Bekannt ist er vor allem als Erfinder: Karl Drais markiert mit seiner Erstausfahrt auf einer Laufmaschine am 12. Juni 1817 vom Mannheimer Schloss in den heutigen Stadtteil Rheinau den epochalen Schritt zur schnelleren Mobilität ohne Pferd. Doch die Drais-Story bietet noch weit mehr: regionale Demokratiegeschichte und ein Lehrstück für die Manipulation von Geschichtsbildern durch die Gegner der Freiheit.
1785 erblickt Drais in Karlsruhe als Spross des badischen Dienstadels das Licht der Welt. Er studiert Mathematik, Physik und Baukunst an der Universität Heidelberg. 1811 zieht er ins elterliche Haus nach Mannheim in M 1, 8 – nicht weit weg vom Schloss, in dessen rechtem Flügel der Vater inzwischen als Präsident des Hofgerichtes amtiert.
Seine Passion für Technik führt ihn zu zahlreichen Erfindungen
Drais geht in den staatlichen Forstdienst, doch seine Passion bleibt die Technik, Ziel die schnellere Mobilität ohne Pferd. Zu diesem Zweck entwickelt er die Laufmaschine. Ihr Fahrer sitzt zwischen den Rädern und stößt sich mit den Füßen vom Boden ab. Am 12. Juni 1817 unternimmt Drais damit seine erste Fernfahrt – von seinem Wohnhaus in M 1,8 auf der damals am besten ausgebauten Straße Badens, der Chaussee zwischen Mannheimer und Schwetzinger Schloss. Er wendet an dem ihm bekannten Forsthaus in Höhe des Karlsplatzes, etwa dort, wo heute das ihm gewidmete Denkmal steht.
Drais benötigt für diese Strecke knapp eine Stunde, was einer Geschwindigkeit von 14 oder 15 km/h entspricht – eindeutig schneller als mit der Postkutsche. Aber die Zeit für diese Innovation ist noch nicht reif.
1828 entwickelt er eine Stenomaschine auf Lochstreifen: 1000 Buchstaben pro Minute! Damit reist er sogar nach England, um sie den Stenografen des Londoner Parlaments vorzustellen. Doch die bleiben lieber bei ihrer traditionellen Handarbeit.
Die Reise ins Mutterland der Demokratie ist kein Zufall. Mit seiner Maschine will Drais den Parlamentarismus in England noch effektiver machen, denn er ist überzeugter Demokrat. „Ich halte es für Zufall, in welcher Religion und in welcher Nation, in welcher Standeshöhe und mit welchem Reichtum ein Mensch geboren sei“, schreibt er: „Ich bin der Meinung, dass man sich wegen den zufälligen Verschiedenheiten nicht hassen und verachten soll.“ Ist das nicht hochmodern, ja aktuell?
Doch damit macht er sich beim Regime des „Vormärz“ unbeliebt. Es drangsaliert ihn, lässt ihn etwa durch gedungene Provokateure in Wirtshausschlägereien verwickeln. Als er öffentlich das „Imperative Mandat“ für Abgeordnete fordert, kommt es sogar zu einem Mordanschlag mit einem Feuerspritzenrohr; nur durch blitzschnelles Wegducken entgeht er dem Schädelbruch. Drais zieht sich zunächst in den Odenwald zurück, in das Dorf Waldkatzenbach.
Die Revolution von 1848 begrüßt Drais begeistert. In einer Zeitungsannonce erklärt er, dass „ich auf dem Altar des Vaterlandes, der Freiheit, Gleichheit und Volkssouveränität, auf alle aus dem Feudalrechte, dessen tausendjähriger Druck Deutschlands Freiheit in Fesseln schlug, entspringenden Vorrechte verzichte.“ Er gibt also den Titel Freiherr ab, will nur als Bürger Drais angesprochen werden – gemäß revolutionärem französischem Vorbild „Citoyen“.
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Doch die deutsche Revolution scheitert, die Ächtung Drais‘ beginnt von Neuem. Zwei junge Adelige schlagen ihn zusammen. Seine Pension wird beschlagnahmt, ein politisch motiviertes medizinisches Gutachten erklärt ihn wegen „Geistesschwäche und partieller Verbohrtheit“ für unzurechnungsfähig. Das im April 1850 eingeleitete Entmündigungsverfahren scheitert jedoch.
Dennoch verarmt stirbt Drais 1851 mit erst 66 Jahren in Karlsruhe – wenige hundert Meter von seinem Geburtshaus. Nur die mutigsten Freunde begleiten seinen Sarg, so groß ist der Druck der Obrigkeit.
Die Erfindungen von Drais setzen sich zwar lange nach seinem Tode durch. Gleichwohl führt er als Person im kollektiven Gedächtnis der Deutschen bis in die 1990er Jahre hinein ein Schattendasein. Bestenfalls vom verkannten Genie, das seiner Zeit voraus war, wird gesprochen. Es dominieren Narrative wie das vom verrückten Adeligen. Mit Geschichten wie jener vom „Salto portale“, wonach Drais trunken auf seinem Zweirad die Karlsruher Rathaustreppe hinabfährt, nicht ohne sich und sein Gefährt zu lädieren.
Doch der Historiker Hans-Erhard Lessing, langjähriger Hauptkonservator am Mannheimer Landesmuseum für Technik und Arbeit, hat herausgearbeitet, dass es sich hierbei nicht um das bloße Verkennen eines Genies handelt. Vielmehr ist es Ergebnis der bewussten Verbreitung eines falschen Geschichtsbildes von einem frühen Vorkämpfer der Demokratie durch deren Feinde. Die Salto-Geschichte etwa wird gestreut von einem Major namens von Seubert, Monarchist und Anti-Demokrat. Klar, dass sich im 20. Jahrhundert auch die Nationalsozialisten in diese Schweigespirale einreihen.
Das ändert sich erst in den 1990er Jahren, als Drais’ Erfindung, das Fahrrad, seinen Siegeszug vollendet. Plötzlich sind die Orte seines Wirkens stolz auf ihren großen Sohn – seine Geburtsstadt Karlsruhe natürlich, Mannheim, wie so oft, erst spät und auch nur auf private Initiative hin: 2003 wird im Stadtteil Rheinau durch die Dachorganisation der Vereine ein Denkmal aufgestellt – an der Stelle, an der 1817 die in doppeltem Sinne historische Wende erfolgt ist.
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