Landau. „Das Tragen von Masken ist tödlich, das AIDS-Virus wurde vom amerikanischen Geheimdienst entwickelt. Oder: Der CO2-Ausstoß hat keinen negativen Einfluss auf den Klimawandel.“ Falschnachrichten existieren vermutlich schon seit der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg um 1440 – oder es gab sie sogar noch früher.
Heute werden sie aber durch soziale Medien in einem kaum vorstellbaren Tempo durch die ganze Welt verbreitet, dass fast schon eine Pandemie der Falschinformationen diagnostiziert werden muss. Die Folgen sind in der Gesellschaft spürbar: Diskussionen werden verletzender, Gräben zwischen verschiedenen Gruppierungen tiefer, und unterschiedliche Weltbilder stehen sich oftmals unversöhnlich gegenüber.
Und Journalistinnen und Journalisten? Wie informieren Medien der Wahrheit entsprechend? Und was ist das überhaupt, die Wahrheit? Es waren die grundsätzlichen Themen, die beim zweitägigen Treffen der Medienbranche in Landau, den Südwestdeutschen Medientagen, auf der Agenda standen.
Alles ist zu bezweifeln, alles ist Meinung. Es gibt keine Fakten mehr
Und es waren kluge Gedanken zu der Frage „Was ist Wahrheit?“, die der Tübinger Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen auf dem Hambacher Schloss am Dienstagabend präsentierte. Brauchen wir überhaupt noch eine Wahrheit, wenn doch sowieso jeder in seinem geschlossenen Weltbild lebt? Das war eine der Leitfragen, die Pörksen aus verschiedenen theoretischen Perspektiven bearbeitete.
Wer sich bereits in seinem Weltbild abgeschottet hat, für den gilt laut Pörksen: „Alles ist zu bezweifeln, alles ist Meinung. Es gibt keine Fakten mehr.“ Dennoch wirbt der Kommunikationswissenschaftler für den Diskurs. Nur wer miteinander in Dialog tritt, kann den anderen verstehen lernen. Es gehe also nicht um die konkrete Antwort, sondern um das Gespür für die Situation.
Viel Vertrauen in Zeitungen
Doch wie hilft das den Redakteurinnen und Redakteuren, beispielsweise von regionalen Tageszeitungen, umfassend und faktenorientiert zu berichten? Immerhin zeigt eine aktuelle Studie des Instituts für Publizistik der Universität Mainz und des Instituts für Sozialwissenschaften der Universität Düsseldorf, dass 60 Prozent der deutschen Bevölkerung Lokal- und Regionalzeitungen für vertrauenswürdig halten. Das ist ein hohes Gut, das Medienschaffende auf keinen Fall verspielen sollten und wollen. Darin herrschte in Landau auch weitgehend Einigkeit.
Die Südwestdeutschen Medientage sind eine Veranstaltung der Evangelischen Akademie der Pfalz in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz, dem Frank-Loeb-Institut an der Universität Kaiserslautern-Landau, den Tageszeitungen „Mannheimer Morgen“ und „Die Rheinpfalz“ sowie dem Deutschen Journalistenverband (DJV) Rheinland-Pfalz, dem Verein Medienebene und der Medienanstalt Rheinland-Pfalz.
Letztere war es auch, die auf die Gefahr von Falschinformation und besonders Hassnachrichten in den sozialen Netzwerken hinwies. So sei es beispielsweise hoch problematisch, dass der Kurznachrichtendienst Twitter unter seinem Besitzer Elon Musk aus dem EU-Pakt gegen Desinformation ausgetreten sei, kritisierte der Direktor der Medienanstalt Rheinland-Pfalz, Marc Jan Eumann. Die Meinungsfreiheit müsse geschützt werden, in dem die Gesellschaft Hassrede bekämpfe. Entsprechende Beiträge sollten daher verfolgt und gelöscht werden.
In den Redaktionen spielt der Umgang mit Wahrheit täglich eine zentrale Rolle. Das machten „MM“-Nachrichtenchefin Madeleine Bierlein und SWR-Journalist Thomas Nettelmann deutlich. Bierlein unterstrich, wie schwierig es auch als Journalistin sei, einem geschlossenen Weltbild voller Vorurteile und Unwahrheiten mit Fakten zu begegnen.
Gefahr für die Gesellschaft
Natürlich sei es wichtig, Desinformation als solche zu entlarven und ihr entgegenzutreten. Gleichzeitig sollten Medien aber auch immer wieder thematisieren, welch gefährliche Wirkung „Fake News“ auf eine Gesellschaft haben. Und letztlich gehöre auch ein Stück journalistische Demut dazu: „Unser aktuelles Wissen muss nicht immer die universelle Wahrheit sein. Vielmehr sollten wir deutlich machen, dass wir immer nur das berichten, was jetzt dem Wissensstand entspricht“, betonte Bierlein.
SWR-Redakteur Nettelmann ergänzte: „Wahrheit braucht Zeit.“ Das Tempo, in dem besonders über soziale Netzwerke falsche Informationen verbreitet würden, dürfe Journalistinnen und Journalisten nicht irritieren. „Recherche braucht eben manchmal Zeit, und da dürfen wir uns von den sozialen Medien nicht treiben lassen“, sagte Nettelmann.
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