Heidelberg. Unter anderem mit dem Bestsellerautor Dirk Oschmann ist am Sonntag das Internationale Literaturfestival Heidelberg zu Ende gegangen. Fünf Tage lang lockten neben Lesungen auch Diskussionen, ein literarischer Spaziergang und Musik sowie ein Live-Podcast ins atmosphärische Spiegelzelt auf dem Universitätsplatz in der Altstadt. Das Interesse war insgesamt groß, die Vielfalt der Themen und Formate erfrischend.
Zarte und manchmal gewollt schräge Cellotöne, die Katja Zakotnik ihrem Instrument entlockte, eröffneten das Programm am Sonntag – um dann Platz zu machen für durchaus schwere Kost. Die in der DDR geborene und im wiedervereinigten Deutschland aufgewachsene Autorin Anne Rabe lässt ihren Roman „Die Möglichkeit vom Glück“ aus der kindlichen Perspektive leicht daherkommen. Doch die Erinnerungen auch an Gewalterfahrungen innerhalb von Familien machen die Erzählung schonungslos-nüchtern. Es sind die Verwundungen einer Generation, die zwischen Diktatur und Demokratie groß wurde.
Im Gespräch mit Michel Friedman
Einen Gegenpol dazu setzte am Sonntagnachmittag Dirk Oschmann. Der Professor für Neuere Deutsche Literatur aus Leipzig führt mit seinem im Februar erschienen Sachbuch „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ seit Wochen die „Spiegel“-Bestsellerliste an. Im Gespräch mit dem Juristen und Publizisten Michel Friedman untermauerte er rund eine Stunde lang seine Thesen in der Alten Aula der Universität. Mit Annette Pehnt („Die schmutzige Frau“) und Katja Petrowskaja („Das Foto schaute mich an“) sollte der letzte Festivaltag zu Ende gehen.
Jagoda Marinic, seit Januar Künstlerische Leiterin des Festivals, hatte sich auf diesen Tag mit den unterschiedlichen Blickwinkeln auf die deutsch-deutsche Geschichte besonders gefreut, erzählt dem Publikum bei der Begrüßung von Anne Rabe. Die vorherige Leiterin des Interkulturellen Zentrums in Heidelberg hat bei ihrer Premiere des Literaturfestivals, das bisher „Heidelberger Literaturtage“ hieß und nun als „FeeLit“ einen jungen Markenauftritt erlebt, eine Reihe national und international renommierter Autorinnen und Autoren (mit einem starken Gewicht auf schreibenden Frauen) versammelt – allen voran Tsitsi Dangarembga, 2021 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet, die am Freitagabend in der Neuen Aula für volle Zuschauerränge sorgte.
Das Festival räumte nicht nur den großen Namen Platz ein. Der Donnerstagabend gehörte den regionalen Autorinnen und Autoren. Allerdings hätte dieser Teil, der sich bis zwei Uhr in den Morgen zog, doch einen etwas früheren Beginn verdient gehabt. Nachdem die Finalisten des Heidelberger Autorenpreises ihre eingereichten Texte vorlasen, gab es einen jeweils zehnminütigen Eindruck von Texten aus lokaler Produktion der Unesco-Literaturstadt. Mit Sitzsäcken hatten sich die ersten Zuschauerreihen da längst in eine gemütliche Lounge verwandelt. Der Abend soll zu einer festen Größe im Veranstaltungskalender des Festivals werden, stellte Marinic in Aussicht.
Ausschreitungen in Frankreich
Wie hoch aktuell Literatur sein kann, zeigte sich beim Auftritt von Aya Cissoko am Donnerstagnachmittag. Die ehemalige Profiboxerin und französische Schriftstellerin hatte ihre autobiografische Erzählung „Kein Kind von Nichts und Niemand“ mitgebracht. Es geht auf die Geschichte der Mutter ein, die als Migrantin und Alleinerziehende lebte und ihrer Tochter trotz der ärmlichen Umstände Selbstvertrauen vermittelte. Moderator Manfred Metzner, langjähriger Kurator des Festivals, änderte seinen Gesprächsfaden und analysierte mit der von ihm verlegten Autorin zusammen die Proteste im Nachbarland nach dem Tod eines Jugendlichen, der von einem Polizeibeamten erschossen worden war. „Die Todesstrafe ist abgeschafft“, wollte sich Cissoko auf keinerlei Diskussionen um eine eventuelle kriminelle Vorbelastung des Heranwachsenden einlassen: „Es gibt aber jedes Recht für Wut und Protest.“
Zu den Höhepunkten gehörten auch der gar nicht giftige, sondern berührend empathische „Toxic Man“ von Frédéric Schwilden und Raoul Schrott („Inventur des Sommers. Über das Abwesende.“) In der Regel gab es drei Abendveranstaltungen an den Festivaltagen: Mehrere Bachmann-Preisträgerinnen lösten sich unter anderem am Lesetisch auf der Bühne ab. Für einen „roten Faden“ sorgte neben der Festivalleiterin Marinic vor allem Moderatorin Alexandra Antwi-Boasiako. Die Hamburgerin ist eine professionelle Gesprächsführerin, die mit ihrer Mischung aus empathisch-naiven und gut recherchierten Fragen aus jedem Gast noch nicht bekannte, faszinierende Facetten herauskitzelte.
Angesichts dieses dicht gedrängten Programms fiel die aus den Vorjahren bekanntgewordene Publikums-Fragerunde nach den Lesungen weg, was einige Besucher bedauerten. Die Möglichkeit zum direkten Austausch mit den zum Teil von weither angereisten Autorinnen und Autoren bot sich aber am Signiertisch – oder einfach in den Pausen auf dem Festivalgelände, das zu einem gemütlichen Openair-Lesesaal umgestaltet war.
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