Für Journalisten und Wissenschaftler ist die Suche nach der Wahrheit Tagesgeschäft. Doch wie funktioniert Wahrheit in einer Zeit, in der der Begriff immer stärker unter Druck gerät? Bei den 7. Südwestdeutschen Medientagen in Landau unterhalten sich seit Dienstag vorwiegend Journalisten, aber auch Pressesprecher, PR-Manager und Kirchenvertreter über ihren Beruf und die besonderen Herausforderungen in einer Phase, da die Branche den größten Wandel seit Jahrzehnten erlebt. Nie standen Menschen den klassischen Medien kritischer gegenüber, selten waren Tageszeitungen derart unter Druck. „Lügenpresse“ ist eines der Schlagworte dieser sogenannten postfaktischen Epoche.
Bernhard Kleeberg ist Professor für Wissenschaftsgeschichte in Erfurt. Nach seiner Überzeugung, die er in seinem Auftaktvortrag in Landau darlegte, erzeugt die Auseinandersetzung darüber, was „wahr“ und „unwahr“ ist, Stress und führe folglich zur Kommunikation zwischen verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Gruppen. Die Debatte über die Wahrheit habe eine wichtige soziale Funktion: Sie motiviere Menschen, bei politischen oder gesellschaftlichen Fragen Stellung zu beziehen. Allerdings führten Wahrheitsansprüche auch zu Ausgrenzungen. „Wer die Wahrheitsfrage stellt, der stellt die Machtfrage“, sagte Kleeberg. Aufgabe besonders von Schulen sei es, die Menschen beim Prüfen von Informationen in Gesellschaft und Medien zu unterstützen. Ein Zeitalter ohne Rufe nach allgemeingültiger „Wahrheit“ wäre wünschenswert, so der Wissenschaftler.
Wie funktioniert eigentlich das Zusammenspiel zwischen Pressesprechern und Journalisten? Über diese Frage unterhielten sich „MM“-Nachrichtenchef Marco Pecht und der Mainzer Kommunikationsmanager Andreas Valentin vor rund 70 Zuhörern. Ganz konkret fragte „MM“-Volontärin Vanessa Schmidt die beiden Gesprächspartner, an welcher Stelle womöglich die entgegengesetzten Interessen von politischer Kommunikation und politischem Journalismus zu Halbwahrheiten in der Berichterstattung führen könnten. Marco Pecht kritisierte, dass viele Politiker ausschließlich über eigene Social-Media-Kanäle mit der Öffentlichkeit kommunizierten. Diese Praxis sei „eines der zentralen Probleme des politischen Journalismus“. Pecht bemängelte, dass sich viele Berufspolitikerinnen und -politiker in Ministerien und Parteien in ihren Kommunikationskanälen eigene „Wahrheiten“ schafften. Sie glaubten, keinen Journalismus mehr zu benötigen. Journalisten hätten aufgrund mangelnder Ressourcen immer weniger die Möglichkeit, den Wahrheitsgehalt von Informationen zu überprüfen.
Ende auf dem Hambacher Schloss
Es sei unfair von Journalisten, Pressesprecher der mangelnden Zusammenarbeit oder gar der Lüge zu bezichtigen, sagte der frühere Sprecher des rheinland-pfälzischen Wirtschafts- und Verkehrsministeriums, Valentin. Vielmehr recherchierten manche Journalisten mangelhaft und maßten sich eitel an, „die Wahrheit zu wissen“. Sein Ende fand der erste Veranstaltungstag auf dem Hambacher Schloss, wo der Tübinger Medienwissenschaftler am Abend über die Frage der Wahrheitsillusion referierte.
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