Heidelberg/Mannheim/München. Als der in Mannheim lebende Schauspieler und Drehbuchautor Raúl Semmler am Samstagabend das Spielfeld in der Münchner Allianz Arena stürmen will, greift ein Ordner des FC Bayern München eines seiner beiden Beine. Semmler, kein Fußballanhänger, gerät ins Straucheln. Unmittelbar neben der Bank von Trainer Julian Nagelsmann fällt der 37-jährige Klimaschutz-Aktivist deshalb fast kopfüber von den Zuschauerrängen in den Innenbereich. Es läuft die 17. Minute im Spiel des Rekordmeisters gegen Borussia Mönchengladbach. Semmler, der sich in den vergangenen Monaten in aufwendigen Aktionen im morgendlichen Berufsverkehr auf mehreren Straßen in Heidelberg und Mannheim festgeklebt hatte, verletzt sich so schwer, dass er in die Notaufnahme eines Krankenhauses eingeliefert werden muss. Mehrere Dornfortsätze an der Lendenwirbelsäule sind laut einer CT-Untersuchung gebrochen. Er kann aber nach eigener Aussage noch in der Nacht selbstständig mit dem Zug nach Mannheim zurückkehren.
Radikaler als „Fridays for future“
Leonardo Elgas ist 23 Jahre alt. Während Semmler bereits an mehr als 100 Straßenblockaden beteiligt war und schon Pipelines zugedreht hat, ist der Mathematikstudent, der in Heidelberg lebt, sich am Montag aber noch in München aufhält, öffentlich weit weniger in Erscheinung getreten. Im Mai klebt er gemeinsam mit anderen Aktivisten auf einer Straße in Heidelberg. Die Rhein-Neckar-Region nimmt damals das erste Mal wirklich Notiz von der Bewegung, die „Fridays for future“ als gescheitert ansieht. „Zivilen Ungehorsam“ hat man sich auf die Fahnen geschrieben.
Als Elgas am Samstag für die radikalen Klima-Kämpfer „Die letzte Generation“ die größte Bühne des deutschen Fußballs stört, spürt er nach eigenen Worten das Adrenalin in seinem ganzen Körper. Tagelang sei er auf einem hohen Stresslevel gewesen, sagt er und will ausdrücken, dass die Aktion ihm eigentlich innere Schmerzen bereite. „Wenn die Menschen sehen, was wir für Opfer bringen, nehmen sie uns ernst“, drückt er aus, dass ihn die rechtlichen Folgen solcher Aktionen an den Rand des finanziellen Ruins bringen können. Er sei bereit, das Risiko zu tragen. „In einer drei bis vier Grad heißeren Welt werden Wasserknappheit und kollabierende Sozialsysteme auch den Fußball vernichten.
Die Spielstörung ist nur ein Vorgeschmack“, heißt es in einem zugehörigen Tweet. In wenigen Jahren würden fünf Milliarden Menschen auf der Erde unter akutem Wassermangel leiden. Allein um diese Fragen gehe es. Er sei im normalen Leben ein sehr zurückhaltender Mensch, der nicht gern im Mittelpunkt stehe, so Elgas. Ob ihm das die Bayern-Spieler um Sadio Mane, der ihm sekundenlang in die Augen schaute, auch abnehmen, darüber gibt es keine Informationen. Als Elgas seine Hände, auf denen er zuvor Sekundenkleber verteilt hat, um einen Torpfosten legt und sie zusammenpresst, eilen Ordner auf ihn zu und reißen an seinen Armen. Sie trennen ihn vom Torgebälk, während Spieler fragen: Warum hier? Warum jetzt? Warum überhaupt? „Das Klima ist wichtig“, will er ihnen entgegnet haben. Genau weiß er das vor lauter Stress nicht mehr.
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Bayern-Spieler stellen Fragen
Immer offensiver und medial wirksamer machen Semmler und Hunderte Mitstreiter bundesweit auf die Krise aufmerksam. Vergangene Woche klebt sich der Mannheimer an ein Gemälde im Frankfurter Städel-Museum. Die Aktionen stoßen meist auf harsche Kritik. In der Allianz Arena werfen Menschen ihre Bierbecher in Richtung der Aktivisten. Auf der Tribüne ziehen die Bayern-Bosse Hasan Salihamidzic und Oliver Kahn die Augenbrauen hoch, als Semmler über die Bande fällt. Pfiffe im ganzen Stadion. Gegenüber dieser Redaktion kündigt Bayern-Mediendirektor Stefan Mennerich eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs an. Zusätzlich erhalten die Aktivisten ein Jahr lang Hausverbot. In Berlin beginnt diese Woche ein erster größerer Prozess wegen der vielfältigen Stör-Aktionen der Gruppierung.
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