Heidelberg. Der Fall hatte im April für Aufsehen gesorgt: Die Fahrerin eines Shuttle-Busses erinnert eine Passagierin an die geltende Maskenpflicht. Die Mitfahrerin bleibt stur – und erscheint wenig später hinter der Fahrerkabine. Unvermittelt schlägt sie mit einer abgebrochenen Glasflasche auf die 73-Jährige Busfahrerin ein und verletzt diese schwer im Gesicht. Nur knapp verfehlt sie die Halsschlagader. Herbeigerufene Polizeibeamten werden beschimpft, bespuckt und getreten.
Nun muss sich die 27-jährige mutmaßliche Angreiferin unter anderem wegen versuchten Mordes vor der 6. Großen Strafkammer am Landgericht Heidelberg verantworten. Weil die Frau ihre Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen haben soll, wird der Prozess unter dem Vorsitz von Richter Jochen Herkle als Sicherungsverfahren geführt. Einstweilig untergebracht ist die Beschuldigte im Psychiatrischen Zentrum in Wiesloch. „Ich habe keine Erinnerung“ war einer der am häufigsten gehörten Sätze am ersten von voraussichtlich nur zwei Verhandlungstagen. Die Medikamente seien sehr stark, betonte die zweifache Mutter, die in Kenia aufwuchs und im März 2019 erstmals Stimmen gehört haben will. „Sehr verwirrend“ sei dies für sie, und „niemand außer Gott“ sei am Tattag dabei gewesen.
Völlig überraschende Attacke
Was sich an jenem 22. April zugetragen hat, schilderten Opfer und Beobachter übereinstimmend. Die damals 73-jährige war kurzfristig für einen Kollegen eingesprungen. Mit dem Shuttlebus fuhr sie ins Patrick-Henry-Village, wo Asylbewerber auf ihren Transport in die Stadt warteten. Zur Tragödie kam es gegen 18.30 Uhr: Angesprochen auf die Pflicht zum Tragen des Mund-Nasen-Schutzes habe die Beschuldigte die Fahrerin zunächst beleidigt. Nachdem sich die Passagierin geweigert habe auszusteigen, habe sie die Polizei gerufen und auf dem Fahrersitz Platz genommen. Der Angriff sei „völlig überraschend“ geschehen, mit so etwas habe sie „überhaupt nicht gerechnet“, sagte die Geschädigte. „Etwas Kaltes“ habe sie gespürt, ehe sie den Schmerz registrierte. Eine drei Zentimeter tiefe und 15 Zentimeter lange Schnittverletzung vom rechten Mundwinkel bis auf die rechte Halsseite stellten die Ärzte fest. Zuvor hatte ein Fahrgast sein Hemd zum Verband umfunktioniert und die Blutung gestillt.
Dem Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes gelang es schließlich, die Angreiferin zurückzudrängen. „Es ist schlimm, es ist traurig, aber ich muss vorwärts schauen“, erklärte die Fahrerin, die schon zwei Wochen nach dem Vorfall wieder in den Bus stieg. Die Strecke zum PHV – die ohnehin als nicht unproblematisch gelte – lässt sie jedoch aus.
Neigung zu extremer Reizbarkeit
Auch wenn die 73-Jährige ihren Sinn für Humor nicht verloren hat („verheiratet bin ich ja schon“), so hat die Attacke Spuren hinterlassen. Zurückgeblieben sind Narben, die weiterhin einer Behandlung bedürfen. Der auf die Zähne einwirkende Druck führt zu Reizungen, die das Sprechen zum Teil beeinträchtigten. Schmerzen erschweren mitunter den Schlaf der für ihr Alter außergewöhnlich vitalen Kraftfahrerin.
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„Es tut mir von Herzen leid“, wandte sich die Beschuldigte an ihr Opfer. Dass eine Unterbringung indiziert ist, ergibt sich aus der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen. Diagnostiziert ist eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Infolge ihres Zustands seien von ihr weitere Taten zu erwarten, weswegen sie „für die Allgemeinheit gefährlich“ sei.
Ihre Neigung zu extremer Reizbarkeit räumte die Betroffene selbst ein. „Alle in Heidelberg sind zu mir böse gewesen“, so die 27-Jährige, die sich eine Rückkehr nach Kenia erhofft. Ständig werde sie „provoziert“ und müsse sich dann „verteidigen“. Schon einmal habe sie einen Mann mit einer Glasscherbe ins Gesicht geschlagen, nachdem dieser sie beleidigt habe. Mit einer Besserung scheint zudem nicht in nächster Zeit zu rechnen zu sein. „Ich werde immer wieder ausrasten, kein Medikament kann das ändern“, ließ die Beschuldigte wissen und ergänzte: „Ich habe vor nichts Angst!“ Ein Urteil wird am Mittwochvormittag erwartet.
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