Umgeben von einem Meer an Fahrrädern, vorübergehend in Großbaustellen versunken, durch wilde Plakatkleber verunstaltet: Das Gebäude des Heidelberger Hauptbahnhofs mit der markanten großen Glas-Halle hat es zuletzt schwer gehabt. Inzwischen ist der westliche Vorplatz dank der neuen ÖPNV-Haltestellen- und Gleissituation deutlich vorzeigbarer. Die Bahn Netz AG hegt weitere Pläne: Das Gebäude soll teilweise saniert, teilweise abgerissen und durch einen Neubau ergänzt werden. Damit hat sich am Dienstagnachmittag der Gestaltungsbeirat beschäftigt.
Keiner wohnt in der Stadt
- Der erste Heidelberger Bahnhof war ein Kopfbahnhof und hatte seinen Standort ungefähr am Rande der Altstadt (Rohrbacher Straße). Er entstand um 1840. Die heutige Weststadt gab es da noch nicht.
- Ein paar Jahre später kam ein Ausbau hinzu. Er befand sich ungefähr dort, wo heute der Mengler-Bau („Carrée“) steht, zwischen Poststraße und Kurfürsten-Anlage. 1892 gab es dort einen großen Brand.
- Pläne für einen neuen Bahnhof wurden unter anderem durch die beiden Weltkriege ausgebremst. Alte Heidelberger erinnern sich an das „Baggerloch“ zwischen Königstuhltunnel und Ochsenkopf. Um 1910 ausgeschachtet, blieb es zunächst lange ein Abenteuerspielplatz.
- Bis 1953 blieb der alte „Main-Neckar-Bahnhof“ in Betrieb, platzte aber aus allen Nähten. Außerdem war die Stadt längst um ihn herumgewachsen, durchfahrende Züge und Schranken bremsten immer wieder den stark zunehmenden Autoverkehr aus.
- Am 5. Mai 1955 eröffnete der damalige Bundespräsident Theodor Heuss den neuen Hauptbahnhof, dessen Haupthalle immer noch steht.
- Die Baukosten wurden mit zwölf Millionen Mark - umgerechnet sechs Millionen Euro - angegeben (Quelle: Wikipedia). Architekt war Helmuth Conradi (1903-1973).
- An der Westseite entstand später für die US-Army ein eigener Bereich mit eigenem Gleis.
- Der Bahnhof mit seiner gläsernen Empfangshalle steht unter Denkmalschutz.
Seit 2019 beraten fünf unabhängige Experten des Gestaltungsbeirats die Stadt Heidelberg bei wichtigen Bauvorhaben. Für die Dauer von zwei Jahren vom Gemeinderat berufen, müssen sie eine Grundbedingung erfüllen: Um eine möglichst unabhängige Sicht auf die Bauprojekte zu ermöglichen, dürfen die Beiräte nicht in Heidelberg wohnen.
Vorsitzender Markus Neppl (Astoc Köln, KIT Karlsruhe), Sophie Wolfrum (TU München), Gerd Gassmann (Architekt Karlsruhe), Christiane Sörensen (HafenCity Universität Hamburg) und Eva Maria Lang (Dresden) tagen in der Regel vier Mal im Jahr. Mehrere Stunden haben sich die Experten für Städtebau und Denkmalschutz am Dienstag Zeit genommen und die Grundstücke der geplanten Vorhaben vor der Sitzung zuvor noch einmal vor Ort angeschaut. „Wir verstehen uns nicht als Verhinderungs-, eher als Beschleunigungsgremium“, erklärt Neppl, dass noch vor dem eigentlichen Baugenehmigungsverfahren kritische Punkte überarbeitet werden können.
„Sie dürfen sich selbst genehmigen, was sie vorschlagen“, verweist Neppl zunächst auf die Eigentümerverhältnisse: Der Bahnhof und das Bahnhofsgelände gehören dem Unternehmen Bahn, die Möglichkeiten der städtischen Einflussnahme seien daher eher überschaubar. „Wir schätzen sehr, dass wir heute mit Ihnen über ein paar Fragen diskutieren können“, wendet sich Neppl an die vier Vertreter des Bauträgers, die in den Sitzungssaal gekommen sind.
Die Planer um Architekt Julian Prifti, Jens Aesche und Stephan Böhning von der Bahn wissen um die Bedeutung des Bahnhofsgebäudes für die Stadt. Nicht nur die Haustechnik sei stark veraltet und soll modernisiert werden, sondern ganze Bereiche seien nicht mehr zeitgemäß. So gebe es unter dem Bahnhofsgebäude zwei „kathedralartige“ Kellergeschosse, die Besucher kaum erahnen und in denen weite Bereiche leer stünden. „An der Empfangshalle wollen wir so wenig wie möglich machen“, versichern die Bahnplaner. Am Ostflügel soll die Natursteinfassade neu aufgebaut werden, da die alten Platten zum Teil hohl lägen und zum Teil Risse zeigten. „Das Gesamtensemble soll nicht beeinträchtigt werden“, versichern die Planer. Der gesamte westliche Anbau soll abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden - hier sind unter anderem die Bahnhofsmission und ein Fast-Food-Restaurant untergebracht, die später wieder einziehen könnten. Reisezentrum, Foodcourt und Buchhandlung sollen um einen überbauten Innenhof Platz finden. Vor dem Gebäude ist ein „Stadt-Balkon“ über einer Radgarage geplant: Sie dient dem künftigen Hotel nebenan zudem als Freifläche.
„Sie haben keine Kosten und Mühen gescheut“, verweist Baubürgermeister Jürgen Odszuck auf jahrelange (Um-)Planungen der Bahn und allein ein Dutzend Fassadenentwürfe. Neppl vermisst dennoch eine eine „klare Hierarchie“ zwischen Alt und Neu. Und: „Dem Treppenturm wird die Show gestohlen.“ Das denkmalgeschützte Haus habe „ein schöneres Ende verdient“, moniert eine Kollegin. Befürchtet wird außerdem, dass der neue Anbau die Transparenz der alten Halle - hier lässt sich wunderbar der Sonnenuntergang bewundern - verschwinden lassen könne.
Die Bahnhofs-Planer versprachen, den Gestaltungsbeirat erneut zu besuchen - vielleicht sogar mit einer anderen Idee für das neue Ende des alten Bahnhofs.
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