Rhein-Neckar. Der Unternehmer, seine Steuerberaterin sowie ein Angestellter – allesamt über 50 Jahre alt – mussten sich seit 6. September vor der Großen Wirtschaftsstrafkammer des Mannheimer Landgerichts im Zusammenhang mit der "Kurzzeitkennzeichen"-Affäre rund um die Zulassungsstelle des Rhein-Neckar-Kreises in Wiesloch verantworten. Der Vorwurf: Steuerhinterziehung in mehreren Fällen beziehungsweise Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Über vier Jahre verteilt sei ein Schaden von insgesamt mehr als 6,2 Millionen Euro entstanden, betonte die Anklage.
Nun ist die Hauptverhandlung früher als anvisiert zu Ende gegangen: Die drei Beschuldigten müssen zusammen 180.000 Euro an soziale Einrichtungen überweisen. Das Gericht hat hat die Verfahren am Mittwoch, dem elften Prozesstag, mit Zustimmung der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen Zahlung von Geldauflagen eingestellt. Das bestätigte eine Gerichtssprecherin auf Anfrage. Der Angeklagte S. habe die Auflage akzeptiert, 100.000 Euro an soziale Einrichtungen zu zahlen, seine mitangeklagten Angestellten 50.000 beziehungsweise 30.000 Euro.
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Als einzige von 400 Zulassungsstellen bundesweit hatte die Wieslocher Behörde eine spezielle Software installiert, mittels der Zulassungsdienste online Kurzzeitkennzeichen bestellen konnten. Die eigentlich für seltene Fälle etwa der Oldtimerüberführung gedachten gelben Spezialkennzeichen tauchten bald massenhaft im gesamten Bundesgebiet auf.
Möglich gemacht habe das ab 2008 eine exklusiv innerhalb der Behörde installierte Software des Unternehmers, hatte ein Heidelberger Richter 2019 in seinem Urteil gegen vier Kfz-Händler aus Berlin und Brandenburg festgestellt. Sie hatten die leicht verfügbaren Kurzzeitkennzeichen mit dem Aufdruck „HD 04“ genutzt, um sie auch an zwielichtige Kunden weiterzugeben.
Weil die Behörde nur laxe Kontrollen der echten Identitäten durchführte, waren die Kennzeichen zum Beispiel für Tankstellenbetrüger interessant – die Nachverfolgung der Autofahrer war nicht möglich, denn die Kfz-Unternehmer nutzten die Personalien von nichts ahnenden Kunden, um die Kurzzeitkennzeichen zu ordern. Als diese Betrogenen indes Strafzettel für zu schnelles Fahren und andere unliebsame Post bekamen, flog der Schwindel auf - Geschädigte konnten nachweisen, dass sie an jenem Tag, an dem sie irgendwo im Land angeblich geblitzt wurden, ganz woanders waren - und das die Blitzerfotos einen Unbekannten zeigten.
Der Heidelberger Unternehmer, der nun die Geldauflage akzeptierte, habe ein Monopol besessen und sogar Rabatte auf Verwaltungsgebühren erhalten, weil er für die bei ihm unter Vertrag stehenden Zulassungsdienste monatlich abgerechnet habe. Inwieweit auf diese „Paketleistung“ Umsatzsteuer zu leisten gewesen wäre, war nun im Mannheimer Gerichtssaal zu klären gewesen.
Die strafrechtliche Aufarbeitung der "Kurzzeitkennzeichen"-Affäre ist noch nicht abgeschlossen: Gegen den Software-Lieferanten und seine Mitarbeiter sowie zwei Angestellte der Zulassungsbehörde ist Ende 2019 Anklage wegen Bestechlichkeit und Bestechung erhoben worden. Eine Hauptverhandlung steht noch aus.In diesem Strafverfahren soll es dann um die Vorgänge innerhalb der Zulassungsstelle in Wiesloch gehen.
Dann werden auch die zwei Mitarbeiterinnen des Landkreises erklären müssen, wie es zu den Sonderkonditionen für den geschäftstüchtigen Unternehmer gekommen ist. Die Staatsanwaltschaft hat allerdings keine Erkenntnisse, dass die beiden Behörden-Mitarbeiterinnen Schmiergelder kassiert haben, erklärte Erste Staatsanwältin Isa Böhmer, Pressesprecherin für Wirtschaftsstrafsachen, auf Anfrage dieser Redaktion im September.
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