Justiz

"Gefahr für die Allgemeinheit" - Frau nach Attacke auf Busfahrerin in Heidelberg verurteilt

Eine abgebrochene Glasflasche stieß die 27-Jährige der 73 Jahre alten Fahrerin ins Gesicht, nachdem diese sie aufgefordert hatte, eine Maske zu tragen. Das Gericht stufte die Angeklagte als schuldunfähig ein

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Julian Eistetter
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Der Prozess um den Angriff in einem Shuttle-Bus wurde vor dem Heidelberger Landgericht verhandelt. © Christine Cornelius/dpa

Heidelberg. Die dunkelhäutige Frau in der blauen Winterjacke nimmt die Worte des Vorsitzenden Richters Jochen Herkle ohne große Emotionen zur Kenntnis. Zumindest äußerlich. Die 27-Jährige muss in eine psychiatrische Klinik. Wie lange, das ist offen. Jedes Jahr werde die Unterbringung aufs Neue geprüft. Die Dauer werde von den Behandlungserfolgen abhängen, sagt der Richter. Niemand werde die schwangere Kenianerin im Psychiatrischen Zentrum Nordbaden in Wiesloch vergessen, verspricht er. Eine andere Entscheidung als die Unterbringung sei jedoch nicht infrage gekommen. Die 27-Jährige soll unter einer paranoiden Schizophrenie leiden. Eine Erkrankung, die ihre Steuerungsfähigkeit derart beeinträchtige, dass sie im April dieses Jahres im Zustand der Schuldunfähigkeit einen brutalen Angriff auf eine Busfahrerin in Heidelberg verübte, der die Frau das Leben hätte kosten können.

Seit Dienstag musste sich die Angeklagte für diese Tat vor der 6. Großen Strafkammer des Heidelberger Landgerichts verantworten. Bereits am Mittwoch ergeht das Urteil. Dabei bestehen für die Kammer nach der Beweisaufnahme am Tathergang keine Zweifel. Am 22. April gegen 18.30 Uhr steigt die Frau an der Sammelstelle in der Kurfürsten-Anlage in einen Shuttle-Bus, der die Fahrgäste zum Patrick-Henry-Village bringen soll, wo die 27-Jährige untergebracht ist. Von der damals 73 Jahre alten Fahrerin wird sie darauf hingewiesen, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, woraufhin sich die Kenianerin aggressiv verhält.

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Mit einer abgebrochenen Glasflasche geht sie kurz darauf auf die Fahrerin los, die ihr den Rücken zukehrt und vom Angriff überrascht wird. Die 27-Jährige stößt die Flasche wuchtig in den Gesichts- und Halsbereich der 73-Jährigen. Diese trägt unter anderem einen drei Zentimeter tiefen und 15 Zentimeter langen Schnitt vom Mundwinkel zum Kiefer davon. Sicherheitspersonal greift ein und verhindert noch Schlimmeres.

Heimtücke nicht nachweisbar

„Wer eine derart gefährliche Handlung vornimmt, der erkennt die Möglichkeit tödlicher Folgen“, ist der Vorsitzende Richter überzeugt. Die Angeklagte habe also mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt. Äußerungen wie „I kill this white bitch“ hätten dies belegt. Heimtücke, wie anfangs von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, habe ihr jedoch nicht nachgewiesen werden können, weshalb der Vorwurf von versuchtem Mord auf versuchten Totschlag herabgestuft worden sei.

„Der Tat haftet auf den ersten Blick nichts Verrücktes an“, erklärt Jochen Herkle in seiner Urteilsbegründung. „Sie kommt als eskalierter Maskenstreit daher. Und dennoch steht nun am Ende eine Unterbringung und keine Strafe.“ Auch wenn dies für viele schwierig vermittelbar sei, so sei die Kammer zu der Überzeugung gekommen, es mit einer psychisch kranken Angeklagten zu tun zu haben. „Dabei darf man nicht nur eine Querschnittanalyse der Tat vornehmen, sondern muss eine Lebens-Längsschnittanalyse machen“, so der Vorsitzende.

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Diese habe laut Gutachter eindeutig ergeben, dass seit 2019 eine paranoide Schizophrenie vorliege. „Zusammenhänge zwischen dieser Erkrankung und einer Tat können, müssen aber nicht bestehen. Wir hatten es hier nicht mit einem Wahnerleben zu tun. Die Angeklagte fühlte sich provoziert und wollte sich zur Wehr setzen“, sagt der Richter. Doch in der Vergangenheit habe es vielfältige Wahnerlebnisse im Leben der 27-Jährigen gegeben, sie habe Stimmen gehört. Dies habe ihr Persönlichkeitsgefüge erschüttert, sie habe den Wirklichkeitsbezug verloren. Hemm-Mechanismen seien verlorengegangen, weshalb sie für ihr Tun in strafrechtlicher Hinsicht nicht verantwortlich gemacht werden könne. Sie stelle aber eine Gefahr für die Allgemeinheit dar, und es seien weitere Straftaten zu erwarten. Bei der rechtlichen Einordnung waren sich alle Verfahrensbeteiligten einig. Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Nebenklage sprachen sich allesamt für eine Unterbringung aus.

„Eine starke Persönlichkeit“

Viel Anerkennung erfährt am Mittwoch die inzwischen 74 Jahre alte Busfahrerin. „Es war bemerkenswert, wie sie hier aufgetreten ist“, sagt Jochen Herkle. Sie habe ihr Schicksal akzeptiert und schon bald nach der Tat wieder hinter dem Steuer eines Busses gesessen. „Bewunderung und Respekt“ für diese Haltung bringt ihr auch Oberstaatsanwältin Christiane Vierneisel entgegen. „Sie sind eine starke Persönlichkeit, die ihr Schicksal angenommen hat und weiter ihrer Leidenschaft nachgeht“, betont sie.

Seit 50 Jahren schon fahre die Frau Bus, obwohl sie bereits Rentnerin ist noch zweimal wöchentlich. Sie hege keinen Groll gegen die Angeklagte, obwohl sie eine große Narbe im Gesicht behalten werde, Probleme beim Sprechen und der Nahrungsaufnahme habe, sagt ihr Anwalt Silvio Käsler. Sie habe sich sogar mit der 27-jährigen Kenianerin beschäftigt, sich gefragt, was ihr widerfahren sein muss im Leben. Diese Haltung zeuge von Größe.

Redaktion Reporter Region, Teamleiter Neckar-Bergstraße und Ausbildungsredakteur

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