Indizienprozess - Justiz: Plädoyers im Prozess gegen mutmaßlichen Paketbomber / Verteidiger plädieren auf einen Freispruch / Urteil am Freitag

Landgericht Heidelberg: Freispruch für mutmaßlichen Paketbomber?

Von 
Michaela Roßner
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Auf dem Firmengelände von ADM Wild in Eppelheim – bekannt als „Wild-Werke“ – war am 16. Februar die erste Paketsendung explodiert. © René Priebe

Heidelberg. Ist er ein abgebrühter Erpresser oder ein unschuldiger Rentner? Nach einer Serie von explosiven Paketsendungen muss sich seit 8. September ein 67-Jähriger vor dem Landgericht Heidelberg verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem das Herbeiführen von Sprengstoffexplosionen sowie schwere Körperverletzung vor und fordert viereinhalb Jahre Haft. Die beiden Verteidiger plädieren auf einen Freispruch. Soweit diese Anträge auch auseinandergehen: Die im Haus des Angeklagten gefundenen Patronen werden von beiden Seiten als Verstoß gegen das Waffengesetz gesehen. Am Freitag soll das Urteil gesprochen werden.

Aufwändiger Indizienprozess

Nach dem aufwendigen Indizienprozess ist Oberstaatsanwalt Lars-Jörgen Geburtig sich sicher: „Es gibt keine Zufälle!“ So seien für die Paketbomben vergleichsweise seltene Paketsets verwendet worden, die im fraglichen Zeitpunkt nur an zwei Privatpersonen geliefert worden seien. Der Angeklagte sei einer gewesen, beim zweiten ergaben sich keinerlei Hinweise auf einen Zusammenhang mit den Explosionen.

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Zwei der versendeten Päckchen explodierten in der Warenannahme von Wild in Eppelheim und Lidl in Neckarsulm, eine wurde von der Polizei abgefangen, bevor sie bei Hipp in Bayern zugestellt wurde. In den beiden ersten Fällen wurde je ein Mitarbeiter verletzt. Mehrere Gutachter hatten die kurze Videosequenz aus der Überwachungskamera der Postfiliale analysiert. Ein den Angeklagten entlastendes Gutachten bezeichnete der Oberstaatsanwalt als „unseriös“: Der dicke Mantel der abgebildeten Person, die Maske und ein dicker Schal sowie die unscharfen Bilder ließen mit dem Zugeständnis des Angeklagten, sich gelegentlich zu verkleiden und als Behinderter auszugeben, den Ausschluss als Beweis nicht zu, argumentierte der Anklagevertreter. Der Typ Mütze, wie auf dem Video zu sehen, wurde gerne vom Angeklagten getragen, was Bilder in sozialen Netzwerken und Zeugen belegten.

Der 67-jährige Rentner aus Ulm ist angeklagt, in zwei Fällen eine Sprengstoffexplosion herbeigeführt und schwere Körperverletzung begangen zu haben. Das abgefangene dritte Paket wird vom Oberstaatsanwalt als Versuch gewertet.

Die Staatsanwaltschaft hält für die ersten beiden Taten eine Strafe von einem Jahr und zehn Monaten  sowie drei Jahren für angemessen, für die dritte Tat von einem Jahr.

Die Verteidiger fordern diesbezüglich einen Freispruch.

Dass es zu einem kompletten Freispruch des Rentners kommt, ist sehr unwahrscheinlich: Staatsanwaltschaft und Verteidiger werteten die bei der Durchsuchung des Hauses gefundene scharfe Munition als Verstoß gegen das Waffengesetz und sahen übereinstimmend 60 Tagessätze à 60 Euro als angemessene Strafe an. 

Ein ehemaliger Kollege erkannte zudem den „Watschelgang“, den die abgebildete Person auf dem Video zeigte: Den Gang habe der Angeklagte gerne in der Firma gezeigt, wenn er sich über andere lustig machte. Die Angaben mehrerer Arbeitskollegen bewertete der Oberstaatsanwalt als sehr wichtig. In dem aufwendigen Indizienprozess sind unter anderem Mantrailer-Hunde vorgestellt worden, die den Weg von der Postfiliale in Ulm, wo die drei Pakete aufgegeben worden waren, bis zum Haus des damals bereits in U-Haft befindlichen Verdächtigen aufgezeigt haben sollen.

Solche Einsätze seien insgesamt unbedingt „mit kritischer Skepsis“ zu bewerten. Aber: „Wir sind noch ganz weit entfernt davon zu verstehen, was bei den Hundeeinsätzen passiert! Wir können uns das nicht im Detail erklären, aber die Hunde riechen sie“, sagte der Oberstaatsanwalt. Die von Gutachtern formulierte Kritik, die Hunde seien manipuliert worden, hält Geburtig für widerlegt. Er nannte den Einsatz im Landgerichtsgebäude, wo die Suchhunde genau den Weg nachgelaufen waren, den der Angeklagte genommen hatte, als er dem Haftrichter vorgeführt wurde. Auch Haaruntersuchungen aus dem Fell von Katzen waren Thema, weil solche in allen drei Paketen gefunden worden waren. Eindeutige Hinweise auf Samtpfoten im Umfeld des Angeklagten gab es indes nicht. Auch weder ein sichergestellter Drucker, noch Zündhölzer aus seinem Haushalt lieferten Beweise.

Keine Spuren im Haus

Darauf bauten die beiden Verteidiger Jörg Becker und Steffen Lindberg ihre Forderung nach einem Freispruch auf. Ihr nicht vorbestrafter Mandant habe kein Motiv und obwohl alle erdenklichen Ansätze verfolgt worden seien, gebe es letztlich auch keine Beweise. So sei bei der Hausdurchsuchung kein einziges Kleidungsstück gefunden worden, das der Tat zugeordnet worden sei. Die Werkzeuge aus dem gut sortierten Hobbykeller hätten keine Spuren ergeben, das Handy des Seniors war nicht im Umfeld der Postfiliale eingeloggt, als die explosiven Sendungen abgegeben wurden. Zwar habe man Zündhölzer, Staubsaugerrohre und Putzschwämme gefunden - jene Materialien, in die die Zündvorrichtung verpackt war - aber es handelte sich um andere Modelle als die verwendeten.

Der Angeklagte hatte zu Prozessbeginn seine Unschuld beteuert und sehr ruhig die elf Verhandlungstage begleitet. „Ich schließe mich den Ausführungen meiner Anwälte an“, formulierte er zum Schluss.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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