Heidelberg. Es ist gedacht als Entscheidungshilfe beim Kreuzchenmachen auf dem amtlichen Stimmzettel: „Wahl-o-Maten“ werden seit Jahren bei Bundes- oder Landtagswahlen eingesetzt. Via Internet wollen sie Wählern die Entscheidung erleichtern oder sie überhaupt für die Abstimmung interessieren. Auch vor der Oberbürgermeister-Wahl in Heidelberg am 6. November soll es einen „Kandidat-O-Maten“ geben. Die Landeszentrale für politische Bildung (LpB) bereitet das Programm mit der Rhein-Neckar-Zeitung (RNZ) und dem SWR Studio Mannheim-Ludwigshafen vor, während der Mannheimer Morgen ein eigenes Programm entwickelt und es erfolgreich bei zahlreichen Bürgermeisterwahlen einsetzt. An der Vorgehensweise von LpB, RNZ und SWR wird indes Kritik laut.
Inhaltliche und formale Fragen
„Die Stadt soll E-Roller im gesamten Stadtgebiet verbieten“, „Die Stadt soll eine kommunale Steuer auf Einwegverpackungen im Stadtgebiet einführen“, „Der oder die OB setzt die Entscheidungen des Gemeinderats um, anstatt diese mitzugestalten“: Drei Thesen, die im „Wahl-O-Mat“ auftauchen und für das Ergebnis, das er nach dem Durchklicken ausgeworfen wird, bedeutsam sind. Zu diesen Aussagen können sich die Nutzerinnen und Nutzer mit „Ja“, „neutral“ oder „Nein“ positionieren. Sie können zudem Thesen doppelt gewichten, die ihnen besonders wichtig sind. Das hinterlegte Programm rechnet dann aus, bei welchem Kandidaten der Wähler die meisten Übereinstimmungen bei den Positionen hat.
Nur junge Menschen einbezogen?
Nach einem öffentlichen Aufruf trafen sich Ende Juli junge Menschen in den Redaktionen, um diese Themen und Thesen auszuarbeiten. Doch hier setzt die Kritik an: Man hätte nicht nur junge Wähler einbeziehen dürfen, sondern eine breite Bevölkerungsschicht, erklären die Kritiker.
„Absolut richtig, den Fragebogen altersmäßig nach allen Zielgruppen auszurichten“, findet Eckart Würzner, der sich um eine dritte Amtszeit bewirbt. „Aber warum hat man dann auch nicht Menschen jeder Altersgruppe aufgefordert, sich bei der Erarbeitung der Fragen zu beteiligen?“ Weiterhin sollten „alle für eine Kommune relevanten Fragestellungen beleuchtet“ werden: Nur so kann ein sinnvoller Einsatz im Sinne einer Orientierungshilfe und vor allem ein echter Mehrwert für die Wählerinnen und Wähler garantiert werden.“ Allerdings drängt sich mir der Eindruck auf, dass meine Erwartungen an einen Kandidat-O-Maten an der Realität vorbeigehen“, hängt Würzner an.
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Der Stadtchef greift zum Mittel eines „Offenen Briefs“, um seine Bedenken breit zu streuen: „Für mich sind einige Fragestellungen unklar, insbesondere erschließt sich mir nicht, welche Richtlinien in Bezug auf Ausgewogenheit, Korrektheit und Neutralität bei der Erarbeitung der Thesen gelten und welche Zielgruppen der Kandidat-O-Mat haben sollte.“
„Bei einer ersten Sichtung der 81 Aussagen sind wir über zahlreiche Formulierungen gestolpert“, erklärt etwa Theresia Bauer (Bündnis 90/Grüne), die ihr Amt als baden-württembergische Wissenschaftsministerin in diesen Tagen beendet, um sich auf die OB-Kandidatur zu konzentrieren. „Rund 30 dieser Sätze beziehen sich entweder auf bereits geltende Beschlusslagen des Heidelberger Gemeinderates oder es besteht für entsprechende Forderungen keine Rechtsgrundlage oder keine kommunale Zuständigkeit“, nennt Bauer, erste Herausforderin des Amtsinhabers, weitere Kritikpunkte. „Zum Teil empfinden wir sie auch als populistisch formuliert, insbesondere wenn Scheinalternativen in den Raum gestellt werden, die es so real nicht gibt“, heißt es in einer Stellungnahme Bauers.
