Bestechungs-Vorwurf

Ex-Amtsleiterin der Zulassungsstelle packt aus

Als Referatsleiterin, räumt sie ein, habe sie von allen Vorgängen gewusst. Aber sie sei davon ausgegangen, dass ihre Vorgesetzten das massenhafte Geschäft mit den Kurzzeitkennzeichen rechtlich geprüft hatten

Von 
Michaela Roßner
Lesedauer: 
Im Obergeschoss der Landratsamt-Außenstelle war eigens für das Massen-Geschäft mit Kurzzeitkennzeichen eine 20-köpfige „Briefgruppe“ eingerichtet worden. © René Priebe

Heidelberg. „Mir ging es ausschließlich darum, meine Arbeit gut zu machen. Selbst wenn ich Fehler gemacht haben sollte, heißt das nicht, dass ich kriminell bin“: Im Prozess um Bestechung und Bestechlichkeit im Zusammenhang mit der massenhaften Ausgabe von Kurzzeitkennzeichen in der Zulassungsstelle des Rhein-Neckar-Kreises in Wiesloch hat eine langjährige Referats- und Amtsleiterinalle Vorwürfe von Bestechlichkeit zurückgewiesen.

Freigestellt vom Dienst

Seit sie vor mehr als acht Jahren als Beschuldigte gilt, ist sie bei vollen Bezügen vom Dienst freigestellt. „Fassungslos“ erinnert sie sich an jenen Tag, als ihr die Freistellung überreicht worden sei, berichtet die heute 63-Jährige. Sie habe „stets in Absprache und auf Weisung ihrer Vorgesetzten gehandelt“, betont die Angeklagte am zweiten Prozesstag vor der Großen Wirtschaftsstrafkammer des Mannheimer Landgerichts.

„Zu keinem Zeitpunkt“ habe sie dafür gesorgt, dass der mitangeklagte 55 Jahre alte Unternehmer und Anbieter von Kfz-Zulassungs-dienstleistungen allein im Zeitraum 2012 bis 2014 einen Umsatz in Höhe von acht Millionen Euro machen konnte, sagte die Verwaltungsfachwirtin.

Detailliert zeichnet sie in ihrer ausführlichen Rede ein komplexes Netz der Zusammenarbeit mit Firmen des Unternehmers, die über mehr als 20 Jahre währte. Sein Geschäft waren vor allem Dienstleistungen im Bereich von Kfz-Zulassungen.

Vier Vorgesetzte involviert

Während eine mitangeklagte Kollegin und der ebenfalls auf der Anklagebank sitzende Unternehmer sich vorerst nicht zur Sache äußern wollen, liest die zeitweilige Amtsleiterin rund fünf Stunden eine 80-seitige Sicht der Dinge vor. Über mehrere Stunden hinweg zitiert sie Mails und Aktennotizen, geht dabei vor allem sehr ausführlich auf den Zeitraum 2008 bis 2012 ein. Und immer wieder nennt sie die Namen von vier Vorgesetzten, die aus ihrer Sicht über jeden Schritt informiert und das System gewollt hätten.

Oberstaatsanwalt Uwe Siegrist und Staatsanwalt Sebastian Lückhoff hatten sich bei der am Dienstag verlesenen Anklageschrift auf die Jahre 2012 bis 2014 konzentriert. Aus dem Ermittlungskomplex sind bereits mehrere Verfahren hervorgegangen. Einige sind gegen die Zahlung von Geldauflagen eingestellt worden - zum Beispiel Verfahren gegen gegen Schilderhändler, denen unter anderem Urkundenfälschung vorgeworfen wurde.

Mehr zum Thema

Prozess

Kurzzeitkennzeichen-Skandal: War Bestechung in der Zulassungsstelle Wiesloch im Spiel?

Veröffentlicht
Von
Michaela Roßner
Mehr erfahren
Kurzzeitkennzeichen

Neuer Prozess in Affäre um Kurzzeitkennzeichen

Veröffentlicht
Von
Michaela Roßner
Mehr erfahren
Justiz

Prozess um Steuerbetrug mit Kurzzeitkennzeichen: Verfahren gegen Geldstrafe eingestellt

Veröffentlicht
Von
Michaela Roßner
Mehr erfahren

2008, berichtet nun die freigestellte Amtsleiterin, hatte die Zusammenarbeit mit dem 55-Jährigen begonnen. Der Geschäftsmann aus Heidelberg, der an mehreren Orten im Rhein-Neckar-Kreis Firmensitze pflegte, soll ein Aufkommen von 20 000 Anträgen auf Erteilung eines Kurzzeitkennzeichen in Aussicht gestellt haben und ein Volumen an Gebühreneinnahmen in Höhe von 4,5 Millionen Euro, berichtet die Angeklagte von Informationen aus der Chefetage.

Selbst als Amtsleiterin habe sie in dieser Angelegenheit eher die Befugnisse einer „Sachbearbeiterin“ gehabt, lässt sie durchblicken, dass dieser Service, der ein eigentliches Nischenprodukt zum Verkaufsschlager machen sollte, offenbar von mehreren Vorgesetzten mindestens gebilligt, wenn nicht sogar ausdrücklich gewollt gewesen sei. Das habe sich bald bis auf Ministeriumsebene rumgesprochen, berichtet die Frau von mehreren Treffen im Regierungspräsidium, in Stuttgart und im Landratsamt, bei denen sie wenigstens zum Teil auch dabei war.

Geschäft florierte

Das Geschäft mit den gelben Kennzeichen, die für Überführungen und Probefahrten gedacht waren und fünf Tage gültig waren, florierte. Das sorgte bald für bundesweite Kritik. So berichtete diese Redaktion bereits im September 2013 von dem massenhaften Auftauchen der „HD 04“-Kennzeichen auch im kriminellen Umfeld, über das der Leiter der Zulassungsstelle Nürnberg berichtete. Tankbetrug etwa war ein typisches Vergehen, bei dem Kriminelle gerne die Kurzzeitkennzeichen verwendeten - weil den Behörden zunächst nur ein Antragsteller bekannt war, nicht aber, für welches Fahrzeug es verwendet wurde und wer letztlich am Steuer saß.

Offenbar ist in dem System mehrfach auf Weisung der vorgesetzten Behörde im Rhein-Neckar-Kreis „nachgebessert“ worden. Über mehrere Monate gab die Zulassungsstelle sogar das Drucken der Zulassungsbestätigungen samt Blankoformularen und Siegeln in externe private Hände.

Aufwendige Ermittlungen

Spätestens ab 2012 seien den übergeordneten Behörden die Vorgänge bekannt gewesen, sagt die Amtsleiterin. Beendet worden seien die Geschäfte dann trotzdem nicht. Jahrelang ermittelten ab 2013 Behörden im gesamten Bundesgebiet und zum Teil im Ausland in einem komplexen System ermittelt.

Ab Mai 2014 waren Polizei und Staatsanwaltschaft nahezu täglich vorstellig in der Außenstelle des Landratsamts. Vorübergehend hatten sie sich offenbar sogar einen Arbeitsplatz in der Nähe der „Briefgruppe“ eingerichtet: Das war eine Abteilung der Zulassungsstelle, die vor allem Anträge auf Erteilung von Kurzzeitkennzeichen bearbeitete und dafür eigens eine vom Unternehmer in der Behörde installierte Software nutzte.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen