Heidelberg. Es hätte auch ein kleinerer Saal genügt: Viele freie Plätze gab es bei der öffentlichen Kandidatenvorstellung zur Oberbürgermeisterwahl in Heidelberg am 6. November, zu der die Stadt am Donnerstagabend in den „SNP dome“ an der Speyer Speyerer Straße lud. Rund 400 Personen hielten sich laut Wahlleitung in der Spitzenzeit bei der Veranstaltung auf. Bis zu 600 Zuhörer hatte zudem die Live-Übertragung auf dem städtischen Youtube-Kanal.
Die, die sich einfanden, schienen vor allem Unterstützer von Amtsinhaber Eckart Würzner oder einem der anderen acht Kandidatinnen und Kandidaten zu sein. Nach drei Stunden Diskussion und Kandidatenvorstellung nahmen die Gäste auch kaum etwas Neues mit - ausführlich haben alle Bewerberinnen und Bewerber bereits in mehreren Podiumsdiskussionen, Stellungnahmen und Rundmails ihre Ideen für Heidelberg präsentiert.
Bürgermeister Wolfgang Erichson, stellvertretender Wahlleiter, erklärte den drei Frauen und sechs Männern auf dem Podium zunächst die strengen Regularien der begrenzten Redezeit und den Ablauf der Fragezeit: Wer etwas von den neun Kandidierenden wissen wollte, durfte es vorab auf ein Blatt Papier schreiben und es samt Umschlag in eine Wahlurne stecken, auf der jeweils ein Name vermerkt war. Da Erichson im Angesicht der ersten „Flüchtenden“ gegen 21 Uhr die Antwortzeit nach den ersten Fragen von zwei auf eine Minute verkürzte, endete die gesamte Veranstaltung bereits eine frühe Stunde als ursprünglich veranschlagt, um 22 Uhr.
Zehn Minuten Redezeit, die Reihenfolge bestimmt der Stimmzettel
Doch zunächst bekam jeder potenzielle Anwärter auf den Chefsessel im Rathaus exakt zehn Minuten, um sich und seine Ziele vorzustellen - in der Reihenfolge, in der die Namen auch auf dem Stimmzettel stehen werden.
Björn Leuzinger („Die Partei“) hatte einen haushaltsüblichen Plastikbeutel voller Karotten neben dem Mikrofon auf dem Pult liegen und rief am Ende dazu auf, „Wählt Möhren!“. Der 33-Jährige Chemielaborant ist vor drei Jahren von den Anhängern der Satirepartei in den Gemeinderat gewählt worden, wo er gerne grüne Positionen unterstützt. Das „werte Wahlvolk“ rief er dazu auf, nicht zum „Bauern-Opfer“ zu werden - in Anspielung an den Nachnamen der grünen Kandidatin Theresia Bauer. Amtsinhaber, den er despektierlich mit „Würzi“ bezeichnete, habe sowohl die Ochsenkopfwiese als auch die Wolfsgärten bebauen wollen und sei erst durch Bürgerentscheide gestoppt worden, kritisierte Leuzinger, und breitete ansonsten seine Visionen von öffentlichen Bierbrunnen auf alles Kreisverkehren und einen Zeppelin-Linienverkehr aus. Die Reaktionen darauf im Publikum waren, wie fast den ganzen Abend über, eher müde.
Bernd Zieger („Die Linke“) übernahm den Platz am Mikrofon und erklärte, dass er 2007 in die Partei eingetreten sei - auch als Reaktion auf „den größten Sozialabbau in der Geschichte der Bundesrepublik unter der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder“. In seiner kämpferischen Rede nahm er die schwierige Wohnsituation für Menschen mit geringem Einkommen, das von der Linken seit Jahren geforderte Sozialticket für den ÖPNV und das aus seiner Sicht notwendige Ende des Abrisses von Häusern etwa in Patrick-Henry-Village ins Zentrum. Zieger erinnerte daran, dass der Gemeinderat 2017 beschlossen habe, jedes Jahr 400 neue Wohnungen im geförderten Bereich geschaffen werden sollen: „Davon wurde fast nichts realisiert“, kreidete er an.
OB-Kandidat Würzner: "Sie kennen mich"
Als dritter Kandidat ging Würzner ans Pult. „Sie kennen mich“, begann er seine Vorstellung, die ganz ohne persönliche Angriffe auf Mitbewerberinnen und Mitbewerber auskam, auf das Bündnis für Familie einging und betonte, als Eltern von vier inzwischen erwachsenen Kindern und Großeltern „jede Kita und jede Schule in der Stadt“ zu kennen. Das großartige Sportangebot, das vor allem den Ehrenamtlichen in 120 Vereinen zu verdanken sei. Um das große Thema Wohnungsbau weiter zu verfolgen, kündigte Würzner an, ein neues Referat zu gründen, in dem die Kräfte gebündelt werden sollen. Auch auf die Kulturförderung ging der 2006 erstmals und 2014 wiedergewählte, unabhängige und von CDU und „Die Heidelberger“ unterstützte Kandidat ein: „Als ich ins Amt kam, war das Theater geschlossen, es gab keine Tanzsparte…“, verwies er auf das sanierte Theater, die neue Tanzsparte, das mit 30 Millionen Euro gebaute Haus der Jugend und den gerade mit einem Aufwand von 20 Millionen Euro umgebauten neuen Karlstorbahnhof. Auch wenn 79 Prozent der Heidelberger heute vor allem mit Rad und ÖPNV unterwegs seien, gebe es noch zu viele individualmotorisierte Pendler, kündigte Würzner weitere Anstrengungen für die Verbesserung des ÖPNV und der Radwegverbindungen an.
