Heidelberg. Herr Köllhofer, wie füllen Sie ihre Zeit als künftiger Rentner?
Jakob Köllhofer: (lächelnd) Ich werde als erstes in Paris mein Französisch aufpolieren. Walter Benjamin sagte, es gibt das tatsächliche Leben, aber es gibt auch die vielen möglichen Leben, die man verraten oder unterdrückt hat. Ich fühle mich verpflichtet, sie wieder ins Spiel zu bringen.
Wie gehen Sie mit den Abschiedsterminen um, die nun anstehen?
Köllhofer: Es sind sehr emotionale Momente. Ich habe ja eine große Lebensspanne hier verbracht. Ein 16-Stunden-Arbeitstag war keine Seltenheit, sondern häufig Normalität. Aber es ist auch gut, sich von alten Themen zu lösen und sich neuen Herausforderungen zu stellen.
Was glauben Sie, war das Geheimnis Ihres Erfolgs in fast 40 Jahre als DAI-Direktor?
Köllhofer: Gastfreundschaft. Wichtig ist auch, das Neue – oft in kleinen Anfängen – frühzeitig zu erkennen. Wie ein guter Gastgeber es tut, galt es, diese Ideen und die Menschen, die sie tragen, in die Öffentlichkeit zu bringen.
Als Sie 2016 die Bürgermedaille der Stadt erhielten, sprachen Sie von Ihrem tollen Team und wie wichtig jeder Einzelne darin sei. Doch 2022 tauchte ein anonymer Brief von Beschäftigten auf und in der Folge wurde Ihnen die Personalverantwortung entzogen. Haben Sie Fehler gemacht?
Köllhofer: Man macht sich immer zuerst selbst Vorwürfe. Es war eine schwierige Zeit, vor allem wegen der Auswirkungen von Corona. Die Hektik, die damit einherging, führte zu Spannungen. In einem Team, das sehr eng zusammenarbeitet – und man sich gleichzeitig ständig mit Masken begegnet und nicht richtig miteinander reden kann – passiert so etwas. Heute sage ich, es hätte nicht so kommen müssen. Meine Tür war immer offen, man hätte direkt mit mir reden können.
Es war ein anonymer Brief und ich kann bis heute nur vermuten, wer dahinter steckte. Das Ganze erinnert mich an einen Dolchstoß von hinten. Ich habe übrigens die Öffentlichkeit nie mit meiner Version des „Skandals“ bedrängt. Ich habe einmal versucht, zwei, drei Fragen klarzustellen. Das ist nicht auf offene Ohren gestoßen. Ich würde dennoch heute vieles anders machen, anders kommunizieren und strenger mit den Pflichten und der Verantwortung umgehen, als ich das getan habe. In schwierigen Zeiten muss man einen klaren Kopf bewahren und als Führungskraft mit gutem Beispiel vorangehen.
Als Honorarkraft gekommen und fast 40 Jahre Chef
Jakob Köllhofer (geboren am 26. September 1947) lebt seit 1970 in Heidelberg.
Köllhofer hat in Freiburg und in Großbritannien Anglistik studiert.
Seit 1977 arbeitete er für das Deutsch-Amerikanische Institut (DAI).
Sein Anglistikprofessor Rolf Sühnel brachte ihn zunächst aus Aushilfskraft ans DAI. Ab 1986 leitete Köllhofer die Einrichtung in der Sofienstraße.
Einer der ersten Gäste war der politische Aktivist Rudi Dutschke. Das als USA-hörig stigmatisierte DAI unterzog sich einem Imagewandel.
Am 26. November 2016 wurde Köllhofer mit der Bürgermedaille der Stadt Heidelberg geehrt. Das DAI habe sich unter seiner Leitung „zu einem Haus der Bildung und der Kultur entwickelt, dessen Bedeutung weit über die Grenzen der Stadt hinausgeht“, hieß es in der Ehrung durch Oberbürgermeister Eckart Würzner. Köllhofer sei eine „herausragende Persönlichkeit der Heidelberg Stadtgesellschaft“.
