Käufliche Liebe (mit Fotostrecke)

Wie sich die Krisen der Zeit in einem Heidelberger Bordell niederschlagen

Auch das vermeintlich älteste Gewerbe der Welt funkt wegen Umsatzverlusten SOS. Ein Besuch im Eros-Center Bienenstock macht klar, warum Corona, Krieg und Inflation vor allem auch Prostituierte in unangenehme Milieus zwingen

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Stephan Alfter
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Ein Blick in eines der Zimmer im Heidelberger Bordell. Der „Bienenstock“ war 2015 das erste Laufhaus, das als Passivhaus konzipiert war. © Thomas Lohnes (3)/Privat

Heidelberg. Jenny reibt sich eine Feuchtigkeits-crème ins Gesicht, während sie am Donnerstagnachmittag nur mit einem Tanga und einem BH bekleidet im Türrahmen des größten Heidelberger Bordells steht. Im Hintergrund ist zu hören, wie ein Zug die Bahnstadt erreicht. Zwei Männer laufen den etwa 25 Meter langen Gang entlang, der ganz in Rot getaucht ist. Sie sind auf der Suche nach einem schnellen Sex-Abenteuer. 20 Minuten à 50 Euro - das markiert das untere Ende der Preisskala, die zumindest theoretisch nach oben offen ist. Jenny möchte jetzt nicht über Geld reden. Es ist 13.45 Uhr, und das beleuchtete Schild, das am Ende des Flurs auf den Fluchtweg hinweist, lässt Raum für Spekulationen.

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Die Geschäfte - sie laufen nicht mehr so gut. Das sagt Kalle S. (kl. Bild links) gleich zu Beginn des Treffens in seinem Büro. Hinter ihm steht - vielleicht aus besseren Zeiten - eine vergoldete Magnumflasche mit perlendem Inhalt. Es riecht nach kaltem Rauch. Kalle S. betreibt den Bienenstock - ein Laufhaus, das in Deutschland kurzzeitig überregionale Bekanntheit erlangte, als die „Bild“ im Jahr 2015 titelte: „In unserem Bordell ist alles Bio - in Heidelberg eröffnet der erste Passivhaus-Puff.“

Teuerstes Jahr der vergangenen Dekaden?

Damit wäre dann auch der Bogen geschlagen ins Jahr 2023 - ein Jahr, das sich im Hinblick auf Energiekosten als das teuerste der vergangenen Dekaden herausstellen könnte. Zwar hilft das Passivhaus Kalle S. noch etwas, aber auch er ahnt, das seine Heizkosten deutlich zunehmen werden. „Wir können die Frauen ja nicht bei 16 bis 18 Grad in ihren Zimmern sitzen lassen“, sagt die weiche Seite das 61-Jährigen, die wie der verständnisvolle Herbergsvater dieses Freudenhauses klingen möchte.

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Die harte Seite des Geschäftsmanns, der jeden Tag gerne 30 Zimmer an Sexarbeiterinnen vermieten würde, hat auch die Zahlen im Blick. 40 bis 50 Prozent weniger Umsatz als vor der alles verändernden Pandemie muss er konstatieren. Ist seine Existenz schon gefährdet? Kalle S. weicht solchen Fragen gerne aus und verweist auf die Prostituierten, die für mehr als 100 Euro am Tag Zimmer bei ihm mieten. Waren es im Jahr 2019 in der Tendenz noch 25 Frauen, die man hier täglich antreffen konnte, so sind es nun nur noch 15. Es mag unsensibel klingen - aber auch hier läuft der Laden nach Angebot und Nachfrage.

Hat während der Pandemie viele Menschen auf Corona getestet: Jenny © Thomas Lohnes

Jenny scheint nicht zu frieren, während sie - noch immer im Türrahmend stehend - weiter Crème über ihr Gesicht verteilt. Zu ihrem „Chef“ hat sie großes Vertrauen. Sie erzählt frei von der Seele weg, dass sie einige Kunden verloren habe während der Pandemie. Vor allem die Rentner kämen - womöglich aus Angst vor Covid-19 - nicht mehr so häufig. Ihr ältester Freier sei 93 gewesen. Insgesamt habe sie jedoch keine Kundschaft eingebüßt. Sie sei indes vielleicht ein Sonderfall. Die Tatsache, dass sie während der Pandemie übergangsweise Corona-Tests vorgenommen habe, habe ihr neues Publikum beschert, sagt sie. Anders sieht es bei Kolleginnen aus.

Mehr Frauen in der Illegalität

Es ist kein Geheimnis mehr, dass sich Prostitution, die man heute oft Sexarbeit nennt, wieder in weniger transparente Bereiche verlagert hat. Als wegen des Sars-CoV-2-Virus Bordelle über teilweise sehr lange Zeiträume nicht betrieben werden durften, lebte ein kleinerer Teil der Frauen von den November- oder Dezemberhilfen der Bundesregierung, während ein anderer Teil der Damen Wege suchte, um weiter Geld zu verdienen. John Heer (kl. Bild rechts) weiß, wo viele gelandet sind: In Wohnungen, Hotels und Gebäuden, die dafür weder konzessioniert noch geeignet sind. Also in der Illegalität - auch wenn Prostitution selbst nicht strafbar ist. Heer ist Vorstandsvorsitzender des Verbands Deutscher Laufhäuser, der sich im April 2021 formiert hat. Der Stuttgarter Betreiber zweier Bordelle sorgt sich augenscheinlich um die Prostituierten selbst und ist der Ansicht, dass die Damen in den „klassischen“ Laufhäusern ihrer Beschäftigung viel geschützter nachgehen können als in versteckten Wohnungen. Die sind von Behörden als Betriebsstätte weder genehmigt, noch unterliegen sie dem Kontrolldruck. Die Ordnungsbehörden kontrollierten stattdessen immer angemeldete Betriebe.

