Heidelberg. In den Niederlanden nennt man sie „Plofkrakers“ - wörtlich übersetzt bedeutet das „Knallknacker“. Im Prozess um den gesprengten Geldautomaten von Rauenberg vor zweieinhalb Jahren ist der Begriff am Freitag im Heidelberger Landgericht sehr häufig gefallen: Ein Experte der Polizei in der südholländischen Provinz Limburg berichtet über lange Ermittlungen. Am vierten Prozesstag muss sich dort ein 25-Jähriger verantworten, weil er bei dem Anschlag auf einen Bankautomaten im Kraichgau in der Nacht auf den 30. September 2020 beteiligt gewesen sein soll.
Am Landgericht Heidelberg ist es die erste Hauptverhandlung gegen einen mutmaßlichen „Plofkraker“. Der Angeklagte schweigt, sein Verteidiger gibt an, sein Mandant sei nicht beteiligt gewesen an jener Tat, die 117 205 Euro Beute lieferte und einen Sachschaden von 56 000 Euro anrichtete.
Geldautomaten-Sprengungen auch in Mannheim und Heidelberg
Schweren Bandendiebstahl, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, Sachbeschädigung und Urkundenfälschung wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten vor. Um 4.36 Uhr explodierte der Geldautomat in jener Septembernacht. Obwohl der Alarm ausgelöst wurde, Polizei und Bankmitarbeiter sofort zum Tatort eilten und Zeugen den Überfall verfolgten, entkamen die Täter zunächst unerkannt.
Seit mehreren Jahren gibt es solche Explosionen regelmäßig auch in der Region. So explodierten am 13. Juli 2022 im Mannheimer Stadtteil Feudenheim ein Selbstbedienungs-Geldschrank und am 23. Februar 2022 ein Geldautomat in der Heidelberger Bahnstadt.
Am 8. April und 3. Juli des selben Jahres schlugen Banden im Rhein-Neckar-Zentrum Viernheim zu. Diese Fälle sind nicht Gegenstand des aktuellen Prozesses vor dem Landgericht. Dennoch gab der niederländische Experte in seiner rund dreistündigen Anhörung tiefe Einblicke in das „Geschäft“ der „Knallknacker“.
Festnahme erfolgt nachts auf der Autobahn
Den Angeklagten kontrollierte der Ermittler am 8. Oktober 2020 - also zehn Tage nach der Tat in Rauenberg. Mit einem Kollegen war er nachts an der A 2 nördlich von Maastricht im Polizeiwagen unterwegs, als eine dunkle Limousine an ihnen Richtung deutsche Grenze vorbeiraste. „Durchschnittlich 200 Stundenkilometer“ sei der Wagen gefahren, erinnert sich der Ermittler. Die Streife heftete sich an den Raser - und wurde offenbar bald darauf gesehen: „Er wechselte abrupt die Autobahn und fuhr bei der nächsten Ausfahrt ab.“
Der Polizeiwagen stoppte die Limousine und sah Gegenstände im Wagen liegen, die „typischerweise“ bei Kapitaldelikten verwendet werden: eine Stirnlampe und mehrere Paar „Einbrecherhandschuhe“ etwa. Als der Fahrer - es ist der nun in Heidelberg vor Gericht stehende Mann - sich nicht ausweisen konnte und gegen ihn und seinen Beifahrer Einträge im Polizeicomputer vorlagen, nahmen die Beamten die Verdächtigen fest. „Im Kofferraum standen acht Kanister Treibstoff“, erinnerte sich der Polizist aus den Niederlanden an die spätere Wagendurchsuchung. Unter der Motorhaube, in einer Kunststoffschicht, entdeckten sie Kopien von Kennzeichen, die zu einem Pkw ähnlichen Typs gehören.
Fluchtwagen-Fahrer kommt besondere Rolle zu
Die Benzinkanister seien für ein Motocross-Rennen gedacht, das ein Freund organisieren wolle, lautete die Erklärung der Verdächtigen. „Das Benzin wird für die schnelle Flucht benötigt“, erklärte hingegen der Polizeibeamte. Weil die „Knallknacker“ mit hoher Geschwindigkeit zum Einsatzort - meist die grenznahen Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg - rasten und genauso schnell nach der Explosion flüchteten, würden sie viel Treibstoff benötigen: „An einer Tankstelle anhalten geht ja nicht.“
In der Regel seien drei bis vier Täter an einer in der Regel arbeitsteilig organisierten Geldautomatensprengung beteiligt. Der Fahrer habe eine besondere Rolle: „So schnell fahren, das kann nicht jeder“, betont der Polizeibeamte. Meist kämen die Täter aus dem Norden der Niederlande in den Süden, wo Fahrzeuge und Material gebunkert seien, bevor sie zum Tatort über die Grenze fahren. Der mutmaßliche Fluchtwagen aus Rauenberg war im Januar 2021 unweit jener Stelle in einer Garage geparkt, an der im Oktober die dunkle Limousine gestoppt wurde. Den Kreis der Personen, die zur „Welt der Geldschranksprenger“ gehören, schätzen die Ermittler auf „mehrere Hundert Männer“.
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