Mehr als zehn Jahre hat die „Kurzzeitkennzeichen-Affäre“ Ermittler, Staatsanwälte und Richter beschäftigt. Es ging um Korruption, um Falschbeurkundung und Steuerhinterziehung. Nun ist die juristische Aufarbeitung der Geschehnisse rund um die Außenstelle Wiesloch des Landratsamts des Rhein-Neckar-Kreises abgeschlossen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob Urteile des Mannheimer Landgerichts vom 18. Oktober 2023 auf.
Zwei ehemalige Mitarbeiterinnen der Kfz-Zulassungsstelle in Wiesloch - eine seit Bekanntwerden der Vorwürfe freigestellte Amtsleiterin und eine dann intern versetzte Gruppenleiterin - hatte das Gericht wegen Anstiftung zur Falschbeurkundung im Amt in sieben Fällen zu Gesamtgeldstrafen von 240 beziehungsweise 180 Tagessätzen verurteilt. Den Unternehmer hatte das Gericht wegen Anstiftung zur unbefugten Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten in 272 Fällen sowie wegen Anstiftung zur Falschbeurkundung im Amt in sieben Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die Vollstreckung war zur Bewährung ausgesetzt worden. Von dem Vorwurf der Bestechung beziehungsweise Bestechlichkeit hatte das Gericht 2023 alle drei Angeklagten freigesprochen.
Die Mitarbeiterinnen der Behörde können nun endgültig aufatmen. Der Heidelberger Unternehmer wird ebenfalls in der Frage der Anstiftung zur Falschbeurkundung freigesprochen. Was bleibt, ist seine Verurteilung wegen „Anstiftung zur unbefugten Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten“, ebenfalls vom Oktober 2023: Reihenweise waren für die Beantragung von Kurzzeitkennzeichen Personalien von Menschen verendet worden, die davon nichts wussten. Ins Rollen waren die Ermittlungen vor mehr als zehn Jahren gekommen, als sie Strafzettel bekamen wegen zu schnellen Fahrens aus Städten, in denen sie nie gewesen waren, oder Anzeigen wegen Tankdiebstahls, den sie nie begangen hatten.
Vielfältige Geschäfte - auch mit Re-Importen von Fahrzeugen
Während der Hauptverhandlung im Oktober 2023 hatte der damals 55-Jährige, unterstützt von seiner Verteidigerin Andrea Combé und der eigenen Frau, ebenfalls Juristin, sich erstmals ausführlich erklärt. Er ging weit zurück ins Jahr 1991, in dem seine Zusammenarbeit mit dem Rhein-Neckar-Kreis begonnen hatte. Dabei war es zunächst um Re-Importfahrzeuge aus Frankreich gegangen, die nicht in Deutschland zugelassen werden durften. Sie mussten mit „Leerbriefen“ ausgestattet werden. Wenig später sei er zum Großkunden der Zulassungsstellen des Rhein-Neckar-Kreises geworden. 2008 habe er „etwas Neues“ machen wollen und habe eine Kooperation mit einem großen Schilderpräger begonnen, sagte der Geschäftsmann weiter.
Eines der gemeinsam angebotenen „Produkte“ seien die Kurzzeitkennzeichen geworden. Das Geschäft mit den gelben Kennzeichen, die für Überführungen und Probefahrten gedacht waren, florierte. Das sorgte indes bald für bundesweite Kritik. So berichtete diese Redaktion bereits im September 2013 von dem massenhaften Auftauchen der „HD 04“-Kennzeichen auch im kriminellen Umfeld, über das der Leiter der Zulassungsstelle Nürnberg berichtete. Dem Rhein-Neckar-Kreis spülte dieses Geschäft sehr viel Geld in die Kasse. Allein von 2012 bis 2014 - nur dieser Zeitraum stand zuletzt juristisch noch zur Debatte - soll der Unternehmer der Zulassungsstelle 188 000 Kurzzeitkennzeichen abgenommen haben, was 960 000 Euro an Gebühren in die Kasse brachte. Dabei bekam der Unternehmer die Dokumente sogar zum Schnäppchenpreis, nämlich zur Hälfte des eigentlichen Gebührensatzes. Seine Einnahmen aus dem „Kurzzeitkennzeichen-Geschäft“ sollen sich in diesen drei Jahren auf acht Millionen Euro belaufen haben.
Weitere Infos zu Kurzzeitkennzeichen
- Kurzzeitkennzeichen sind an der gelben Farbe erkennbar - das ist auch das Unterscheidungsmerkmal zu den roten Überführungskennzeichen.