Ende Januar 2022 wandten sich DAI-Beschäftigte in einem anonymen Schreiben an den DAI-Freundeskreis und den Trägerverein und forderten die Absetzung des zweiköpfigen Direktoriums. Im anonymen Schreiben war die Rede von Mobbing, Missachtung von Arbeitnehmerrechten und „toxischer Atmosphäre.“
Nach einer internen Untersuchung unter Leitung eines externen Moderators wurden die Geschäftsführer Jakob Köllhofer und Ingrid Stolz von ihren Verwaltungsaufgaben entbunden. Köllhofer kümmert sich seither ausschließlich um die Programmplanung. Im Juli 2022 kündigte Köllhofer seinen Rücktritt für Ende 2024 an.
Als Sie das DAI 1986 als Direktor übernahmen, hat es sich gegen den Irakkrieg gestellt. Ist das DAI unpolitischer geworden?
Köllhofer: Nein, ich glaube, wir sind sogar selbstständiger, mutiger und präziser geworden. Wir planen unser Programm spätestens ein halbes Jahr vorher. Da muss man eine Nase haben für das, was kommen wird. Die Islamproblematik haben wir Jahre im voraus behandelt. Oder die Schwierigkeit, über Israel zu reden – das haben wir noch ein halbes Jahr vor dem 7. Oktober 2023 durchdekliniert. Und dann die Zeit der Wiedervereinigung: Mit dem Segen und der Unterstützung der US-Botschaft hatten wir die polnische Ministerpräsidentin Hanna Suchocka hier, Gyula Horn, den Außenminister und späteren Ministerpräsidenten von Ungarn, wir hatten Pierre Pflimlin da, Ministerpräsident Frankreichs.
Wir haben also eher mit Weitblick unser Programm geplant. Gleichwohl kam uns aber das Glück der Tagesaktualität zu – und so haben wir hier schon Gäste gehabt, die wenig später einen Nobelpreis bekommen haben – zum BeispielKatalin Karikó, die als Biochemikerin die Grundlagen für die Covid-19-Impfung legte. Wir sehen uns nicht als Stammtisch, der die letzten Nachrichten kommentiert, sondern wir versuchen in unterschiedlichen Formaten den nachhaltigeren Aspekt zu verfolgen einer Veränderung.
Was wünschen Sie Ihrer Nachfolgerin Lena Jöhnk?
Köllhofer: Alles Gute! Sie muss diesen „Overall des DAI“ nun erst einmal richtig anziehen. Lena Jöhnk war schon sehr fleißig und hat überall an den Beziehungen, die das Haus hat, angeknüpft. Sie wird ihren Weg gehen. Ich kann ihr nur wünschen, dass man vor allem mit und nicht so sehr über sie redet.
Wenn Sie beschreiben müssten, was das DAI ist, würden Sie von einem Bildungshaus sprechen, oder einem Kulturhaus, oder einem Literaturhaus?
Köllhofer: Es ist ein Kulturhaus, in dem Menschen Nahrung finden für ihre geistige und emotionale Entwicklung. Ein Haus der Aufklärung und Demokratie.
Sie waren zumindest bei der ersten Wahl vom Oberbürgermeister Eckart Würzner im Beraterteam. Hatten Sie auch schon andere Kandidaten unterstützt?
Köllhofer: Beratung war es glaube ich nicht, aber ich habe immer meine Meinung gesagt. Die praktische Politik kann ja nicht in allem Expertise sein und braucht Meinungen aus den verschiedenen Bereichen. Insofern habe ich versucht, ein uneigennütziges Bild wiederzugeben von dem, wie ich Heidelberg sehe, und zwar im täglichen Leben. Kleinstädte haben das Problem, dass sie häufig in ihrem Selbstbewusstsein viel größer sind als das, was sie faktisch hergeben. Daraus kann sich ein Narzissmus entwickeln, der viel verstellt. Da sehe ich das DAI auch als Membran zwischen Außen und Innen.
