Hoffnung auf Neuanfang

Tradition in Heidelberg: Zuckerladen-Abschied vereint Generationen

Die Menschen stehen Schlange vor dem kultigen Heidelberger Zuckerladen, der nach vielen Jahren schließen muss. Sie hoffen auf eine Fortsetzung an einem neuen Standort

Von 
Filip Bubenheimer
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Marion und Jürgen Brecht beim Schlussverkauf im "alten" Zuckerladen. Sie unterstützen ihre Nachfolgerin beim Neuanfang. © Philipp Rothe

Heidelberg. Gegen halb elf stehen auf dem schmalen Gehsteig vor dem Zuckerladen mehr als zwanzig Menschen Schlange. Viele Jugendliche, Familien mit Kinderwägen, ein Mann mit Rollator. Ganz vorne wartet Manfred Luckas. Er ist bereits seit einer Stunde hier, hat sich auf die Stufen vor der Ladentür gesetzt und liest Zeitung. Er komme im "Eigeninteresse", aber auch im Auftrag seiner Tochter, sagt Luckas.

Sie hat sich ein Schnabeltier und eine Kröte aus Schaumgummis gewünscht - als Gruß aus dem Laden, der an diesem Samstag zum letzten Mal in der Plöck 52 und unter der Regie von Marion und Jürgen Brecht öffnet. "Meine Tochter ist schon als Kind hier hergekommen, inzwischen erwachsen und bedauert das sehr", erläutert Luckas.

Jahrzehntelang "Kult" in der Heidelberger Altstadt, schließt der Zuckerladen nun. Vor dem Geschäft in der Plöck 52 bildet sich eine lange Schlange. © Philipp Rothe

Eigentlich wollten die Brechts schon am 3. Februar zum letzten Mal hinter der Theke stehen und den Laden dann an eine neue Inhaberin übergeben. Doch die Eigentümerin der Immobilie möchte nicht mehr weiter vermieten. Also braucht es einen neuen Standort - und es bleibt vorerst unklar, ob und wo der Zuckerladen wieder aufmachen wird. Wie auch immer es weitergeht, die Brechts müssen die Vorräte nun bei einem Ausverkauf unter die Leute bringen.

Ausverkauf im Heidelberger Zuckerladen: Endgültiger Abschied?

Hinter Manfred Luckas steht Maria Kögler an. Sie sei schon vor zwei Wochen hier gewesen und habe viereinhalb Stunden vor dem Laden gewartet, berichtet Kögler. Zum ersten Mal habe sie vor zehn Jahren als Studienanfängerin hier eingekauft. Ihr Nachbar in der Schlange, Christoph Jöst, ist zusammen mit seinem Sohn Paul aus Wilhelmsfeld gekommen. Paul mag im Zuckerladen "eigentlich alles", besonders aber die Brausestangen. "Die hat der Papa schon gegessen", ergänzt Christoph Jöst. Er sei mit 16 zum ersten Mal in dem 1986 eröffneten Laden gewesen.

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Um kurz nach elf sperrt Jürgen Brecht die Ladentür auf. In den Regalen stehen hunderte Papiertüten mit verschiedenen Mischungen aus dem Sortiment - zusammengestellt "bis tief in die Nacht", wie er berichtet. Es gibt allein vier verschiedene Lakritz-Mischungen - "Mix total", "Mix Tendenz salzig", "Mix (total) süß" und "Specials/Gourmet Lakritz". Die Abweichung vom Prinzip des Einzelverkaufs sei "eigentlich gegen unsere Auffassung", erzählt Marion Brecht. Doch die vorgefertigten Tüten und 50 % Rabatt sollen sicherstellen, dass am Ende keine Reste bleiben.

Tradition und Gemeinschaft: Das Herz des Zuckerladens in Heidelberg

Einzigartig am Zuckerladen sei vor allem, "dass man sich hier ein bisschen Zeit nimmt", sagt die Kundin Maria Kögler. Für Christoph Jöst gehört dazu auch das Würfeln an der Theke, bei dem jeder Kunde noch eine Kleinigkeit gewinnt. Diese Traditionen halten die Brechts auch im Gedränge des Ausverkaufs hoch. Die Zeit für das Würfeln, ein Schwätzchen mit Stammkunden oder eine Umarmung zum Abschied muss sein.

Jahrzehntelang "Kult" in der Heidelberger Altstadt, schließt der Zuckerladen nun. Vor dem Geschäft in der Plöck 52 bildet sich eine lange Schlange. © Philipp Rothe

Der Ausverkauf fühle sich anders, auch trauriger an als der ursprünglich als Abschluss gedachte letzte Verkaufstag vor zwei Wochen, erzählt Marion Brecht. Denn nun ist sicher, dass der Laden zumindest an diesem Ort nicht weiterbestehen wird. "Das hat schon noch eine andere Dimension", sagt Brecht. Der Laden in der Plöck 52 sei ein Raum für viele Begegnungen und Gespräche gewesen. "Die Welt kam zu uns", fasst sie es zusammen.

Zukunft des Zuckerladens: Hoffnung auf einen Neuanfang

Draußen in der Warteschlange steht Eileen Nagler aus Ludwigshafen. "Der Charme des alten Ladens" sei schon besonders. Aber sie würde dem Zuckerladen auch an einem neuen Standort die Treue halten. Auch Daniel Janssen aus Heidelberg hofft auf eine Fortsetzung. "Jürgen und Marion kann man nicht ersetzen, aber man kann den Geist wachhalten", sagt er. Und für Kinder, die in Zukunft einen "neuen" Zuckerladen besuchen könnten, werde eben dieser "das Original" sein.

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Neuigkeiten zur Suche nach einem Nachfolgestandort gibt es allerdings noch nicht. "Wir haben unendlich viele Tipps und Hinweise bekommen", sagt Marion Brecht. "Gefühlt jeder zweite Heidelberger weiß Bescheid." Auch aus dem Umland, sogar aus Weinheim, wurde Interesse angemeldet. Aber jeder Ortswechsel sei auch ein Risiko, sagt Brecht. Ob und wo es weitergeht, entscheidet letztlich die neue Inhaberin. Die Brechts müssen nun erst mal bis Mitte März ihren Laden ausräumen und, abhängig von den weiteren Entwicklungen, das Mobiliar einlagern.

Manfred Luckas verlässt den Laden nach einer guten Viertelstunde wieder - zwar weder mit Schnabeltier noch Kröte, aber zumindest mit einem "Hamburger" und, verpackt in eine neongrüne Socke, einer Raupe aus Schaumgummis. Auch die zweite Socke hat ihm Marion Brecht der Vollständigkeit halber mitgegeben. Die Schlange ist in der Zwischenzeit weiter gewachsen. Auch Daniel Janssen wartet geduldig weiter - auf eine Tüte Süßes und auf "die Zeit, die Ruhe, und das Freche" des Zuckerladens.

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