Interview - Michael Braum hat zehn Jahre lang die Internationale Bauausstellung in Heidelberg geleitet – viel Vertrauensarbeit am Anfang, mehr Projektarbeit am Ende.

IBA-Direktor Michael Braum: „Wir sind nicht die Besserwisser, wir sind die Anderswisser“

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Michaela Roßner
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Die Internationale Bauausstellung (IBA) geht dem Ende entgegen. Sein Büro in der Alten Feuerwache in Bergheim gibt IBA-Chef Michael Braum auf. © Philipp Rothe

Zehn Jahre lang entwickelte die Internationale Bauausstellung (IBA) in Heidelberg Ideen und Projekte. Was brachte es, was lief zäh, was bleibt? Ein Gespräch mit IBA-Direktor und Professor Michael Braum.

Sie haben eine Dekade lang in Heidelberg gewirkt - war es eine lange oder eine kurze Zeit?

Michael Braum: Es verging wie im Flug. Und ich habe das Gefühl, mich jetzt in einer Phase zu befinden, in der es erst richtig losgeht. Dass es so schnell vorbeiging, ist ein Zeichen dafür, dass es eine sehr dichte und spannende Zeit war. Wir waren mit unseren Projekten so in die Tagespolitik eingebunden, dass wir kaum Zeit hatten, darüber nachzudenken, wie die Monate vergingen.

Gab es auch eher zähe Phasen?

Braum: Die ersten fünf Jahre bis zur Zwischenpräsentation waren eine schwierige Zeit, weil wir die Kolleginnen und Kollegen in den Ämtern davon überzeugen mussten, dass das, was wir machen, eine Bereicherung ihres Tuns ist. Wir als IBA GmbH hatten Freiheiten, die im Verwaltungsalltag nicht gegeben sind. Wir konnten Veranstaltungen durchführen und Leute einladen sowie „outside the box (außerhalb der Box)“ denken und agieren. Das ist ein ganz wesentlicher Impuls, den eine IBA setzen kann - und der auch darüber hinaus wirken sollte. Nach der Zwischenpräsentation 2018 Jahren ist der Knoten geplatzt: Ab dann haben wir viel mehr Projektarbeit geleistet, mussten uns aber auch viel „Schwarzbrotarbeit“ leisten, die ich vorher nicht als eine Aufgabe der Internationalen Bauausstellung betrachtet hätte.

Dann kam mit Corona…

Braum: Das war für uns ein fürchterlicher Einschnitt. Wir mussten alle Veranstaltungen - also das, was die IBA auszeichnet, nämlich in die Stadt hineinzugehen - einstellen. Dazu kam der finanzielle Aspekt. Aus den Diskussionen um Einsparungen beim städtischen Haushalt sind wir ausgesprochen gut rausgegangen, weil die Gemeinderäte der Überzeugung waren, dass dann an der falschen Stelle gespart würde. Die Zeit, in der es ruhiger war, konnten wir dazu nutzen, uns wieder stärker konzeptionell um die Inhalte zu kümmern. Das waren die guten Aspekte der Krise.

Internationale Bauausstellung (IBA)

  • Die erste Internationale Bauausstellung (IBA) gab es 1901 in Darmstadt.
  • Berühmtes Beispiel für ein IBA-Projekt ist die Stuttgarter Weissenhofsiedlung. Die Bauhaussiedlung wurde 1927 durch die IBA errichtet.
  • Die IBA Heidelberg findet unter dem Leitthema „Wissen schafft Stadt“ von 2012 bis Ende 2022 statt.
  • Ziel ist es, Heidelberg zur „Wissensstadt der Zukunft“ zu machen.
  • Vom 29. April bis 10. Juli findet die Abschlusspräsentation statt - mit 50 Veranstaltungen.
  • Eine Ausstellung (bis 26. Juni) fasst die IBA im Karlstorbahnhof in der Südstadt (Marlene-Dietrich-Platz) zusammen.
  • Infos: Iba.Heidelberg.de

Wie sahen die Vorbehalte gegen Sie zu Beginn aus?

Braum: Einer war: Da kommt jetzt jemand von außen, der uns sagen will, wo der Hase langläuft. Kollegen der Verwaltung sind arbeitstechnisch in einem völlig anderen Umfeld sozialisiert als die IBA-Leute, die alle aus freiberuflichen Tätigkeiten kommen. Wir mussten zeigen: Wir sind nicht die Besserwisser, sondern die Anderswisser. Wir können mit unserer Herangehensweise Prozesse beschleunigen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Braum: Es wäre der normale Weg gewesen, für Patrick-Henry-Village (PHV) einen Wettbewerb auszuschreiben. Die Büros hätten einen viele Seiten umfassenden Ausschreibungstext bekommen, in der jedes Amt eingebracht hätte, welche Vorgaben eingehalten werden müssen. Wir haben es anders gemacht und ganz bewusst fünf städtebauliche Büros aus Europa eingeladen, die sowohl in der Praxis, als auch in der Forschung tätig sind und die ich für die interessantesten halte.

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Welche Aufgabe hatten sie?

Braum: Vier haben je ein Szenario als Zielvorgabe bekommen. Etwa: Was würde mit dem neuen Stadtteil passieren, wenn er mehr Energie produzierte als er verbrauchte? Ein anderes ging das Thema Verkehrswende ganz progressiv an. Ein Büro hat diese Szenarien zusammengefasst. Dann luden wir die Planer, Verwaltungsvertreter und zufällig ausgewählte Bürger zu Design Thinking Workshops ein. Es war schwierig, weil wir ein Verfahren gewählt haben, mit dem wir uns bewusst gegen gängige Vorgehensweisen gewendet haben. Am Ende hatten wir den Dynamischen Masterplan. 2019 ist aus Mitarbeitern der Verwaltung auf Initiative des Oberbürgermeisters ein „agiles Team“ gegründet worden, das sich der IBA-Arbeit gewidmet hat.