- Eigentlich sind die gelben Kennzeichen für Überführungen von Fahrzeugen oder Probefahrten gedacht, sie sind nur fünf Tage gültig.
- Kriminelle nutzten die Kennzeichen gerne. Den Behörden war zunächst nämlich nur der - nicht selten fingierte - Antragsteller bekannt, nicht aber, für welches Fahrzeug es verwendet wurde und wer am Steuer saß - was nicht nur bei Tankbetrug ein Vorteil war. miro
Im November 2022 waren Verfahren wegen Steuerhinterziehung und Beihilfe gegen den Unternehmer, seine Steuerberaterin und einen Mitarbeiter gegen Zahlung von Geldauflagen eingestellt worden.
Bundesweit einmalig, ging die Kooperation zwischen der Behörde und dem Unternehmer sogar so weit, dass Letzterer ein Computersystem in der Zulassungsstelle installierte, das das massenhafte Geschäft mit den Kurzzeitkennzeichen ermöglichte. Monatlich wurden in Wiesloch zeitweilig 10 000 Kurzzeitkennzeichen abgegeben. Im Vergleich: In der ähnlich großen Zulassungsstelle Nürnberg waren es monatlich 1500 Stück. Im Mai 2014 gab die Staatsanwaltschaft Mannheim bekannt, dass sie gegen 26 Verantwortliche gewerblicher Zulassungsdienste ermittelte - wegen Urkundenfälschung sowie missbräuchliche Ausgabe von Kurzzeitkennzeichen. Im November 2014 stoppte das baden-württembergische Verkehrsministerium die elektronische Vergabe von Kurzzeitkennzeichen im Rhein-Neckar-Kreis. In den folgenden Jahren gab es mehrer Verurteilungen von Zulassungshändlern bundesweit wegen Urkundenfälschung und Kurzzeitkennzeichen-Missbrauch.
Als das Landgericht im Herbst 2023 die Vorgänge noch einmal nacharbeitete, waren viele der ursprünglichen Verdachtsmomente bereits verjährt. In den Mittelpunkt der Wahrheitsfindung rückten vor allem die Re-Importe, die mit neuen Papieren versorgt wurden.
Ermittler hatten die Wege der Fahrzeuge unter anderem in der Türkei nachverfolgt, wo sie noch Neuwagen waren. Im Rhein-Neckar-Kreis angekommen, waren sie plötzlich zu Gebrauchtfahrzeugen geworden: „Die beiden ehemaligen Mitarbeiterinnen der Kfz-Zulassungsstelle waren hiervon in Kenntnis und wiesen ihrerseits zwei ihnen unterstellte Bedienstete an, die Zulassungsbescheinigungen unter Eintragung der in den Anträgen angegebenen Erstzulassungen ohne weitere Überprüfung zu erteilen“, hält auch der der BGH fest. Aber: Es handele sich dennoch nicht um eine Anstiftung zur Falschbeurkundung im Amt. „Denn das Datum der Erstzulassung eines Kraftfahrzeuges ist keine Tatsache, die in der Zulassungsbescheinigung Teil II mit der besonderen Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde im Sinne des Paragrafen 348 StGB beurkundet wird.“ Die manipulierten Fahrzeugdaten stellen also für den BGH keine Urkundenfälschung dar.
„Es fehlten Kontrollmechanismen“
Nicht nur für Oberstaatsanwalt Uwe Siegrist war im Oktober 2023 klar: „Es fehlten Kontrollmechanismen in der Behörde.“ Der Landrat des Rhein-Neckar-Kreises, Stefan Dallinger, der die „Briefgruppe“ in der Kfz-Zulassungsstelle 2010 von seinem Vorgänger „geerbt“ hatte, sagte 2023 als Zeuge aus: „Ich habe gegenüber den Dezernenten und der Amtsleitung stets klargestellt, dass wir rechtmäßig zu handeln haben.“ Dennoch sollen die Geschäfte zum Teil bis 2014 weitergelaufen sein.
Uwe Lindenthal, Vorsitzender der Großen Wirtschaftsstrafkammer in Mannheim, zeigte sich zwar überzeugt, „dass alle Beteiligten an einer teils erstaunlichen, partiell auch rechtswidrigen Verwaltungspraxis mitgewirkt“ haben. „Sie wollten sich aber nicht bestechen lassen.“
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg_artikel,-heidelberg-bgh-hebt-letztes-urteil-im-skandal-um-kurzzeitkennzeichen-auf-_arid,2237292.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/metropolregion_artikel,-metropolregion-prozess-um-kurzzeitkennzeichen-darum-wurden-die-angeklagten-freigesprochen-_arid,2137487.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html