Heidelberg/Köln. Mit ihrem Erstlingswerk „Stay away from Gretchen“ ist Susanne Abel auf Anhieb ein Bestseller gelungen. Die 1971 geborene Regisseurin stammt aus dem Südbadischen, lebt aber inzwischen in Köln. Dort erreichen wir sie telefonisch.
Wenn ich Ihre Vita betrachte, ist eher das Fernsehen Ihr Metier. Wie sind Sie zum Buch gekommen?
Susanne Abel: Ich habe eigentlich schon immer geschrieben, nur noch nicht veröffentlicht. Auf der anderen Seite habe ich als Regisseurin in den letzten zehn Jahren die Erfahrung gemacht, dass wirklich wichtige Themen sehr schwer unterzubringen sind, dass es eher um Unterhaltung geht.
Das „Gretchen“ ist ja Ihr Erstlingswerk. War es schwer, einen Verlag zu finden, und dann noch einen so renommierten wie den dtv?
Abel: Ich habe den Stoff nicht als Exposé eingeschickt, sondern das Buch fertiggeschrieben. Damit bin ich dann nach München gefahren, weil ich wusste, dass die Verlegerin für diese Themen ansprechbar ist. Ich habe geschaut, wie ich an sie herankommen kann, und hatte Glück.
Ihr Buch behandelt drei große Themen: Demenz alter Menschen, Vertreibung 1945, amerikanische Besatzungskinder ebenfalls 1945. Was war die Initialzündung?
Abel: Es waren eigentlich zwei. Zum einen die Demenzerkrankung meiner Mutter, während der sie vergaß, was sie lebenslang verschwiegen hat. Dadurch verstand ich, wie sehr ihre Geheimnisse mein Leben geprägt haben. Auf der anderen Seite die Flüchtlingskrise 2015, die gezeigt hat, dass es den Flüchtenden 2015, was mangelnde Akzeptanz angeht, ähnlich erging wie jenen nach dem Zweiten Weltkrieg.
Und wie kam das Thema Besatzungskinder dazu?
Abel: Darauf kam ich im Laufe der Recherche über die Zeit nach 1945. Ich fand das dramaturgisch sehr spannend: den Zwiespalt, den eine junge Frau erlebt, die als Kind der NS-Zeit die Rassegesetze auswendig lernt und sich dann ausgerechnet in einen Mann verliebt, der in dieser Ideologie als minderwertig galt.
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Was waren Ihre Quellen?
Abel: Ich habe Gespräche mit Zeitzeugen geführt und viele Tagebücher gelesen. Weil mich das Schicksal einzelner Menschen interessiert und nicht nur das, was wir in den Geschichtsbüchern lesen. Aber auch Fachleute wie der Mannheimer Professor Christian Führer haben mich beraten.
Ihre Geschichte spielt vor allem in Köln und in Heidelberg, am Rande auch in Mannheim. Köln ist klar, da leben Sie. Warum Heidelberg?
Abel: Ich fand das interessant, weil Heidelberg eine der wenigen deutschen Städte ist, die nicht zerbombt waren. Kontraste sind dramaturgisch interessant. In meinem Buch reist Gretchens Familie durch das kriegszerstörte Deutschland und landet im fast heilen Heidelberg. Das erscheint ihnen erst einmal wie das Paradies.
Und warum Mannheim?
Abel: Als ich weiter recherchiert habe, bin ich auf die Adoptions-Initiative von Mabel Grammer gestoßen. Sie lebte, wie viele Amerikaner, in Mannheim-Feudenheim.
Kannten Sie Heidelberg, bevor Sie mit dem Buch begonnen haben?
Abel: Als 17-Jährige habe ich mein letztes Schuljahr in der Offenburger Klosterschule verbracht. Da bin ich vor allem durch Schwänzen aufgefallen. Öfters habe ich mich morgens in den Zug gesetzt, bin nach Heidelberg gefahren und habe mich dort rumgetrieben. Die Stadt fand ich einfach cool, die Cafés und das ganze Studentenleben.
Und Mannheim?
Abel: Während meiner Erzieherausbildung musste man verschiedene Praktika machen. Das Heimpraktikum habe ich in einem Seckenheimer Kinderheim absolviert und kannte von daher auch diese Stadt.
Welche Heidelberger Orte im Buch sind authentisch? Zum Beispiel die Hirschgasse 20?
Abel: Die Häuser gibt es, doch die Menschen, die sie in meinem Buch bewohnen, sind fiktive Figuren. Ich bin durch Heidelberg marschiert und habe mir die Straßen und Häuser angeguckt und gedacht: Das passt! Auch hier wieder ein Kontrast: Die Flüchtlinge landen nach all dem Elend in der prächtigen Villa an der Hirschgasse.
Haben Sie mit den heutigen Eigentümern gesprochen? Haben Sie gesagt: Ihr Haus kommt demnächst in meinem neuen Buch vor?
Abel: Nein, ich muss zugeben, das habe ich leider verpasst. Vielleicht sollte ich das bei meinem nächsten Besuch in Heidelberg nachholen.
Wollen Sie wie Ken Follett mit seinen Historienromanen unterhalten oder haben Sie eine Botschaft?
Abel: Wenn es eine gibt, dann diese: Ich setze mich gegen das Ausgrenzen von Menschen ein, die eine andere Hautfarbe haben oder aus einem anderen Land kommen.
Die Problematik bleibt ja aktuell.
Abel: Ja, auf jeden Fall. Während ich „Stay away from Gretchen“ geschrieben habe, entstand in den USA die „Black lives matter“-Bewegung, in deren Folge auch der alltägliche Rassismus im heutigen Deutschland deutlich wurde.
Hat Sie der Erfolg von „Gretchen“ überrascht?
Abel: Ich habe schon erwartet, dass das Buch nicht untergeht, bin aber von diesem Erfolg wirklich überrascht. Damit hätte ich nicht gerechnet.
Was glauben Sie: Wie kam das?
Abel: Der Roman kam 2021 mitten im Lockdown auf den Markt und landete schnell in Bestsellerlisten, obwohl ich unbekannt war und die Literaturkritik mich erst einmal ignorierte. Meinen Erfolg habe ich allein den vielen tausend Buchhändlerinnen und Buchhändlern zu verdanken, die mich ihren Lesern empfohlen haben. Das Buch berührt offensichtlich viele Menschen, und sie empfehlen es weiter.
Vor kurzem kam das zweite Buch mit einem neuen Schwerpunkt, auf den wir hier nicht eingehen können. Nur so viel: Wird es ein drittes Buch geben?
Abel: Die Familiengeschichte der Familie Monderath, die ich in den beiden bisherigen Büchern beschreibe, ist zu Ende erzählt. Aber ich brauche morgens nur meinen Laptop aufzuschlagen, dann fliegen mir die Ideen entgegen, so viel passiert auf der Welt. Ich weiß nicht, was ich als Nächstes schreibe, aber es gibt genug Themen, die mich umtreiben.
Die Fernsehfrau hat also Spaß am Bücherschreiben gefunden?
Abel: Absolut! Ich habe vor allem Freude daran, dass ich etwas machen kann, was mir in meiner Fernsehkarriere oft nicht gelungen ist, nämlich Inhalte zu behandeln, die mir wichtig sind. Beim Fernsehen hatte ich in den letzten Jahren das Gefühl, nur ein interessantes Umfeld für Werbung schaffen zu müssen.
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