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Ausstellung in Heidelberg: "Jahrhundertmann" Helmut Schmidt in 100 Bildern

Von 
Konstantin Groß
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Helmut Schmidt im Juni 1966 auf dem SPD-Bundesparteitag in Dortmund. Die große politische Zukunft hat er noch vor sich, aber schon damals die Zigarette in der Hand. © Jupp Darchinger/Ausstellung

Heidelberg. Was hätte er gemacht? Hätte es mit dem Politiker, der bei der Sturmflut 1962 als Innensenator von Hamburg durch energisches Eingreifen Hunderte von Menschenleben gerettet hat, in der Corona-Krise ein solches Durcheinander gegeben? Wie hätte der Staatsmann, der den G 7-Gipfel erfand und die gemeinsame europäische Währung auf den Weg brachte, in der Ukraine-Krise und dem Krieg agiert?

Wir wissen es nicht. Zumal es wirklich komplett andere Zeiten waren. Heute muss man schon an die 60 sein, um Helmut Schmidt in seiner Kanzlerschaft von 1974 bis 1982 bewusst erlebt zu haben. Und dennoch gilt er den Deutschen als ihr liebster Kanzler, ist seine Popularität auch bei Jüngeren ungebrochen, wie die Resonanz auf die Eröffnung der jetzigen Fotoausstellung offenbart.

Meister der Inszenierung

Die Schau wurde von der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung in Hamburg zu seinem 100. Geburtstag 2018 zusammengestellt und wird nun in der Reichspräsident-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg gezeigt. Beide, Ebert und Schmidt, haben ja Entscheidendes gemeinsam, wie Walter Mühlhausen herausarbeitet: „Beide Sozialdemokraten blieben auch in schwerster Stunde ihrem Auftrag treu“, betont der Geschäftsführer der Ebert-Gedenkstätte, „wenngleich dies von der eigenen Partei nicht immer verstanden wurde.“ Da kann Hartmut Soell, langjähriger Bundestagsabgeordneter und Biograf Schmidts, nur nicken.

Der Zwang, dem Motto „100 Jahre in 100 Bildern“ gehorchend die Zahl genau darauf zu begrenzen, wirkte sich positiv aus. Sie zwang zu einer „Best of“-Auswahl der Fotos aus dem Leben und Wirken dieses Jahrhundertmannes, und eine solche ist es denn auch geworden: Staatstragendes wie Privates, Bekanntes wie bislang selten zu Sehendes. Koryphäen der deutschen Pressefotografie wie Jupp Darchinger, Sven Simon und Konrad Müller sind vertreten.

Zur Person: Helmut Schmidt

  • Helmut Schmidt wird 1918 in Hamburg geboren. 1942 heiratet er Hannelore „Loki“. 1944 Geburt von Sohn Waldemar (der bereits kurz danach stirbt), 1947 von Tochter Susanne.
  • Schmidt war vom ersten bis zum letzten Tag des Zweiten Weltkrieges (1939-1945) Soldat, unter anderem an der Ostfront, 1945 gerät er in britische Kriegsgefangenschaft.
  • Start der politischen Laufbahn: 1953 SPD-Bundestagsabgeordneter für Hamburg, 1961-65 Innensenator in Hamburg (1962 Sturmflut).
  • Karriere in Bonn: 1966 Chef der SPD-Bundestagsfraktion, 1969 Verteidigungsminister, danach Finanz- und Wirtschaftsminister (1973 Ölkrise mit autofreien Sonntagen).
  • Höhepunkt: 1974-1982 als Nachfolger von Willy Brandt Bundeskanzler (1977 „Deutscher Herbst“ mit Entführung und Ermordung Schleyers, 1981 NATO-Doppelbeschluss).
  • Ende der politischen Laufbahn: 1982 Sturz durch Helmut Kohl (CDU). 1983 bis 1993 Mitherausgeber der Wochenzeitung „DIE ZEIT“. Danach weiterhin Tätigkeit als Redner und Autor (insgesamt 30 Bücher).
  • 2010 stirbt Ehefrau Loki nach 68 Jahren Ehe, 2015 Helmut Schmidt im Alter von 96 Jahren.
  • 2017 Gründung der Bundeskanzler- Helmut-Schmidt-Stiftung durch den Deutschen Bundestag zum Erhalt des Andenkens an das Wirken von Helmut Schmidt.
  • Aktuelle Ausstellung: bis 24. Juli in der Ebert-Gedenkstätte Heidelberg, Eintritt frei. Infos im Internet unter www.ebert-gedenkstaette.de. -tin

 

Deutlich wird: Die anhaltende Popularität Schmidts beruht nicht zuletzt auf einem Image, das er selbst geschaffen hat, auch mit Hilfe von Fotos. Obwohl er Journalisten - und er sprach den ersten Buchstaben stets demonstrativ mit „jot“ - als „Wegelagerer“ aufzog, war ihm sein Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit extrem wichtig, damit im Gegensatz übrigens zu Willy Brandt oder auch Helmut Kohl.

