm Lithium pro Liter Tiefenthermalwasser rechne. Ab dem Jahr 2025 will das Unternehmen jährlich 40 000 (!) Tonnen Lithium aus den Tiefen des Oberrheingrabens fördern. Das ist in etwa die Menge, die zur Produktion von einer Million Elektroautos pro Jahr ausreichen würde, wie Vulcan-Pressesprecherin Mareike Inhoff erklärend hinzufügt. Bisher gibt es in Deutschland keine Lithium-Gewinnung in erwähnenswertem Umfang. Das südamerikanische Land Chile hat in den Jahren 2019 bis 2021 63 Prozent des Lithiumverbrauchs in der EU gedeckt - sehr zu Lasten der dortigen Wasserversorgung. Die beiden nächstgrößeren Lieferanten - die Schweiz und Russland - kamen jeweils nur auf 9,7 Prozent. Wie groß der Bedarf alleine hierzulande ist, macht Bening deutlich: „Wir sind schon bis ins Jahr 2030 ausverkauft.“ Abnahmeverträge existierten bereits mit den Autokonzernen Stellantis (Opel, Peugeot, Citroen, Fiat, Chrysler), VW und Renault, hatte Vulcan-Chef Horst Kreuter kürzlich gegenüber dieser Redaktion gesagt.
Lithium-Preis steigt stetig an
Vulcan hat von Kommunen und übergeordneten Behörden die Erlaubnis bekommen, die eingangs beschriebenen seismischen Messungen auf einer Fläche von 120 Quadratkilometern im Raum Mannheim vorzunehmen - unter anderem in Ilvesheim und Ladenburg. Bis spätestens Ende Februar sollen die Messungen beendet sein. Anschließend, so Bening, erfolge eine Auswertung, die etwa drei Monate in Anspruch nehme und zum Ziel hat, die Platzierung von zwei bis drei Geothermie-Anlagen zu definieren. Die Erkenntnisse, die Vulcan Energie gewinnt, sind dabei offensichtlich bares Geld wert. Das lässt sich schon an der Entwicklung des Preises für den Rohstoff ablesen. Er befindet sich seit Anfang 2021 im Steigflug. In China kostete eine Tonne Lithiumkarbonat zuletzt rund 75 000 US-Dollar. Das ist etwa doppelt so viel wie noch zu Beginn des Jahres - und dreizehn Mal so viel wie im Corona-Tief im Juli 2020. Und: Die Elektrifizierung des Straßenverkehrs steht noch am Anfang - auch im Rhein-Neckar-Raum. Auf dem Acker in Ladenburg hat der Boden inzwischen aufgehört zu vibrieren. Die Vibro-Trucks machen sich wieder auf den Weg, um dem Benzin der Zukunft auf die Spur zu kommen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Lithium: Ein unerreichbarer Schatz