Die Linke gegen die Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (kurz: Die Partei) - wenn die zunehmende Absolutsetzung des eigenen Standpunktes weiter zunimmt und zur weiteren Zersplitterung des Parteiensystems führt, kann das irgendwann tatsächlich in ein Kanzlerduell ausarten. Denn auch künftige Zwei- bis Vier-Prozent-Parteien können über Direktmandate in Hipster-Stadtteilen in den Bundestag einziehen, wie Die Linke es zuletzt demonstriert hat. In ihrem derzeitigen Selbstzerstörungsmodus könnte sie noch schneller bei bundesweit drei Prozent landen als die vom Satire-Magazin „Titanic“ begründete (Spaß-)Partei, die 2019 immerhin zwei Sitze im Europaparlament ergatterte.
Bislang ist es aber nur ein „Kanzlerduell der Herzen“, wenn sich Linken-Altmeister Gregor Gysi und Partei-Chef Martin Sonneborn am Freitag zum neckischen Austausch im ausverkauften Deutsch-Amerikanischen Institut in Heidelberg (DAI) treffen. Dem dort versammelten Altstadt-Publikum aus 68ern und Millennials liegen die beiden und ihre Themen zwischen Kritik an unsozialem Politbetrieb, Kapitalismus und Bellizismus jedenfalls spürbar am Herzen. So gibt es permanent (Bekenntnis-)Applaus und Lacher, obwohl die zwei Stunden sehr zähe Abschnitte enthalten.
Opposition zu allen
Denn die beiden haben als bessere Polit-Maskottchen gut reden. Weil alles, was sie sagen, völlig folgenlos bleibt und nicht einmal der leicht entflammbare ukrainische Botschafter kurz vor seiner Abberufung darauf reagieren dürfte. Der letzte SED-Vorsitzende Gysi ist inzwischen zu allen Parteien im Bundestag in Opposition, inklusive seiner eigenen (woran er im DAI süffisant keinen Zweifel lässt). Sonneborn praktiziert zwar in Brüssel einen satirischen Fundamentalismus, dessen beißende Kritik an den EU-Verkrustungen („Wir dürfen Europa nicht den Leyen überlassen“) seine Partei für auffällig viele Leute zu einer Alternative zur Nichtwahl macht. Aber dann hat er mit einem sehr unzeitgemäßen Chinesen-Witz seine eigene Zwei-Mann-Gruppe gespalten - was zeigt: Auch Sonneborn (57) ist nur ein Boomer.
Gysi (74) ist sogar ein noch älterer weißer Herr. Das merkt man, als er nach einer Bahnfahrt mit Hindernissen 20 Minuten zu spät auf die Bühne kommt und ansatzlos beginnt, die Welt zu erklären. Erst mal die Fehler bei der Wiedervereinigung. Natürlich ist seine Rhetorik gewohnt eindrucksvoll, amüsant, elegant - aber anfangs wirkt es trotz (oder wegen?) aller Routine so, als sei er noch gar nicht angekommen und würde aus dem Gedächtnis wie auf Autopilot halbwegs passende Vorträge abspulen. Dabei entsteht ein Redefluss, den Moderatorin Katja Thorwarth („Frankfurter Rundschau“) und Sonneborn kaum bremsen.
Da der eher lakonische Niedersachse Sonneborn den Abend zunächst allein mit seinen knallig-provokanten Parolen bestritten hat, entsteht so dramaturgisch ein herber Kontrast. Und es dauert, bis ein Gespräch entsteht. Die meiste Zeit folgen auf Thorwarths Stichworte epische Anekdoten Gysis (meist darüber, wie er der Welt die Welt mal richtig erklärt hat) und Einwürfe Sonneborns. Da sich fast alle im Saal Anwesenden politisch ohnehin einig sind, hält sich die Spannung in Grenzen - der Unterhaltungswert leider zunehmend auch.
Das liegt natürlich auch am Ernst der Lage. Mit der Pandemie im Nacken, Kriegsbildern vor Augen und kaum bezahlbaren Rechnungen im Blick ist gute Unterhaltung von und mit praktizierenden Politikern kaum zu leisten. Dass dieses Duo eigentlich funktioniert, zeigen sein Buch „Gysi vs. Sonneborn: Kanzlerduell der Herzen“ (2021) und frühere Tourneetermine. Aber spätestens, als das Thema Ukrainekrieg in den Publikumsfragen überhandnimmt, scheitert das Konzept. Während Sonneborns Standpunkt sich dankenswert knapp auf „Verhandlungen) reduzieren lässt, sagt der sonst so scharfsinnige Gysi allen Ernstes, man müsse einfach nur mal knallhart mit Putin reden, wie es mit den umkämpften Gebieten weitergeht. Dass da noch niemand drauf gekommen ist!?! Hoffentlich hat das Friedensnobelpreiskomitee seine Scouts nach Heidelberg geschickt.
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