Werden Sie denn noch viel Zeit in Heidelberg verbringen?
Köllhofer: Meiner Nachfolgerin würde ich empfehlen, jede sechste Woche weg zu fahren und von draußen auf Heidelberg zu schauen, um im innerstädtischen Diskurs die Objektivität zu wahren. Dann behält man den richtigen Maßstab.
Sie haben Hunderte Prominente hier begrüßt. Gibt es da einen Lieblingspromi?
Köllhofer: Ich habe einige großartige Stunden erlebt. Auch mit Leuten, die im Stillen geforscht haben. Mit dem israelischen Naturwissenschaftler und Mediziner Yeshayahu Leibowitz hatte ich großartige Begegnungen. Und ein tolles Gespräch mit dem Dalai Lama über Menschenwürde. Ganz wichtig waren mir Treffen mit dem inzwischen emeritierten Psychologieprofessor Rainer Mausfeld. Er bemüht sich unglaublich ehrlich und aufrichtig um ein Gespräch zwischen den Menschen.
Wie schwierig war es, den Dalai Lama herzubekommen?
Köllhofer: Es war kompliziert. Ich bin in die Schweiz gefahren und habe mit den Vertrauten verhandelt. Ich dachte, ich könnte ein besonderes Gespräch zwischen der Universität und dem Dalai Lama vermitteln. Man hätte wohl mehr daraus machen können. Ich war dennoch zufrieden mit dem, was der Dalai Lama gesagt hat – auch wenn er wie ein großer Anführer relativ unpräzise blieb. Die Botschaft richtete sich an das Herz – und an das Mitgefühl.
Vielleicht eine Frage zu den Finanzen. Aus Berlin kommt möglicherweise bald weniger Geld. Und wie verhält sich Trump wohl?
Köllhofer: Wir haben nicht gelitten in der Zeit, als Donald Trump Präsident war. Da kommt ohnehin nicht sehr viel. Wir haben häufig technische Hilfen bekommen, oder manchmal das eine andere Programm. Wir waren sehr, sehr fleißig im Sammeln von Drittmitteln. Das hat sicherlich einen großen Teil meiner Arbeit – auch als Geschäftsführer des Freundeskreises und der Schurmann-Gesellschaft – ausgemacht. Ich habe 40 Jahre lang keine Schulden gemacht und habe lieber das ganze Wochenende – und zwar über Jahre hinweg – Partys veranstaltet, die Geld in die Kasse brachten. Was ich sagen möchte: Der Freundeskreis hat im Wesentlichen dieser Stadt gedient.
Für mich war das oft ein zwölfstündiger Nebenjob im Ehrenamt. Die ganze Bibliothek, damals an die 18 000 Bände, habe ich während des Umbaus des DAI mit meinen Kindern an einem Wochenende umgezogen. Dafür hat kein Steuerzahler etwas bezahlt. Ich habe auch meine Reisen nach Amerika selbst finanziert. Wir haben hier alle viel gearbeitet. Die Gestaltungskraft oder -macht war es, die mich all die Jahre angetrieben hat. Wir hatten am Anfang enorme Geldnöte: 23 000 D-Mark für ein ganzes Jahr, um Honorare, Werbung, Reisekosten zu bezahlen... Ich hatte sieben Jobs in einem. Wir haben im Keller mit der Kurbel noch Plakate gedruckt und ich habe sie auch selbst aufgehängt. Einmal bin ich festgenommen worden und mit der „Grünen Minna (im Polizeiwagen, Anm. der Red.)“ durch die Stadt gefahren, weil ich ein Ernst-Jandl-Plakat verbotenerweise an einem Bauzaun befestigt hatte.
Auf welche Projekte sind Sie stolz?
