Bürstadt. Genau 322 Unterschriften hält Reiner Mecky im Bürgerhaus Bürstadt in der Hand. Es hätten mehr sein können, gibt er zu, aber ändert das etwas? Er zuckt mit den Schultern. „Wir wollen unseren Protest gegen die geplante Obdachlosenunterkunft deutlich machen. Dafür sind wir hier.“ Rund 20 Anwohner aus den Rodstücken stehen hinter ihm, als er die Listen an Jürgen Eberle (CDU) als Stadtverordnetenvorsteher vor Beginn der Sitzung übergibt.
Eberle erklärt ihnen noch einmal, dass sie sich als Anwohner wehren können, sobald der Bebauungsplan öffentlich ausliegt. Denn dieser muss für das vorgesehene Wohnungslosenheim geändert werden. „Dann kann man Einspruch erheben und dies begründen“, sagt Eberle der Runde. „Das werden wir auch tun - in großer Zahl“, kündigt Roland Kirsch an. Dieses Thema steht am Mittwochabend gar nicht auf der Tagesordnung der Stadtverordnetenversammlung, die unmittelbar darauf beginnt. Bereits im Dezember hatte eine knappe Mehrheit des Parlaments den Beschluss für den Standort Rodstücke gefasst.
„Es ist einfach unfair“, sagt Mecky, „dass wir das wieder an der Backe haben“. Denn wenige Meter weiter ist in der Görlitzer Straße die aktuelle, heruntergekommene Unterkunft für Obdachlose zu finden. „Direkt gegenüber von uns“, so Mecky. „Die klingeln öfter mal und leihen sich Geld aus, gerade heute wieder fünf Euro.“ Zu Beginn des neuen Monats bekomme er es dann wieder. Seit Jahrzehnten lebt er mit dieser Situation, wobei eben nicht alle so harmlos abliefen. Von Polizeieinsätzen, Kriminalität und Spritzen im Garten berichten alle Nachbarn.
„Bei uns im Gebiet wohnen so viele Familien mit kleinen Kindern!“ Erika Kirsch schüttelt den Kopf, denn auch sie möchte keine neue Unterkunft in unmittelbarer Nähe. Gleichwohl verlangt sie, dass die Wohnungslosen anders - also ordentlich und menschenwürdig - wohnen müssen. „Ich frage mich, ob die Balkone noch lange halten, nicht dass mal einer abbricht“, sagt sie über den maroden Zustand der Gebäude. „Schlimm ist das.“ Wie ihre Nachbarn befürchtet Kirsch, dass mit der neuen Unterkunft direkt am Waldrand auf dem früheren Bolzplatz neue Gefahren drohen. „Wenn eine Zigarette weggeschnippt oder gegrillt wird, besteht die Gefahr, dass es anfängt zu brennen.“
Anfeindungen gegenüber Kommunalpolitikern
Ihre Argumente haben sie noch einmal zusammengefasst und vorab an die Fraktionen geschickt. Von den Kommunalpolitikern reagiert daher keiner überrascht auf die protestierende Runde vor dem Bürgerhaus. Die CDU hatte im Dezember gegen den Standort Rodstücke gestimmt und sich längst solidarisch mit den Anwohnern gezeigt. Das wiederum irritiert Holger Halkenhäuser, Fraktionschef der Freien Wähler. „Es gibt einen demokratischen Beschluss dazu, und jetzt wiegelt die CDU die Leute dagegen auf?“ Denn beim Termin vor Ort habe die CDU die Bewohner der Rodstücke klar aufgefordert, sich gegen die Entscheidung des Parlaments zu wehren - „damit die anderen Fraktionen einknicken“. Als Demokrat könne er das nicht verstehen. Dem widerspricht wiederum Ursula Cornelius (CDU). „Natürlich akzeptieren wir den Beschluss, wir wollen die Leute nur in dem Prozess begleiten und haben sie darüber aufgeklärt, dass jeder einzelne Bürger zum Bebauungsplan Stellung nehmen kann.“
Halkenhäuser nimmt allerdings wahr, wie stark sich der Ton bei dem Thema verschärft hat. Einzelne Mitglieder der Freien Wähler würden in der Öffentlichkeit angegangen - oft mit Bemerkungen unter der Gürtellinie. Hintergrund ist, dass die knappe Mehrheit im Parlament auch durch Enthaltungen aus seiner Fraktion zustande kam. „Aber bei uns hat jeder nach seinem Gewissen entschieden, es gibt keinen Fraktionszwang“, sagt Halkenhäuser. Torsten Pfeil etwa hat gegen den Standort Rodstücke gestimmt, wegen der vielen Familien im Gebiet.
Scharfe Kritik gibt’s aber auch an Lothar Ohls (SPD) Äußerung, die Obdachlosen gehörten in die Mitte der Gesellschaft. „Da fühle ich mich auf den Arm genommen, denn die Rodstücke liegen ja völlig abseits“, sagt Roland Kirsch kopfschüttelnd. Ohl glaubt dagegen, dass die Anwohner „gar nicht verstehen, was wir vorhaben: Nur wer unverschuldet obdachlos wurde, soll in den Neubau auf dem Bolzplatz - also alte Menschen und Familien.“ Die problematischen Fälle dagegen würde er gerne auf dem städtischen Grundstück am Bahnhof unterbringen - ganz in der Nähe des Ordnungsamts. „Zudem wird es Betreuer geben, die sich um diese Leute kümmern“, betont der SPD-Mann.
„CDU und FDP hätten das in der letzten Legislaturperiode - ganz bequem mit ihrer Mehrheit - entscheiden können. Wieso ist das nicht passiert?“ Das fragt sich Sabine Hofmann (Grüne). Seit Jahren habe die Verwaltung zig mögliche Standorte vorgelegt, von denen sich manche dann plötzlich doch nicht eigneten. So sei das Thema verschleppt anstatt entschieden worden. Nun liege endlich ein Beschluss vor, der umgesetzt werden müsse. Hofmann und Grünen-Fraktionschef Uwe Koch finden die Idee schlüssig, dass „Ältere und Familien, die ruhig leben, in den Rodstücken in ein schönes Wohnheim kommen“. Wer dagegen etwas habe, könne Einspruch erheben, das sei demokratisch.
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