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Theresia Bauer kritisiert: Bei der Umsetzung fehlt das Tempo
Herausforderin Theresia Bauer (Grüne) ging sofort auf Konfrontationskurs zu ihrem Vorredner: „Weiter so kann kein Weg zum Erfolg sein“, kritisierte sie, dass ehrgeizige Ziele wie die Klimaneutralität 2030 nichts zählten, wenn „beim Umsetzen das Tempo fehlt“. Vier Bürgerentscheide mit deutlichen Mehrheiten gegen Beschlüsse des Gemeinderats wertete Bauer als mangelnde Kommunikation und fehlende frühzeitige Diskussion und Kompromissfindung. „Wir müssen gezielt Wohnraum schaffen für Menschen, die Heidelberg sonst verlassen werden“, verwies sie bisherige baden-württembergische Wissenschaftsministerin darauf, dass aus ihrer Sicht „im Rathaus mehr Aufmerksamkeit nötig ist für ganz normale Leute“. In Tübingen seien in den vergangenen 16 Jahren etwa 200 gemeinschaftliche Bau- und Wohnprojekte entstanden, in Heidelberg genau acht, verwies die Kandidatin auf weiteres Potenzial.
„Ich bin wütend“, erklärte Sofia Leser, die ebenfalls als unabhängige Kandidatin ins Rennen ging, ihre Motivation. „Mir reicht es mit dieser Art von Politik“, forderte sie mehr Basisdemokratie und „Transparenz“ - und nannte als Beispiel für Letzteres eine frühzeitige Information etwa über leerstehende Gebäude, damit frühzeitig Konzepte und Zwischennutzung in die Wege geleitet werden könnten.
Gut eine Stunde war vergangen, als Mathias Schmitz, ebenfalls von keiner Liste oder Partei offiziell unterstützt, vor allem über Klimaschutz und bezahlbares Wohnen sprach. „Ich möchte am Ende meiner ersten Amtsperiode als OB den Neckar zugefroren erleben“, verortete er Ursache der globalen Klimakatastrophe in lokaler Klimaerwärmung. Die neue Ziegelhäuser Brücke, so sein Vorschlag, solle „in die Mitte des Stadtteils“ verlegt werden.
Sören Michelsburg (SPD) forderte „keine Prestigeprojekte, sondern mehr Miteinander“: „Heidelberg kann zukunftsfähiger“, betonte der Pädagoge und Stadtrat aus Handschuhsheim. Wie mehrere Kandidierende forderte der Sozialdemokrat ein queeres Zentrum nach Vorbild Mannheims - und ein neues Hallenbad in der Stadt.
Alina Papagiannaki-Sönmez („Heidelberg in Bewegung“) machte sich stark für Inklusion und ein „gemeinsames Umdenken der Kommunalpolitik“ sowie ein „gerechteres Heidelberg“. Beiräte wie der Behinderten- oder Ausländerbeirat müssten ein Vetorecht bekommen, forderte die gebürtige Griechin, die sich als ehemalige Unternehmerin sowie als Pädagogin vorstellte. „Ich stelle mich zur Wahl, um zu gewinnen“, versteht sie sich als ernsthafte Kandidatin.
Sassan Khajehali (unabhängig) ist nach 2006 zum zweiten Mal OB-Kandidat. „Yalla, yalla“ lautet sein Wahlkampfslogan - eine Aufforderung, sich zu beeilen oder auf den Weg zu machen, wie er erklärt. Das alte Gefängnis Fauler Pelz, schlägt er vor, sollte ein selbstverwalteter Treffpunkt von Studierenden und anderen jungen Menschen werden.
Fragen aus dem Publikum
Nach der Einzel-Vorstellung schlossen sich die Runden mit Fragen aus dem Pubikum an - erst allgemeine Fragen, die nacheinander alle neun auf dem Podium beantworteten, dann je eine speziell an einen Bewerber oder eine Bewerberin gerichtet wurden.
„Warum sind heute so wenig Besucher hier?“: Diese letzte Publikumsfrage, die sich wohl alle im „SNP dome“ im Laufe des Abends gestellt hatten, durfte stellvertretend der als unabhängig antretende Kandidat Schmitz beantworten. Er diagnostizierte eine gewisse „Politikverdrossenheit“, philosophierte über die jüngsten Wahlbeteiligungen auf unterschiedlichen Ebenen. Schließlich endete er lächelnd mit: „Wenn alle Nichtwähler mich wählen, werde ich Oberbürgermeister.“ Dem war nichts hinzuzufügen - außer dem Dank an ein halbes Dutzend Auszubildenden, die den Abend organisiert und begleitet hatten.
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