Köllhofer: Ich denke an das Festival „Words & Voices“, an „500 Jahre Columbus“, an die DAI-Kindergärten und das Begeisterhaus. Wie sollen Kinder sich selber finden unter dieser digitalen Lawine? Wer sagt ihnen, was ihre wirkliche Begabung ist? Das Begeisterhaus war etwas, womit sich Heidelberg über die nächsten Jahrzehnte hätte schmücken können. Und auch das war alles ohne Zutun des Steuerzahlers.
War? Ist es nicht mehr geöffnet?
Köllhofer: Es nie genutzt worden. Die mutwillige Zerstörungskraft des anonymen Briefes kam dem zuvor. Die Räume werden meines Wissens jetzt von einer Schule genutzt. Was zur Eröffnung des Begeisterhauses zu sagen ist: Erschwert wurde der Fertigungstermin durch Lieferengpässe (zum Beispiel kamen Elekrokabel nicht bei uns an, weil auf dem Suezkanal ein Schiff quer stand) und durch Corona, woran einige Mitarbeiter erkrankt waren und sich unser Mann vor Ort zudem noch das Bein gebrochen hatte. Sich da über Terminschwierigkeiten und andere Formalien aufzuregen, war schon befremdlich.
Wie schade...
Köllhofer: Ja, das ist es. Ich denke an die erste Zeit, als wir den Makerspace hier unten im Keller hatten. Als die Welle der Migranten kam, haben sie hier mit Jugendlichen gelernt, wie man einen 3-D-Drucker baut. So wurden sie nicht nur in der Sprache ausgebildet, sondern bekamen gleich eine Qualifikation dazu. ... Aber eine gute Idee stirbt nicht. Und wenn es eine Lösung ist für ein drängendes Problem, schon gar nicht. Insofern bin ich gerade ganz guter Dinge, das sich alles fügen wird – auf Umwegen und nicht so, wie ich es gedacht habe.
Es gab mal die Idee, den Adenauerplatz mit einer futuristischen Hülle zu bedecken und dort Zukunftsthemen vorzustellen. Hatten Sie der Welt da einen Bären aufgebunden?
Köllhofer: Nein, es waren ganz realistische Pläne. Wir haben Ausstellungen mit Architektenplänen gemacht und wiederholt konkrete Gespräche mit Gremien geführt.
Was ist passiert mit dieser Idee?
Köllhofer: Das Projekt reifte im Zusammenhang mit der Internationalen Bauausstellung. Wir hatten bereits Fördergelder vom Land Baden-Württemberg in Aussicht. Aber dann starb ein wirklich wichtiger privater Unterstützer. Das war sehr traurig. Die Idee hat sich nicht mehr verwirklichen lassen.
Wo sehen Sie die Rolle des DAI – aktuell und in Zukunft?
Köllhofer: Ich sehe große Unruhe im Land. Es fehlt ein geistiges Ziel. Ich habe manchmal das Bild eines Schiffs im schweren Wetter vor mir. Doch man kümmert sich zu wenig um die Rettungsboote, statt dessen scheint man die Bordkapelle zu hofieren. Obwohl das Wasser schon bis zu den Knöcheln reicht. Das DAI sollte immer ein Rettungsboot sein, also geistige I Festigung bieten. Klare Regeln gehörten dazu – aber auch die Offenheit zum Aufbruch, gepaart mit einer gewissen Beweglichkeit. Veränderungen anzunehmen sollte etwas sein, das einem Freude macht.
Sie waren immer gegen die Gründung eines Literaturhauses in Heidelberg. Weil da Konkurrenz gekommen wäre?
Köllhofer: Nein. Wir geben der Literatur viel Raum und ich habe mich wirklich bemüht, gute Autorinnen und Autoren zu bekommen. Ich stelle fest, dass es zu vielen unterschiedlichen Initiativen der Literaturvermittlung gekommen ist. Das hätte eine Zentralisierung der Literaturarbeit nicht leisten können.
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