Rhein-Neckar. Die Metropolregion Rhein-Neckar sitzt auf einem der wertvollsten und bedeutendsten Bodenschätze der kommenden Jahrzehnte. Im 3000 bis 4000 Meter tiefen, rund 160 Grad heißen Thermalwasser ist Lithium gelöst – und das in riesigen Mengen. Das bestätigen Valentin Goldberg und Fabian Nitschke vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Exakt dieses Alkalimetall ist der Rohstoff, den die Automobilindustrie schon bald in Massen benötigen wird. Lithium ist ein unbedingt erforderlicher Grundstoff für wiederaufladbare Batterien unter anderem von Elektroautos. Die Deutsche Rohstoffagentur (Dera) prognostiziert, dass es in Deutschland spätestens in drei Jahren ein massives Lithium-Defizit geben wird.
Insofern ist es nachvollziehbar, dass mehrere Firmen in der Region aktuell massive Anstrengungen unternehmen, diesen Rohstoff zu heben. Die EnBW will über ihr bestehendes Geothermiekraftwerk in Bruchsal Lithium fördern. Das Karlsruher Unternehmen Vulcan Energie plant Geothermie-Projekte inklusive großindustrieller Lithium-Gewinnung rund um Insheim, Haßloch und Mannheim. Aktuell wird in Nordbaden und Südhessen die Erkundung des Erdbodens mithilfe geophysikalischer Messungen vorbereitet. An vielen Stellen sorgen Geophone, die Schallwellen aufnehmen werden, aktuell für Verwirrung. Auch die Stadtwerke Schifferstadt und Speyer haben ein gemeinsames Unternehmen gegründet, um Lithium mithilfe der Geothermie in der Vorderpfalz zu fördern.
Verdiensterlöse mit Lithium bisher zu niedrig
Prinzipiell sei es durchaus denkbar, dass der Bodenschatz hier gehoben werden könne, sagen die Forscher am Institut für Angewandte Geowissenschaften des KIT. Allerdings werde das Lithium vermutlich nicht so schnell zur Verfügung stehen, wie sich das mancher wohl wünsche, sagen sie. „Bislang ist es weltweit noch nirgends gelungen, Lithium in kommerziellen Mengen aus Tiefenthermalwasser zu extrahieren“, sagt Fabian Nitschke. Die Technik werde seit 50 Jahren erforscht. Zur Marktreife habe sie aber noch niemand entwickeln können. Dies allerdings vor allem deshalb, weil es sich wirtschaftlich bislang nicht rentiert hat. Dazu waren die Verdiensterlöse mit Lithium schlicht zu niedrig, erläutern sie die Gründe des Forschungsrückstands.
Dass Vulcan 95 Prozent Lithium aus dem Wasser extrahieren könne, sei durchaus plausibel und auch schon mehrfach in Laboren erreicht worden. Allerdings sei dies nicht der entscheidende Faktor für eine industrielle Produktion. Viel wichtiger seien die Fließrate, mit der das Wasser aus der Tiefe an die Erdoberfläche befördert werden kann, sowie die Konzentration des Alkalimetalls. „Je höher die Fließrate, desto besser“, sagt Nitschke.
Allerdings seien Tiefenthermalquellen ein komplexes hydraulisches System. Deshalb sei die hydraulische Qualität eines Reservoirs entscheidend. Gute Bohrungen im Bereich des Oberrheingrabens förderten das Wasser mit 70 bis 80 Liter pro Sekunde nach oben. Auch 100 Liter pro Sekunde seien zu schaffen, urteilt Goldberg.
Vulcan Energie hatte im Gespräch mit dieser Redaktion in Aussicht gestellt, dass mittelfristig eine Produktion von 40 000 Tonnen Lithiumkarbonat pro Jahr möglich wären. Dazu hat Valentin Goldberg eine komplexe Formel erstellt. Sein Institut will nämlich – unabhängig von wirtschaftlichen und finanziellen Interessen – die Möglichkeiten der Förderung auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse aufzeigen. Legt man also als entscheidende Faktoren einen Lithium-Gehalt von 168 Milligramm pro Liter und eine Fließgeschwindigkeit von 100 Litern pro Sekunde zugrunde, dann schafft eine Bohrung die Förderung von 1800 Tonnen Lithiumhydroxid im Jahr. „Diese Grundannahme gilt allerdings für eine Verfügbarkeit der Anlage von 100 Prozent.
Also ohne Stillstände durch Wartung oder Störungen“, schildert Goldberg den nie erreichbaren Idealfall. Das bedeute also, dass für ein Ziel von 40 000 Tonnen Lithium im Jahr insgesamt 22 produzierende Bohrungen und nochmal soviele Injektionsbohrungen nötig sind, die das Thermalwasser wieder in die Reservoirs zurückleiten.
Bald Bohrungen in Mannheim?
Es müssten also viele Bohrungen stattfinden, um einen Zugang zu den Mengen an Thermalwasser und dem darin gelösten Lithium zu bekommen. Sicherheitsbedenken haben Nitschke und Goldberg in diesem Zusammenhang nicht. Je mehr Bohrungen in ein Reservoir vorstoßen, desto mehr verteilt sich der Druck. Die Erdbebengefahr würde dadurch sogar geringer werden.
Dann kommen allerdings noch die formaljuristischen Komponenten dazu. Von der Erkundung bis zum Betrieb einer entsprechenden Anlage vergehen erfahrungsgemäß vor allem durch den Genehmigungsprozess fünf bis acht Jahre, wissen die KIT-Experten. Insofern sei eine Betriebsaufnahme der Bohrungen in der Pfalz und bei Mannheim zur Mitte dieses Jahrzehnts zumindest sehr ehrgeizig und ambitioniert.
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„Wir wollen die Technik keineswegs schlechtreden“, betont Goldberg. Schließlich erforsche man diese Technologie ja gerade deshalb, weil sie sinnvoll und zukunftsorientiert sei. „Wir wollen nur die Fakten darlegen, die eben nicht von wirtschaftlichen Interessen getrieben, sondern wissenschaftlich fundiert sind.“
Mittelfristig geht die Deutsche Rohstoffagentur Dera von einem Bedarf von knapp 150 000 Tonnen Lithiumkarbonat in Deutschland aus. Um diesen Bedarf zu decken, braucht es nach Ansicht der Wissenschaftler vor allem schnellere Genehmigungsverfahren für Geothermie. Lithium – aus heimischem Tiefenthermalwasser mit selbst erzeugter Energie aus der Geothermie gewonnen – sei allemal besser und ökologisch sinnvoller, als den Rohstoff im herkömmlichen Bergbau wie in Australien oder durch Grundwasserverdunstung wie in Chile zu produzieren.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Lithium: Ein unerreichbarer Schatz