Heidelberg. Den ganzen Sommer über müssen die Vereinsführung und die aktiven Sportler des TSV Pfaffengrund improvisieren: Ihr Sportplatz ist gerade eine große Baustelle. Im Herbst soll alles fertig sein – auch der Kunstrasenplatz, der den alten Rasenplatz ersetzt. Warum es dazu keine echte Alternative gab und was der neue Platz mit Zuckerrohr zu tun hat, erklärten Oberbürgermeister Eckart Würzner sowie Verantwortliche des städtisches Sportamts und der Baufirmen bei einem Pressetermin am Montagmittag.
Mehr als ein Drittel des städtischen Sportstätten-Investitionsvolumens insgesamt, sechs Millionen Euro, fließt in die rund 50 Jahre alte Sportanlage. Martina Gernold-Kunzler, Vorsitzende des TSV Pfaffengrund 1949, und ihre Vereinskollegen hatten seit Jahren für die Modernisierung des Platzes gekämpft, erinnert Würzner.
Im November 2023 gab der Gemeinderat schließlich die Mittel frei. Das Kleinfeldspiel war nach Zerstörungen nicht mehr benutzbar, mehrere Komponenten der Leichtathletik-Anlage defekt, die Bewässerung des Platzes war fehleranfällig, die Flutlichtanlage ein Stromschlucker. Mehr als 1000 Mitglieder zählt der TSV, davon sind 400 Kinder und Jugendliche. Von Turnen über Fußball, Volleyball und Tennis bis zu Leichtathletik, Kampfsport, Kegeln und Cricket reicht das Angebot. Als Stützpunkt „Integration durch Sport“ werden Menschen mit Fluchtgeschichte integriert. Wenn der Platz im Herbst fertig sein wird, bekommt er einen neuen Namen: Emil-Kühnle-Sportanlage. Der Pfaffengrunder Kühnle war ein besonderer Förderer des Sports und besonders des Fußballs.
Diskussion im Sportausschuss zu den Plastik-Halmen
Dass der neue Platz im Herbst fertig wird, wäre bei einem herkömmlichen Rasenplatz eher ungünstig – denn der benötigt eine Winterpause. Der TSV Pfaffengrund indes bekommt nun einen Kunstrasenplatz. Dabei sitzen die Halme zwischen Granulat auf einer elastischen Bodenplatte. Laut einer Fraunhofer-Studie gibt es inzwischen mehr als 9000 Kunstrasenplätze in Deutschland. Mit etwa 500 000 Euro brutto ist der Bau eines Kunstrasenplatzes zwar etwa doppelt so teuer wie die Naturvariante. Auf längere Sicht sei das aber günstiger, weil kaum Pflege, wenig Wasser und kein Dünger notwendig sind – vor allem aber, weil der Platz fast das ganze Jahr über genutzt werden kann. „Ob das Sinn ergibt und der Nutzung entspricht, muss man sich von Platz zu Platz anschauen“, fasst Würzner zusammen. Gerade für intensiv genutzte Sportanlagen sei das aber sinnvoll.
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Die Universität Zürich hat beide Beläge verglichen: Die Herstellung und Entsorgung von Kunstrasen emittieren viel CO2, Naturrasen verbrauchen dafür deutlich mehr Wasser bei der Pflege. Durch Kunstrasen belasten Mikroplastikpartikel die Umwelt, durch Naturrasen Pestizide und Dünger. Im Pfaffengrund wird nun ein Kunstrasen der jüngsten Generation verbaut, erklärt Gerhard Baumann, der Ingenieur aus der Oberpfalz, der bereits andere Sportanlagen plante und realisierte: Die künstlichen Grashalme hier würden zu 80 Prozent aus „biobasiertem“ Kunststoff wie etwa Zuckerrohr hergestellt – und zwar aus der dritten Pressung, die nicht mehr für Nahrungsmittel zu verwenden sei. Die Produktion sei auf 100 Prozent Ökostrom umgestellt.
Exakt 1111 Unterschriften hat eine Petition der Heidelbergerin Franziska Metzbauer inzwischen gesammelt. Dabei geht es darum, dass der Platz des Heidelberger Turnvereins (HTV) an der Carl-Bosch-Straße zwischen Südstadt, Weststadt und Bahndamm, ebenfalls künstlich begrünt werden soll. „Das ließe eine riesige Hitzeinsel entstehen“, warnt die Initiatoren der „Change.org“-Petition. Kunstrasen wirke sich unmittelbar auf das Mikroklima in der Umgebung aus. Die Oberflächentemperatur von Kunstrasen im Vergleich zu normalem Gras steige im Sommer um 38 Grad, und in der Folge erhitzten sich die umliegenden Wohngebiete durchschnittlich um vier Prozent, warnt auch der BUND Heidelberg und verweist auf eine Fraunhofer-Studie zu Kunstrasenplätzen. Begegnen könne man der Hitzeentwicklung nur, indem man die Plastikfläche mit Grund- oder Trinkwasser beregnet. Andere befürchten eine höhere Verletzungsgefahr, etwa die Ruby-Spieler des TSV.
Bewässerung auch bei Kunstrasen notwendig
Bei der Frauen-Fußball-WM 2015 habe noch „die Feuerwehr anrücken müssen“, um den Kunstrasen zu befeuchten, weiß Baumann. Und er kenne Firmen, die wie „Teppichhändler“ zu Kommunen reisten, um Kunstrasen zu verkaufen. Ein hochwertiges Produkt sei wichtig, die Entwicklung des Untergrunds längst große Schritte weiter. Und: „Wir haben hier eine Beregnungsanlage eingebaut“, unterstreicht er. Dadurch werde ein Aufheizen verhindert, und der Untergrund sei weniger stumpf. Der Bewässerungsaufwand sei minimal, die Verletzungsgefahr auf feuchtem Untergrund geringer bei Hitze. Je nach Pflege und Nutzungsgrad würde ein Kunstrasen 15 bis 20 Jahre halten, bevor er recycelt werde.
Apropos: Bei der Sanierung der gesamten Sportanlage im Pfaffengrund sind 5500 Tonnen Material nicht abtransportiert und entsorgt, sondern in der neuen Anlage verbaut worden. So erreichte man ein weniger starkes Gefälle – „die Sportanlage haben wir angehoben“, sagt Baumann.
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