Bernd Zieger (Die Linke), ebenfalls OB-Kandidat, findet zwar, dass Fragen der Stadtentwicklung wie der nach der zukünftigen Entwicklung des Patrick-Henry-Village fehlen - die Kritik seiner Mitbewerber kann er indes nicht nachvollziehen: Schade sei, „dass durch den von OB Würzner eröffneten Schauplatz die wichtige inhaltliche Auseinandersetzung um die richtigen Lösungen für die Probleme der Stadt in den Hintergrund rückt“.
„Der Kandidat-O-Mat ist ein seit 2018 bei OB-Wahlen im Land eingesetztes spielerisches Informationsangebot. Es ermöglicht Interessierten, eigene politische Positionen mit denen von Bewerberinnen und Bewerbern abzugleichen“, reagiert Regina Bossert, Leiterin der Heidelberger LpB-Außenstelle.
In einem Workshop seien 70 bis 80 Thesen erarbeitet und Anfang September allen Kandidierenden zur Verfügung gestellt worden. Ein statistischer Test der Rückläufe gehöre dazu, bevor der „Wahl-O-Mat“ online gehe.
„Dringend Überarbeitungsbedarf“
„Die Abwägung, welche Alters- bzw. Bevölkerungsgruppen eingebunden werden könnten, wird uns im Vorfeld kommender Kandidat-O-Maten weiterhin beschäftigen“, räumt Bossert ein. Aber: Ihren Vorwurf, wir hätten gegen die „Neutralität des Verfahrens“ verstoßen, können wir nicht nachvollziehen. Allen Kandidierenden sind zum jeweils selben Zeitpunkt dieselben Informationen zugeschickt und dieselben Angebote zur Rückmeldung gemacht worden.
In Tübingen soll ein ebenfalls von der LpB geplanter „Wahl-O-Mat“ nach Zweifeln an Konzept und Erarbeitung vorzeitig zurückgezogen worden sein. „Wir sehen auch beim Kandidat-O-Mat in Heidelberg etliche Schwachstellen und dringenden Überarbeitungsbedarf“, unterstreicht Bauer. Zumal die drei oben genannten Beispielthesen inhaltlich falsch seien: Die Stadt habe weder die Möglichkeit, generell E-Scooter zu verbieten, noch eine eigene Verpackungssteuer zu erlassen.
„Ich finde es toll, dass die LpB den Kandidat-O-Maten erstellt“, formuliert hingegen OB-Kandidat Sören Michelsburg (SPD). In Stuttgart sei das Programm rund 250 000 mal genutzt worden. Er finde es schade, „dass die anderen Kandidierenden so stark Kritik geäußert haben. Denn das führt nur dazu, dass die Menschen unsicher sind, ob die Thesen nun ausgewogen sind oder nicht“. Inhaltliche oder formale Kritik habe Michelsburg nicht formuliert. Aber: „Nachdem der stark angepasste Fragebogen zugesendet wurde, habe ich bei einer Frage nachgefragt, warum sie geändert wurde, weil das nicht begründet wurde. Bei einer zweiten Frage habe ich angemerkt, dass es, soweit wie möglich, schon Beschlusslage des Gemeinderats ist und die Frage irreführend sein könnte, da der Oberbürgermeister beziehungsweise der Gemeinderat, dies nicht ohne weiteres umsetzen kann und daher gefragt, ob die Frage dahingehend ergänzt werden könnte. Bei einer weiteren Frage ich habe vorgeschlagen, dass der Begriff ,Fauler Pelz' erklärt wird, da er für viele nicht direkt verständlich ist."
OB-Kandidat Björn Leuzinger („Die Partei“) sieht „keinerlei Probleme“ mit der Wahlentscheidungs-Unterstützung: Es gebe „einige Fragen die bei mir ein ,Hä?’ ausgelöst haben, die habe ich allerdings noch nicht zurück gemeldet“. Eine Erklärung für die offenen Briefe von Amtsinhaber Eckart Würzner habe er nicht.
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