Heidelberg. Schnellere und zielgerichtetere Diagnose, leichterer Zugang zu Rehabilitationsplätzen und individuell gut angepasste Therapien: In Baden-Württemberg sollen Long-Covid-Patienten künftig besser begleitet und betreut werden. Das hat Sozial- und Gesundheitsminister Manfred Lucha gestern bei einem Besuch in Heidelberg betont. Das Land möchte dabei auf Erfahrungen und Erkenntnisse zurückgreifen, die in der Metropolregion Rhein-Neckar gewonnen wurden: Das Long-Covid-Netzwerk Rhein-Neckar soll zwischen Freiburg, Tübingen, Karlsruhe und Stuttgart ausgerollt werden.
Auf seiner Sommertour machte der Minister Station in der Rehaklinik auf dem Königstuhl. Hier sind seit Beginn der Pandemie bereits mehr als 1000 Patienten nach Coronainfektionen mit Langzeitfolgen behandelt worden. Die Klinik hat zwei Schwerpunkte: Pneumologie und Kardiologie.
Jürgen Renner (60) erkrankte im November 2020 zum ersten Mal an Covid 19. „Nach der Booster-Impfung, ein paar Monate später hat es mich richtig erwischt“, blickt der aus Wörth am Rhein stammende Mann zurück. „Ein Leben lang habe ich Ausdauersport betrieben. Doch plötzlich ging gar nichts mehr.“ Wochenlang habe er versucht, bei einem Lungenfacharzt einen Termin zu bekommen. „Ich wurde gefragt, ob ich Privatpatient bin“, empört er sich. Dabei zahle er - zusammen mit seinem Arbeitgeber - im Monat rund 1500 Euro für die Krankenversicherung und sei „seit 40 Jahren Beitragszahler“.
Langes Warten auf Arzttermin
„Das System funktioniert nicht mehr“, fasst der ehemalige Krankenpfleger resigniert zusammen, der eine Ursache in der Privatisierung des Gesundheitssystems ausmacht. Erst nach Monaten habe er den Reha-Platz bekommen und mache nach nur zwei Wochen nun erhebliche Fortschritte. Dass Privatpatienten bevorzugt Facharzttermine erhalten, wo Kassenpatienten lange warten müssen, findet auch Minister Lucha „unerträglich“: „Da muss sich etwas ändern.“
Long Covid
- Mehr als 31 Millionen Menschen haben sich seit Beginn der Pandemie in Deutschland mit dem Coronavirus infiziert (Quelle: RKI).
- Zwischen 7,5 und 41 Prozent der erwachsenen Erkrankten ohne Krankenhausaufenthalt und bei 37,6 Prozent, die wegen Covid-19 in einer Klinik behandelt wurden, werden gesundheitliche Langzeitfolgen berichtet („Long Covid“).
- Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) meldet für 195 739 Menschen Berufskrankheiten in Zusammenhang mit Covid-19 (Stand 30. Juni).
Hermann Willfath (57) kam schon nach nur acht Wochen zu seinem Rehaplatz - wohl auch deshalb, weil er wegen einer anderen schweren Erkrankung bereits Patient am Klinikum Würzburg ist und „mächtig Druck gemacht hat“, wie auch der Chefarzt der Rehaklinik Königstuhl, Robert Nechwatal, diagnostiziert.
Der Patient aus Franken ist seit einer Woche in Heidelberg. Nach einer Infektion mit dem Eppstein-Barr-Virus Anfang 2020 fünf Monate außer Gefecht, verschlechterte sich die gerade wieder etwas zurückgewonnene Gesundheit nach der zweiten Corona-Impfung im Januar 2022. „Ich bekam Probleme mit der Psyche, litt unter Ängsten und Schlaflosigkeit.“ Darauf setzte sich nach der Immunisierung noch eine Atemwegserkrankung, die sich bis zu einer Lungenentzündung auswuchs.
„Wir wissen immer noch viel zu wenig über das Coronavirus und die Folgen einer Infektion“, sagte die baden-württembergische Wissenschaftsministerin und Heidelberger OB-Kandidatin Theresia Bauer, die Lucha bei dem Besuch begleitete. „Was wir aber schon wissen, ist, dass die Erkrankung sehr viel komplexer ist als zunächst angenommen.“ Bauer hatte kürzlich bekanntgegeben, dass das Land die obduktionsbasierte Erforschung von Long-Covid zusätzlich fördern möchte.
Forschung verstärkt
Dafür werden den Universitätskliniken des Landes weitere 12,7 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
Nach Angaben des Uniklinikums Heidelberg leidet etwa jeder vierte Corona-Patient noch sechs bis zwölf Monate nach der Infektion unter erheblichen Symptomen, die die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen. Diese Zahlen hatte das Uniklinikum Heidelberg bestätigt. Die Patienten litten noch sechs bis zwölf Monate nach der Infektion unter Symptomen, die auch die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigten. Auch als Berufskrankheit nimmt die Diagnose bundesweit zu.
Lucha beeindruckte vor allem der individuelle und fächerübergreifende Reha-Ansatz: Von Atemtherapie und Ausdauer- sowie Krafttraining über Gymnastik und Gespräche mit Psychologen reicht das Therapiepaket, das aus einzelnen Modulen zusammengefügt wird.
Im vergangenen Jahr wurden laut Lucha im Land 100 000 Long-Covid-Diagnosen gestellt - bei drei Millionen Infektionen.
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