Heidelberg. Es ist eine der Sensationen des Buch-Jahres 2022. Susanne Abel, bislang Autorin von Filmdokus, landet mit ihrem Erstlingswerk „Stay away from Gretchen“ einen Überraschungserfolg. Obwohl von der etablierten Literaturkritik anfänglich gar nicht recht zur Kenntnis genommen, springt es auf die SPIEGEL-Bestsellerliste – und hält sich dort lange. Für unsere Region interessant: Der Roman spielt vor allem im Heidelberg der Nachkriegszeit.
Die Handlung in Kürze: Die Mutter eines Journalisten erkrankt an Demenz. Doch gerade im Umgang mit dieser Krankheit des Vergessens kommt ein Familiengeheimnis ans Licht: Die alte Dame namens Greta hat in ihrer Jugend nach dem Krieg eine Liebesbeziehung zu einem Schwarzen aus der US Army, der nach Amerika zurückkehrt. Das gemeinsame Kind wird der Mutter vom Jugendamt entzogen und zur Adoption in den USA freigegeben.
Die Rückblende in die Nachkriegszeit spielt in Heidelberg. Am 1. Mai 1946 kommt die Protagonistin in der unzerstörten Stadt am Neckar an. „Sie sah keine Ruinen, keine Schutthalden“, heißt es im Buch: „Nur die gesprengte Alte Brücke erinnerte an den Krieg.“ Greta kommt in der Hirschgasse 20 unter, im Hinterhaus einer prachtvollen Villa.
Anschaulich schildert der Roman die Zeitumstände. „Schon von Weitem sahen sie die lange Schlange auf dem Marktplatz“, beschreibt er den Weg zur Wohnungszuteilungsstelle: „Es gibt keine Wohnungen mehr in Heidelberg, antwortete der betagte Amtmann, dem der linke Arm fehlte, in breitem kurpfälzischen Dialekt“. Erst sehr viel später wird eine Wohnung frei, in der Altstadt, Plöck 20.
Beschreibung der Zeitumstände
Nicht nur die Wohnungs-, auch die Ernährungslage ist angespannt. Vieles gibt es nur auf dem Schwarzmarkt – gefährlich nicht nur wegen der Razzien der Polizei, sondern auch wegen der „Kirchheim-Bande, einer skrupellosen Gang, die den Schwarzmarkt absicherte und dafür von allen Schutzgeld verlangte“.
Süßigkeiten sind heiß begehrte Attraktionen: „In der Auslage einer Konditorei am Karlsplatz lagen Buttercremetorten, Kurfürstenkugeln und Pralinen.“ Ungeachtet der Not gibt es also kleine Momente des Glücks, auch dank der Traumwelt im Film: „Für zwei Zehner bekamen sie im Schlosskino auf der Hauptstraße die letzten freien Plätze.“
Am Rande taucht auch der politische Neubeginn auf. Am Nachmittag des 22. November 1946 begleitet Greta ihren Großvater in die Klingenteich-Turnhalle. Der CDU-Chef Konrad Adenauer ist angekündigt. „Sitzgelegenheiten waren Mangelware. Nicht so hingegen Invaliden. Jedem Zweiten im Saal fehlte ein Arm oder ein Bein, vielen das Augenlicht.“ In der Tat Realität von 1946.
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Dazu gehören auch die US-Besatzungssoldaten, „die im Süden Heidelbergs bei Rohrbach in der ehemaligen Großdeutschland-Kaserne untergebracht waren.“ Der erste Kontakt der Protagonistin mit GI Bob, einem Schwarzen, ist geprägt von Unsicherheit: „Greta beobachtete ihn verstohlen und war fasziniert, dass alles an ihm schwarz war außer der Innenfläche seiner Hände.“ Später begleitet der Leser sie, wenn sie zu ihren Treffen mit ihm aufbricht – „voller Vorfreude auf Bob, der wie so oft an der Stelle wartete, an der der Philosophenweg abzweigte.“
Die Liebe hat Folgen, nicht nur für Greta. Und wie ihr im Roman ihre Tochter, so werden vielen Müttern diese Kinder entzogen, in Heime gesteckt, weil die Väter nicht mehr da sind. 1948 veröffentlicht die „Chicago Tribune“ ein anrührendes Foto: Es zeigt zehn Kinder auf der Mauer eines Kinderheims in Ladenburg sitzen und mit traurigen Mienen in die Kamera blicken. Als die afroamerikanische Lehrerin Margret E. Butler das Bild sieht, entschließt sie sich, zwei von ihnen zu adoptieren. Zum Abschied erhalten sie von der Stadt Mannheim zwei Teddybären. „Zwei kleine Negerlein, die fahren über‘n Teich“, titelt der „Mannheimer Morgen“, hält das damals wohl auch noch für geistreich.
Heimat in Amerika will den Kindern auch Mabel E. Grammer bieten, Frau eines afroamerikanischen Offiziers, die von 1950 bis 1954 in Mannheim lebt. Sie selbst adoptiert zehn Kinder und begründet den „Brown Babies Plan“. Zwischen 1951 und 1954 werden 350 Kinder in die USA vermittelt. „Braune Fee aus USA bringt Negerkindern neue Heimat“, schreibt „Bild“ 1953 unter der Headline „Winke, Winke“ – man kann einfach nur den Kopf schütteln.
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