Kultur - „Literaturherbst“ als Kontrast zum Heidelberger Herbst konzipiert / Bis Sonntag auch an ungewöhnlichen Orten Lesungen

Autoren und Verlage bieten Nahrung für Geist und Seele

Von 
Michaela Roßner
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Heidelberg. In den gelben Gummihandschuhen hält July Söberg das Buch, aus dem sie liest. Eine bunte Schürze hat sie sich umgebunden, auf dem Kopf ein Kopftuch geknotet. Vor dem „Café YilllY“ in der Heidelberger Altstadt sitzen Zuhörer, Autos fahren über das alte Pflaster der Haspelgasse an Söberg vorbei. „Eiskalt erwischt“ heißt der „Putzfrauenkrimi“, den sie gemeinsam mit Yvonne Schwegler geschrieben hat. Beim „Heidelberger Literaturherbst“ geben die beiden Frauen gemeinsam auf offener Straße ein paar Minuten einen humorvollen Einblick in die Erlebnisse ihrer beiden etwas schrägen Ermittlerinnen. Noch bis Sonntag, 22. September, kann man an vielen Orten in der Stadt Literatur erleben: Insgesamt 31 Veranstaltungen von Schriftstellern und Verlagen aus der Region stehen auf dem Programm.

Organisiert hat das zum fünften Mal der Verein „Literaturnetz Heidelberg“. „Wir wollten einen Gegenpol zum Heidelberger Herbst setzen, bei dem es vor allem um Essen und Trinken geht“, erklärt Lothar Seidler, einer der Initiatoren, warum die Veranstaltungsreihe genau eine Woche vor dem größten Straßenfest der Stadt terminiert ist. Die Idee ursprünglich: die gesamte Altstadt zu einem Ort für Literatur zu machen. Doch schon weil die Stadtbibliothek, sozusagen das literarische Herz der Unistadt, im Stadtteil Bergheim liegt, wuchs das Literaturfest ganz schnell. In diesem Jahr ist Rohrbach dazu gekommen – und mit Dossenheim sogar eine Nachbarkommune, freut sich Seidler, der auch einen eigenen Verlag hat.

„Sammel-Format“ kommt an

Acht Autoren geben bei der Lesung unter freiem Himmel in der Haspelgasse einen Einblick in ihr Werk. Ein Format, das gut ankommt. Eher unbekannte Autoren zögen eher wenige Interessierte an, weiß Seidler. An diesem Freitagnachmittag hält ein paar hundert Meter weiter auf dem Marktplatz immer noch die „Fridays For Future“-Bewegung mehrere tausend Menschen zusammen. „Das hier hätte viel mehr Publikum verdient“, findet Eva Frei, die sich – wie ihr Begleiter Heinz Scheier eigens einen Klappstuhl mitgebracht hat, um die Lesungen entspannt verfolgen zu können.

Birgit Heid ist Spezialistin für Haikus, japanische Kurzgedichte – genau gesagt Ketten-Haikus, die Romaji heißen. Passend zu diesem Freitag hat sie ein Blatt voller „Klimaschutz-Haikus“ mitgebracht. „Auf dem Skihang weiße Krokusse“, trägt sie langsam vor.

Auch am Samstag und Sonntag gibt es noch mehrere Lesungen an eher ungewöhnlichen Orten – etwa vor dem öffentlichen Bücherregal auf dem Marktplatz in Rohrbach und im Weinberg.

Beim Auftakt zum „Lesefest“ am Donnerstagabend im Deutsch-Amerikanischen Institut (DAI) hat Ursula Krechel einen Einblick in Ihre Arbeit gegeben. „Geisterbahn“ heißt ihr neuer Roman, der Abschluss einer Trilogie ist. Die 74-Jährige ist bekannt für gründliche Recherche ihrer Stoffe. Krechel erzählt die Lebensgeschichte einer Sinti-Familie, der Dorns, über mehrere Jahrzehnte. Die Idee dazu habe ihr eine Begegnung aus der Kindheit in Trier gegeben: „Eine immer schwarz gekleidete, sehr traurig wirkende Frau, die als einzige ihr Kind immer zur Schule brachte und abholte.“ Krechels Figuren haben keine realen Vorbilder, sondern sind inspiriert durch viele Gespräche mit Zeitzeugen und langen Stunden in den Archiven. In den Beständen des Dokumentationszentrums der Sinti und Roma in Heidelberg hat sie Frank Reuter kennengelernt, der über Antiziganismus forscht und neben ihr auf dem Podium sitzt. „Ein ausgesprochen aktuelles Buch“, findet Jutta Wagner (DAI), die den Abend in der Bücherei des Hauses einleitet.

Info: Fotostrecke unter morgenweb.de/heidelberg

Literaturherbst Heidelberg

  • Der Literaturherbst Heidelberg findet zum fünften Mal statt.
  • Bis Sonntag, 22. September, stehen insgesamt 31 Veranstaltungen auf dem Programm.
  • Das Programm stellt der Verein Literaturnetz Heidelberg zusammen.
  • Die Reihe versteht sich als Lesefest. Die Akteure - Autoren und Verlage - kommen aus Heidelberg. miro
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Literaturherbst in Heidelberg

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Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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