Den Dynamischen Masterplan mussten Sie nach dem Bürgerentscheid zum Ankunftszentrum noch einmal „dynamisieren“. Wie schwierig war das?

Braum: Das war verdammt schwer. Städtebaulich haben wir es geschafft. Architektonisch wird es nicht einfach werden, das muss im nun anstehenden Wettbewerb bewiesen werden. Und inwieweit die gesellschaftliche Integration klappt, vermag ich nicht zu beurteilen. Das war ein richtig schwieriger Prozess. Denn wir haben die anspruchsvolle Vorgabe, Angebote für 5000 Arbeitsplätze und 10 000 Bewohner zu schaffen, damit der Stadtteil vital wird. Bäume sollten auch nicht leiden... Wir haben das das Ankunftszentrum in kleinere Module aufgeteilt und mussten dafür das Zentrum von PHV wieder verdichten. Ich sage immer, Stadtplanung heißt, Nachteile fair verteilen. Wir mussten ein paar Bäume wegnehmen und das Zentrum verdichten. Das ist uns gelungen, aber ob der Masterplan dadurch besser wurde, sollen andere entscheiden.

Was bringt ein Masterplan?

Braum: Dynamisch heißt nicht flexibel. Wir haben den Dynamischen Masterplan 2017 so genannt, weil er wie ein Mobile sein soll: derart austariert, dass alle Elemente miteinander in Verbindung sind, aber keines Übergewicht bekommt, weil es zu wichtig genommen wird.

Wie geht es mit der IBA weiter?

Braum: Zum 31. Dezember wird die GmbH aufgelöst. Ich selbst lasse jetzt los, mein Vertrag läuft im Februar 2023 aus. Es wird aber wichtig sein, wie die IBA-Arbeit in den Normalbetrieb übernommen wird. Meine Mutter hat immer gesagt, angebissene Brötchen darf man nicht wegwerfen. Ich habe jetzt hier ein ziemlich fettes Brötchen angebissen. Ich bin aber überzeugt, dass es gelingt, wenn man die Struktur richtig aufgleist und das Knowhow des IBA-Teams sichert, indem man die Mitarbeiter in Beschäftigung übernimmt. Die Geschäftsführung in der Entwicklungs- und Betreibergesellschaft „HD 16“ hat es dann in der Hand, die im festgelegten Ziele inhaltlich umzusetzen.

Sie arbeiten lieber in Projektgruppen als in Hierarchien. Warum?

Braum: Wir müssen aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und die Stadt als Gesamtheit sehen. Nicht monothematisch planen. Also keine Wohnsiedlung wie den Emmertsgrund, keine Mittelschicht-Siedlung wie die Bahnstadt. Auch keine verkehrsgerechte Stadtteile, wie sie in besonders harter Ausprägung in Ludwigshafen und Mannheim zu finden sind. Brücken sind in der Regel, wenn sie keine Flüsse oder Täler queren, ein Zeichen dafür, dass etwas schief gelaufen ist. Die unterschiedlichen Bereiche müssen miteinander vernetzt geplant werden, mit Störungen muss man leben. Ein aktuelles Beispiel: Wir bauen gerade Radschnellwege und müssen darauf achten, dass sie unsere Quartiere nicht zerschneiden. Weil wir nur darauf schauen, dass Radler auf ihnen schnell unterwegs sein können.

Freuen sich auf die Abschluss-Präsentation der Internationalen Bauausstellung ab 29. April: Michael Braum (v.l.), Eckart Würzner und Jürgen Odszuck. © Philipp Rothe

Was wäre besser?

Braum: Gegenseitige Rücksichtnahme ist das Gebot, nur so kann Stadt funktionieren. Gelingen kann das zum Beispiel so: Für jeden Stadtteil in Heidelberg sollte es eine Projektgruppe geben, 16 an der Zahl - mit jeweils einer anderen Teamleiterin. Jetzt haben wir stattdessen mehrere Ämter: eines für den Tiefbau, eines für die Landschaft, eines für die Umwelt, eines für soziale Fragen. Aus diesem sektoralen Denken müssen wir raus und stattdessen räumlich denken. Projektgruppen sind ideal, weil jeder seine Sicht einbringt.

Haben Sie ein persönlicher IBA-Lieblings-Projekt?

Braum: PHV. Die Stadt als Mobile zu denken, bei dem alles miteinander verbunden ist und nichts Übergewicht bekommen darf, hat mich mein ganzes Berufsleben fasziniert. Mir persönlich liegen besonders die Projekte am Herzen, die gegen den Trend gehen, etwa die WerkstattSchule, weil sie gegen die Akademisierung der Schul- und Bildungslandschaft wirkt. Und die Erweiterung der Sammlung Prinzhorn: Ich gehe dort hin und sammel e Inspirationen und Kraft. Jeder Mensch sollte Grenzerfahrungen machen in seinem Leben.

Wie sehen ihre weiteren Pläne aus?

Braum: Ich bleibe Heidelberger. Aber mit bald 70 Jahren kann man auch mal einen Schritt zurücktreten. Ich werde nicht mein Büro reaktivieren oder wieder Vorlesungen halten. Aber wenn man mich fragt, stehe ich gerne als Ratgeber zur Verfügung. Ansonsten: Ich kaufe mir ein E-Bike und radele durch Europa. Ich mache Segeltörns. Ich werde aber keine Tomaten anpflanzen. Alte weiße Männer sind aus der Zeit gefallen, alte weise Männer sind nützlich.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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