„Sein erster Blick war stets: Wo steht die Kamera?“, berichtet der Kurator der Ausstellung, Magnus Koch, von der Schmidt-Stiftung. Fotografen, denen der Kanzler vertraute, lud er ein, wie Jupp Darchinger an den Brahmsee, seinem Urlaubsdomizil. Scheinbare Schnappschüsse beim dortigen Segeln oder vom gemeinsamen Strandspaziergang mit Loki in Florida sind sorgsam vorbereitet.

Die Inszenierung reicht bis in Details der Gestik und Mimik. Den Kopf mit dem stets akkurat gestylten Seitenscheitel in die mit einer Zigarette versehene Hand drapiert, dazu die nach unten hängenden Enden der Oberlippe, die wahlweise Anspannung oder Erschöpfung signalisieren und damit ein zentrales Narrativ Schmidts illustrieren: vom Kanzler, der um die Last seiner Verantwortung weiß, die er allerdings in der Tat oft auch als solche empfunden hat.

Den frühen Höhepunkt der Selbstdarstellung bildet ein von Anfang der 1970er Jahre stammendes Foto von Charles Wilp, dem Vater der Afri-Cola-Werbung, das wandhoch in der Schau zu sehen ist. „Ich nenne es den Boss-Mann“, schmunzelt Koch. Schmidt steht da, im blaugrauen Anzug, wie ein Model - lange vor Gerhard Schröder im Brioni.

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Schmidt - das war auch ein Frauentyp. Einer, der jedoch seit Jugendzeit mit seiner Loki zusammen war. Dennoch erlebte auch diese Liebe ihre Krise. Nach Lokis Tod, aber erst kurz vor seinem eigenen, drängte es ihn, seine frühere Beziehung zu einer anderen Frau zu enthüllen. „Es muss Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre gewesen sein, als Loki mir deswegen die Trennung angeboten hat“, zitiert ihn ein Bildtext in der Ausstellung: „Es war in meinen Augen eine ganz und gar abwegige Idee.“ Die beiden verband Tieferes. 68 Jahre waren sie verheiratet.

Im Bild zu sehen ist aber natürlich auch der Welt-Staatsmann. Doch es fällt auf: Helmut Schmidts Welt ist die Nordhalbkugel. Vor allem die 1000 Reisen, die er nach Ende seiner Kanzlerschaft zwischen 1982 und 2015 unternahm, bedienten West und Ost, auch Fernost. Doch nur selten den Süden. Die Dritte Welt überließ er Willy Brandt - aus Neigung oder aus Arbeitsteilung.

Pflichtmensch mit Ethos

Unstrittig sind die Verdienste Schmidts, dessen jüdischer Großvater erst nach Ende seiner Kanzlerschaft öffentlich bekannt wird, um die Aufarbeitung der deutschen Geschichte. Er - und nicht etwa der für seinen Kniefall von Warschau bekannte Willy Brandt - ist 1977 der erste Kanzler, der Auschwitz besucht; der erste Kanzler, der 1978 in einer Synagoge spricht; der Kanzler, der 1982 den Mord an den Sinti und Roma als Völkermord anerkennt.

Staatsmann in ungewohnt lockerer Pose: Helmut Schmidt im August 1974 mit Freunden in seinem Feriendomizil am Bahmsee. © Jupp Darchinger/Ausstellung

Das geschieht in einem Gespräch mit Romani Rose, damals wie heute Präsident des Zentralrates der Sinti und Roma. „Und ich bin stolz, dass ich mit ihm vier Reyno-Zigaretten rauchen durfte“, erzählt er jetzt am Rande der Ausstellungseröffnung.

Einige Reynos finden sich denn auch in einem Schaukasten. Ebenso wie eine Brille. Schmidt trug sie bei seiner historischen Fernsehansprache 1977. Darin lehnte er die Forderung der Entführer von Arbeitgeberpräsident Schleyer ab, Terroristen freizulassen. Schleyer wurde auf Grund dessen ermordet. Ein Bild zeigt Schmidt neben dessen Witwe. Für den Rest seines Lebens litt er unter seiner politischen Verantwortung für Schleyers Tod.

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Doch der Pflichtmensch Schmidt verlangte nichts, zu dem er nicht selbst bereit war. Er und seine Frau gaben zu Protokoll: Würden sie von Terroristen entführt, sollten sie keinesfalls ausgetauscht werden. „Charakter zeigt sich in der Krise“, lautet ein Satz Schmidts, der die letzte Seite des Ausstellungskataloges ziert. Auch dieser übrigens ein begeisterndes Stück deutsche Zeitgeschichte.

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