Heidelberg. Zu zweit oder zu dritt laufen die Studierenden bedächtig am Altar vorbei und legen weiße Rosen an jenen Platz in der Kirche, an dem schon Kerzen brennen. Es ist deutlich zu erkennen, wie schwer den jungen Menschen dieser Gang fällt. Einige von ihnen waren Augenzeugen und litten selbst unter Todesangst, als am 24. Januar ein 18-Jähriger in einen laufenden Kurs der Biowissenschaften stürmte und mehrere Schüsse abgab. Eine 23-Jährige starb später an den Folgen des Angriffs, drei weitere Kommilitonen des Attentäters wurden verletzt. Mit einer bewegenden Gedenkfeier hat die Universität am Montagmittag nun das Geschehen genau eine Woche zuvor verarbeitet.
Zusammensein und Tee trinken
Weiße Dahlien, Rosen und Fresien sind kunstvoll zu Gebinden gesteckt im Inneren der ältesten Kirche der Stadt. Mehr als 800 Jahre alt ist die Universitätskirche. Die Peterskirche stand am Abend der Tat zum ersten Mal und danach immer wieder jeden Tag offen. „Ohne Worte, einfach zusammensein“, beschreibt Universitätsprediger Helmut Schwier das Treffen „so vieler“. Auch die Gesprächsangebote würden sehr stark angenommen: „400 Becher Tee“ seien allein beim ersten Seelsorgetag ausgeschenkt worden.
Die Ministerinnen Theresia Bauer (Wissenschaft) und Marion Gentges (Justiz) sowie die Minister Thomas Strobl (Inneres) und Danyal Bayaz (Finanzen) sind in der Peterskirche dabei, als um 12 Uhr mit gut 200 geladenen Gästen die rund anderthalbstündige Zeremonie beginnt. Rund 20 Minuten später legt sich knapp eine Minute Stille über das Kircheninnere. Stadt und Universität hatten vorab zu einer Schweigeminute in Heidelberg aufgerufen. Von draußen tönt das Geläut herein und begleitet diese Sekunden innigsten Gedenkens.
„Gab es Anzeichen, Signale?“ stellte Innenminister Thomas Stobl eine der Fragen, die viele bewegen. Aber: „Die Abgründe der Seele sind nicht immer einsichtbar.“ Rektor Bernhard Eitel sprach von einem „grausamen Anschlag, mitten unter uns“ und auf eine Attacke „auf unsere wissenschaftliche Lebensform“. Aber: „Wir stehen zusammen, bleiben offen, ziehen uns nicht in ein Schneckenhaus zurück“, versprach Eitel.
„Hier stehe ich, und kann es immer noch nicht fassen, was geschehen ist“, sagte der Sprecher der Verfassten Studierendenschaft, Peter Abelmann. „Es war reiner Zufall, dass jene Opfer wurden und nicht wir“. Nun müsse man sich an das erinnern, was uns zu Menschen mache: „Ein freundliches Wort, eine ehrliche Geste: Wir als universitäre Gemeinschaft haben bereits in den ersten Stunden nach der Tat bewiesen, dass für einander da sind.“
Stadtchef Eckart Würzner versetzte sich in die Situation der Eltern der 23-Jährigen, die aus Landau stammte: An der Uni hatten die Präsenzveranstaltungen gerade erst wieder begonnen. „Die Ermordete studierte im ersten Semester Biowissenschaften, ein Fach, für das ein sehr gutes Abi mit sehr guten Noten auch in Mathe und Englisch erforderlich ist. Sie hatte im Herbst die Zusage für den Studienplatz erhalten. Die ganze Familie wird sich mit ihr gefreut haben.“ Er betonte: „Ganz Heidelberg steht an der Seite der Angehörigen. Die Universität und die Stadt sind untrennbar miteinander verbunden. Heidelberg ist eine freie, weltoffene, vielfältige und lebendige Stadt. Wir lassen uns nicht durch die Angst lähmen“, formulierte Würzner. „Auf einmal scheinen die Leichtigkeit und Offenheit in Frage gestellt. Es gibt keine absolute Sicherheit. Wir brauchen Grundvertrauen, um miteinander zu leben und zu studieren“, sagte der Evangelische Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh.
Innenminister sichtlich bewegt
Christiane Bindseil war als Seelsorgerin am Tatort im Einsatz. Wie Markus Brutscher von der Katholischen Hochschulgemeinde und Marie Burmeister von der Fachschaft Theologische Fakultät sowie Michael Dahlinger aus dem Feuerwehr-Seelsorgeteam Rhein-Neckar gestaltet sie die Gedenkfeier mit, in dem sie an die getötete Studentin erinnert. Deren Name wird bei der Gedenkfeier genauso wenig genannt wie die des Täters, der aus Berlin gerade nach Mannheim gezogen war.
Noch sichtlich bewegt von der Trauerfeier zeigten sich Würzner, Eitel, Bauer, Strobl und der Landesopferbeauftragte Alexander Schwarz bei der anschließenden Pressekonferenz in der Aula der Neuen Universität. Es sei „sehr sehr deutlich zu spüren, dass die Universität zusammensteht“, lobte Bauer.
„Bitte nehmen Sie diese Hilfe in Anspruch. Das ist ein Erlebnis, das Sie nicht mehr loslässt. Vielleicht jede Nacht nicht“, appellierte Strobl an alle Betroffenen, sich zu melden.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Türen öffnen sich in der Trauer für Heidelberg