Rhein-Neckar. Der frühere deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher soll sich der Legende nach immer sehr amüsiert haben, wenn jemand den Witz erzählte, dass sich zwei Flugzeuge über dem Atlantik begegnet seien, und in beiden habe Genscher gesessen. Der Mitgestalter der Deutschen Einheit war - das sollte die Karikatur wohl vermitteln - in seiner Amtszeit als oberster Diplomat so viel unterwegs, dass er sich selbst auf dem Weg zu Terminen traf. Und ganz ähnlich ist das seit Dienstagmorgen mit den Bussen, die nun dutzendfach entlang der vorerst gesperrten Riedbahnstrecke verkehren. In vielen Fällen mit einer überraschenden Anzahl an Fahrgästen, wie eine Testfahrt zeigen sollte.

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Es ist halb acht am ersten Arbeitstag des neuen Jahres. Der moldawische Busfahrer, der um 7.45 Uhr den RE70 Richtung Frankfurt lenken soll, ist gut gelaunt. Er spricht zwar kein Wort Deutsch, deutet aber auf seinen auf Papier gedruckten Fahrplan. „Nach Frankfurt? Wie lange?“, lautet unsere Frage. Eine Stunde, 33 Minuten zeigt die Papiertabelle, als wir am Mannheimer Luzenberg zusteigen.
Die Bushaltestelle löst in gewisser Weise den Mannheimer Hauptbahnhof als Dreh- und Angelpunkt für Reisende und Pendler entlang der Riedbahnstrecke ab. Zunächst bis 22. Januar und dann von Mitte Juli bis tief in den Dezember bleibt die Linie für Fahrgäste und den Güterverkehr geschlossen. Der Korridor, der zu den am meisten frequentierten Routen Europas gehört, wird auf Hochleistung getrimmt. Das soll laut Bundesverkehrsminister Volker Wissing dazu beitragen, dass beispielsweise auch der S-Bahn-Verkehr in der gesamten Rhein-Neckar-Region künftig zuverlässiger und pünktlicher ankommt. Doch zunächst müssen die Pendler Zugeständnisse machen, die in manchen Fällen ziemlich einschneidend sind: Es geht um den Verlust von Freizeit, weil der Weg zur Arbeit und von dort nach Hause länger dauert - vor allem, wenn dann auch noch Fehler passieren.
Nun wieder Auto statt ÖPNV?
Ein junger Mann, den die Deutsche Bahn als sogenannten Reisenden-Lenker am Luzenberg postiert hat, berichtet beispielsweise von einem Fahrgast, der am frühen Morgen aus Lampertheim zur Haltestelle gekommen sei - um dann mit dem Bus in seinen eigentlichen Nachbarort Bürstadt zu fahren. Das klingt für den geübten Routenplaner unlogisch. Einleuchtender ist da schon, dass ein Mannheimer Arbeitnehmer schon um acht Uhr leicht angefressen ist, weil er vorerst nicht mehr in sechs Minuten mit der Bahn nach Lampertheim zu seinem Arbeitsplatz gelangt. Stattdessen ist er rund 30 Minuten unterwegs. „Früher aufstehen“, bedeutet die Riedbahnsperrung auch für einen weiteren Mitarbeiter eines Unternehmens in Lampertheim. Er will jetzt fragen, ob er öfter mal den Dienstwagen mit nach Hause nehmen darf. Zurück zum Auto also? Genau das will die Deutsche Bahn mit ihrem Ersatzverkehr ja eigentlich verhindern.
Viele sind es am Dienstagmorgen nicht, die wir fragen können, denn im rund 50 Plätze bietenden Bus des moldawischen Wagenführers sitzt nach den Haltestellen in Bürstadt und Biblis nur noch genau eine Frau. Bis 13. Januar sind in Hessen noch Ferien. So kommt es, dass in Groß-Rohrheim noch viele Rollläden verschlossen sind, als an diesem Morgen der wohl 30. Bus die dortige Haltestelle ansteuert. Nur zwei Personen steigen ein. Sitzen bleibt nur die Mannheimerin, die auf dem Weg nach Frankfurt ist - wie fast jeden Tag. Als Aufsicht in einem Frankfurter Museum ist auch sie auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz. Durch die Sperrung der Riedbahnstrecke verliere sie jeden Tag mehr als eine Stunde, sagt sie, bevor wir aussteigen und auf der anderen Straßenseiten wieder in einen Bus steigen, der Richtung Mannheim unterwegs ist.
Es ist inzwischen kurz vor neun, und wir sind vorerst alleine in dem riesigen Gelenkgefährt. Der Wagenführer ist ein alter Hase auf dem Fahrersessel. Entgegenkommende Busfahrer grüßt er, indem er die rechte Hand kurz hebt. An diesem Morgen könnte er die Hand auch gleich oben lassen, denn ähnlich der Karikatur über Hans-Dietrich Genscher sind nun derart viel Schienenersatzbusse unterwegs, dass eine Begegnung mit dem eigenen Bus nicht mehr völlig ausgeschlossen scheint. Immerhin sind rund 400 Fahrer notwendig, um diesen aufwendigen Schienenersatzverkehr auch bei Krankheiten und anderen Ausfällen zu gewährleisten. 150 Busse sind für täglich rund 1000 Fahrten eingeplant. Einige Busfahrer, wie der moldawische Kollege am frühen Morgen, sind genau dafür in aufwendigen Verfahren in einigen Ländern Europas angeworben worden.
Nach gut zweieinhalb Stunden ist unsere Rundfahrt von Mannheim nach Groß-Rohrheim und wieder zurück beendet. Mehr als 20 Personen sind wir in den Bussen nicht begegnet. Die Tatsache, dass am 2. Januar noch nicht alle wieder zurück im Alltag sind, hat der Bahn zu einem gelungenen Start in das Projekt Ersatzverkehr verholfen. Davon ist auch DB-Konzernsprecher Achim Stauß überzeugt. „Ruhig und geordnet“, sei alles abgelaufen, die für den Busverkehr erdachte Wegeleitung sei „vernünftig“. Ein wirkliches Fazit, wie sich die Riedbahnsanierung auf den Verkehr in der Region auswirkt, gibt es letztlich erst in einem Jahr.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Deutsche Bahn hat sich bei Riedbahn-Sperrung ein Fleißsternchen verdient