Heidelberg. Der Tod ordnet die Welt neu, scheinbar hat sich nichts verändert, und doch ist die Welt für uns ganz anders geworden: Dieses Zitat des französischen Autors Antoine de Saint-Exupéry hat Heidelbergs Stadtchef Eckart Würzner ins Zentrum seiner Rede bei der Gedenkfeier gestellt. Nach dem Geschehen am Montag vor einer Woche gehen Stadt und Universität mit der Trauer sehr behutsam und verantwortungsvoll um. Das ist bei der Gedenkfeier spürbar geworden.
Ein 18-Jähriger stürmt in einen Kurs für Erstsemester, tötet eine Kommilitonin und verletzt drei weitere Studierende, bevor er sich in der Nähe des Tatorts erschießt. Werden die Augenzeugen je wieder angstfrei einen Hörsaal betreten können? Mit welchen Gedanken gehen die beiden Mitarbeiter, die vom flüchtenden Täter im Flur bedroht wurden, künftig an ihre Lehrtätigkeit? Der Hörsaal, der zum Tatort wurde, bleibt leer – möglicherweise für immer. Aber der Unibetrieb muss weitergehen.
Verändert hat dieser 24. Januar nicht nur das Leben der 30 Studierenden, die eigentlich Organische Chemie pauken sollten. Die gesamte Universität, die Stadt und viele Menschen weit darüber hinaus sind fassungslos und knabbern an der Frage: „Warum?“ Eine zufriedenstellende Antwort wird es nicht geben, selbst wenn die möglichen Motive des Schützen irgendwann besser ausgeleuchtet sind.
Die vier großen Religionen waren bei der Trauerfeier vereint – ein wunderbares Signal. Und gedacht wurde nicht nur der Angehörigen der ermordeten Studentin und der Augenzeugen, sondern auch der Eltern des Täters, die ebenfalls ihr Kind verloren. Das muss nicht jeder so nachempfinden. Respekt und Toleranz sind indes im Schmerz ebenfalls wichtige Werte.
Die bisherige Selbstverständlichkeit, sich frei auf dem Unigelände bewegen und begegnen zu können, wird durch die Tat in Frage gestellt. Doch Rektor und Wissenschaftsministerin halten das „Semper apertus (lateinisch: immer offen)“, den Leitspruch der Heidelberger Universität, dagegen. Gespräche und die Möglichkeit, im geschützten Raum wie etwa in der seit der Tat offenen Studentenkirche Trauer und Ängste zu teilen, sind wunderbare Mittel, die Gemeinschaft zu stärken. Uni, Kirchen und Institutionen machen das gut.
„Der Tod öffnet unbekannte Türen“, lautet ein Aphorismus, dessen Verfasser nicht überliefert ist. In den vergangenen acht Tagen haben sich in Heidelberg schon einige Türen geöffnet, die vorher weniger wahrgenommen wurden. Das gibt Zuversicht.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Türen öffnen sich in der Trauer für Heidelberg
Michaela Roßner über die Trauer der Stadt Heidelberg