Den Kühlschrank nicht zu stark herunterkühlen, LEDs statt alter Glühlampen nutzen - das sind praktische Energiespartipps für Privathaushalte. Wie aber kann ein Konzern mit vielen Produktionsstätten Strom sparen? Bei Heidelberg Materials (ehemals HeidelbergCement) geht es gleich um ganze Schichten, die ihre Arbeitszeiten auf den Kopf stellen. In den europäischen Werken des Baustoffherstellers laufen jetzt die Mühlen und Öfen an den Wochenenden auf Hochtouren, während es unter der Woche eher still sein kann.
Den einfachen Grund erklärt Finanzvorstand René Aldach: Am Wochenende ist Strom meist billiger. Man beobachte die Entwicklung am Strommarkt sehr genau und reagiere sofort auf starke Veränderungen. Leicht ist das nicht, denn die Preissprünge innerhalb kurzer Zeit sind enorm. Von einer „gigantischen Volatilität“ spricht Vorstandschef Dominik von Achten. Aktuell kommt es zu Ausschlägen von bis zu 1000 Euro.
Bis nächstes Frühjahr hat Heidelberg Materials den Preis für einen großen Teil seines Stroms noch abgesichert. Doch selbst die fehlende Menge, die am offenen Markt zugekauft werden muss, macht dem Baustoffhersteller schwer zu schaffen. Dabei hat Heidelberg Materials noch Glück gegenüber anderen Industriezweigen. Die Zementherstellung braucht zwar große Mengen an Energie, aber für die Anlagen braucht der Konzern relativ wenig Gas. Alternativ werden zum Beispiel Altreifen, Biomasse und Petrolkoks genutzt. In manchen Regionen kommen sogar Pistazienschalen oder Elefantengras zum Einsatz.
Aber da eben auch viel Strom verbraucht wird, schlagen die Preisexplosionen beim Strom massiv zu Buche. Allein im ersten Halbjahr hat Heidelberg Materials eine halbe Milliarde Euro mehr als üblich für Energie bezahlt. Vor der Energiekrise lagen die Kosten bei insgesamt rund zwei Milliarden Euro im Jahr. Deshalb hatte der Konzern auch seine Gewinnziele für 2022 heruntergesetzt.
Vorübergehend abschalten
Bislang konnte der zweitgrößte Baustoffhersteller der Welt den Kostenanstieg größtenteils an die Kunden weitergeben. Doch auch Preiserhöhungen hätten ihre Grenzen, räumt von Achten ein. Und warnt: „Wir können in eine Situation kommen, in der wir Anlagen abschalten müssen, weil es sich nicht mehr lohnt.“ Wenn der Strompreis nicht heruntergehe, müsse Heidelberg Materials Anlagen in deutschen Werken vorübergehend stilllegen. Das lasse sich auch schwer durch andere Werke im Ausland ausgleichen, da sich lange Transportwege für Zement nicht lohnen. Das bedeutet geringere Mengen und höhere Preise für Zement und Beton. In Deutschland betreibt Heidelberg Materials acht Zement- und drei Mahlwerke, dazu kommen unter anderem Steinbrüche und Transportbetonwerke.
Von Achten spricht aber auch von weitergehenden Folgen wegen der Energiekrise: „Hinter dem Standort Deutschland und Europa steht ein echtes Fragezeichen.“ Ein staatlicher Gas- und Strompreisdeckel nach dem Vorbild Großbritanniens sei dringend nötig, um Stilllegungen in energieintensiven Branchen zu vermeiden.
Dazu zählt er neben der Baustoffindustrie zum Beispiel Aluminium- und Stahlhersteller. So hat der Stahlkonzern ArcelorMittal laut der Wochenzeitung „Zeit“ Teile seines Hamburger Werks für ein halbes Jahr geschlossen, weil eine Produktion zu wettbewerbsfähigen Preisen nicht mehr möglich sei. „Wenn Europa in eine tiefe Rezession kommt, werden viele Arbeitsplätze gefährdet sein“, warnt von Achten. Bekommen Europa und Deutschland die Energiepreise nicht in den Griff, könnte das den Wirtschaftsstandort als Ganzes gefährden. „Ein Strom- und Gaspreisdeckel muss kommen.“
Er setzt auch darauf, dass eine solche Deckelung den Markt beruhigen würde, der inzwischen von „Mega-Spekulationen“ geprägt sei. Einen Strompreis von bis zu 200 Euro je Megawattstunde hält er für tragbar. Die Bundesregierung müsse vorne am Markt eingreifen und nicht nur die Symptome bekämpfen, so von Achten. „Wenn ich meinen Job verliere, nützen mir auch 3000 Euro Pauschale nichts.“ Der Vorstandsvorsitzende begrüßte auch, dass die beiden Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim länger am Netz bleiben sollen.
Bis vor einer Woche hieß Heidelberg Materials noch HeidelbergCement. „Wir sind mehr als Zement“, begründete von Achten die Umbenennung. Für den Dax-Konzernchef steht der neue Name aber auch für einen tiefgreifenden Strategiewechsel. Er will weg vom Massengeschäft mit überall gleicher Standardware, „dem grauen Pulver“.
Erster CO2-freier Zement
Heidelberg Materials soll sich künftig über seinen CO2-Fußabdruck differenzieren. Die Konkurrenz hinke beim Thema CO2-Reduzierung rund fünf Jahre hinterher. 2024 wollen die Heidelberger den ersten CO2-freien Zement auf den Markt bringen.
Die zentrale Technologie dafür ist die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS). Bei der Zementherstellung werden große Mengen des Gases frei, die aufgefangen und gelagert werden. Wichtigstes Pilotprojekt ist das Werk im norwegischen Brevik, das staatlich gefördert wird. Das abgeschiedene CO2 wird in der Nordsee gelagert.
Die Akzeptanz für CCS sei in Deutschland noch gering, erklärt Nicola Kimm, im Vorstand zuständig für Nachhaltigkeit. Doch gebe es genügend Lagerstätten offshore in Holland oder Osteuropa.
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