Für Fahndungen nach den illegalen Domizilen gebe es gar kein Personal, sagt Heer. So hätten Vergewaltigungen in diesen Bereichen zugenommen. Das mit konkreten Zahlen zu untermauern, dürfte ihm allerdings schwer fallen. Fakt ist, dass sich im Internet Portale finden lassen, die konkrete Hinweise darauf enthalten, wo Frauen ungeschützten Sex in unangemeldeten Wohnungen betreiben. Das AO Forum (Alles-Ohne-Forum) gliedert nach Städtesuchfunktion auf, wer, was, wo anbietet. Ohne Gummi. Natürlich finden sich auch in Heidelberg einige Örtlichkeiten.

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Die Ordnungsbehörden könnten diese Portale nutzen, um Prostitution in versteckten Bereichen aufzudecken. Dass sie das ernsthaft tun, daran zweifelt John Heer. Das Gesetz zum Schutz von Prostituierten vom Juli 2017 werde sukzessive wieder ausgehebelt - auch weil es Politikerinnen wie Leni Breymeier (SPD) gebe, die auf dem Standpunkt stehen, dass Prostitution an sich wieder verboten werden solle. Sie macht sich für das sogenannte nordische Modell stark. Die Frauen sollen straffrei bleiben und den Männern solle Sexkauf verboten werden. Breymeier wehrt sich gegen die Haltung, dass man gegen Geld mit Prostituierten machen könne, was man wolle.

„Die Verrohung nimmt zu“

32 800 angemeldete Sexarbeiterinnen gab es in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Jahr 2018. Ende 2022 sind es nach Angaben Heers noch rund 22 000, die im System bekannt sind. Inklusive einer Dunkelziffer rechnet der Mann mit rund 60 000 Prostituierten in Deutschland insgesamt. Jahrelang war man seit den 80er Jahren davon ausgegangen, dass in Deutschland 400 000 Sexarbeiterinnen ihre Dienste anbieten.

Jenny ist seit 20 Jahren in diesem Gewerbe unterwegs. Manche wollten gar keinen Sex. „Sie bezahlen mich dafür, dass ich mit ihnen Fußball im Fernsehen schaue“, erzählt sie. Was sie allerdings umgekehrt ebenfalls festgestellt hat: „Immer mehr wollen ohne Gummi.“ Kalle S. sagt: „Die Verrohung der Gesellschaft nimmt zu.“ Zum Beispiel habe die älteste Prostituierte im Haus, die über 60 Jahre alt ist, immer öfter junge „Teenies“ (über 18) als Kunden.

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Das mit dem Gummi laufe quasi auf Erpressung raus, ahnt auch Heer. Entweder ohne Gummi, oder ich gehe zu einer anderen. Diese „anderen“, die es ihren Kunden billiger „besorgen“, zahlen aber keine Tagesmieten von 130 Euro, sondern verkehren in den genannten ungeschützten Bereichen. Kalle S. tut sich schwer, offen über den Rotlichtbereich zu sprechen. Und das, obwohl er seit 1990 im „Business“ ist. „Wenn die Presse berichtet, dann geht das fast immer gegen uns aus“, ist seine Erfahrung. Kalle S. ist einer, den seine Erfahrungen sichtbar geschliffen haben. Ein Zuhälter ist er nicht. Er steht auf dem Standpunkt, dass es ihm gut geht, wenn es den Frauen gut geht.

Ob das tatsächlich so ist, ist nur schwer zu erfahren. Ein Pfarrer, der die Einrichtung regelmäßig besucht, sagt uns, dass die Sorgen der Sexarbeiterinnen jenen der übrigen Menschheit sehr ähnlich seien. Manche sorgten sich um ihre Kinder, andere um die Gesundheit ihrer Eltern oder das eigene Auskommen. Vor allem bei Osteuropäerinnen sei eine engere religiöse Bindung spürbar. Andere Frauen wiederum lehnten Gespräche und Kontakt zu ihm als Pfarrer eher ab.

Um mehr über die Sorgen von Sexarbeiterinnen zu erfahren, könnte ein Austausch mit dem Diakonischen Werk helfen. „Anna“ heißt das Beratungsangebot. Am Freitag erfährt man, dass eine der beiden Mitarbeiterinnen ausgeschieden und die andere in Elternzeit ist. Eine neue Kraft möchte ohne ihren Vorgesetzten nichts sagen. Man fragt sich unwillkürlich, ob eine Prostituierte hier schnelle Hilfe bekäme, wenn sie darauf angewiesen wäre, während Jenny sich auf einen neuen Kunden einstellt. Ihre Tür zu Zimmer 303 steht jetzt wieder offen.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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