Bürstadt. „Wir haben hier seit Jahrzehnten einen Brennpunkt. Und jetzt bekommen wir noch einen zweiten?“ Die Anwohner, die sich am Bolzplatz in der Karlsbader Straße treffen, wollen ihrem Ärger Luft machen. Seit Jahrzehnten leben sie mit der Obdachlosenunterkunft in der Görlitzer Straße. Der Bolzplatz ist nur wenige Meter weg, und dort soll die neue Unterkunft für Wohnungslose entstehen. Zumindest gab es im Bauausschuss eine Mehrheit für diesen Standort. Entscheiden muss es die Stadtverordnetenversammlung, die am Mittwoch, 20. Dezember, um 19.30 Uhr im Bürgerhaus öffentlich tagt.
Dann wollen die Nachbarn dabei sein und miterleben, ob wirklich der Beschluss für die Rodstücke fällt - beziehungsweise in ihren Augen ganz sicher „gegen die Rodstücke“. Gisela Zimmermann findet das ungeheuerlich. „Das ist eins der kleinsten Wohngebiete hier.“ Jürgen Kilian nickt. „Klein aber fein“, fügt er hinzu. Er erinnert sich gerne an die frühen Bewohner der beiden städtischen Häuser in der Görlitzer Straße. „Das waren kinderreiche Familien, die eine große Wohnung brauchten.“ Kilian fallen direkt Namen ein, auch Friedel Kleber und Reiner Mecky erinnern sich. „Reis, Ofenloch und Münch hießen sie. Die Frau Reis hat oft geputzt. Überhaupt haben die Ordnung gehalten. Normale Leute halt.“ Anders als jetzt.
Viele mit Suchtproblem
„Einer hat sein Balkongeländer als Toilette benutzt“, erzählt Kilian. Quasi direkt in den Garten darunter gepinkelt. „Was die aus dem Fenster werfen“, sagt ein anderer kopfschüttelnd. „Wie oft liegen hier Scherben“, sagt Gisela Zimmermann aufgebracht. Sie hat zwei kleine Kinder. „Wie soll ich denen erklären, warum die manchmal besoffen oder bekifft rumtorkeln und hinfallen?“ Spritzen wurden auch schon gefunden. Ständig gingen Leute ein und aus.
„Bei der Stadt weiß man gar nicht, wer da alles wohnt“, meint Bärbel Hein. „Da ist der Hinz und bringt den Kunz mit“, ergänzt ein anderer. „Die müssten viel mehr betreut werden“, findet Karin Zimmermann. Dass genau das seit bald drei Jahren durch das Diakonische Werk geschieht, hat sie noch nie beobachtet. Doch Reiner Mecky findet schon, dass es etwas besser wurde, seit die beiden Mitarbeiter in die Unterkunft gehen.
Standort seit Jahren umstritten
- Alle Fraktionen im Bürstädter Parlament sprechen sich für eine neue Obdachlosenunterkunft aus. Jede Kommune ist verpflichtet, Wohnungslose unterzubringen. Gestritten wird seit Jahren in Bürstadt jedoch über den Standort.
- In der Görlitzer Straße hat die Stadt in zwei maroden Häusern fast 40 Personen untergebracht. Fast alle sind alkohol-, spiel- oder drogensüchtig - oder alles zusammen, sagen Alexandra Weißhaar und Franz Stehlik vom Diakonischen Werk. Dieses wurde im Frühjahr 2021 mit der Betreuung der Wohnungslosen beauftragt.
- Die Diakonie wünscht sich das Freizeitkickergelände als neuen Standort. Dem stimmt die CDU zu - SPD, Grüne und Freie Wähler aber nicht. Sie wollen das Gelände als Fläche für spontane Treffen und Aktivitäten komplett erhalten. Die CDU will die Anwohner in den Rodstücken endlich entlasten.
- Im Sommer haben SPD und Grüne einen „Ringtausch“ vorgeschlagen: Demnach sollten vorübergehend Wohncontainer auf dem Bolzplatz Karlsbader Straße aufgestellt werden - bis das neue Obdachlosenheim am alten Standort Görlitzer Straße fertig ist. Im Sozial- und im Bauausschuss haben sich die Stadtverordneten aber dann dafür ausgesprochen, den Bolzplatz dauerhaft zu nutzen.
- Der Grundsatzbeschluss zur Errichtung einer Obdachlosenunterkunft soll im Parlament am 20. Dezember, 19.30 Uhr, fallen.
Diese stießen eben auch an ihre Grenzen, weil es sich um psychisch Kranke mit Suchtproblemen handle.
Über den Bolzplatz schlängelt sich ein Trampelpfad in Richtung Wald. Der Rest des großen Areals liegt ungenutzt brach. „Seit Jahrzehnten ist hier nichts mehr gemacht worden“, sagt Jürgen Kilian. Er lebt seit 1963 hier, Mecky zog zwei Jahre später her. Als Kinder haben sie auf dem Bolzplatz oft Fußball gespielt. „Tore gab es damals nicht. Wir haben Äste in den Boden gerammt“, erinnern sich die Männer mit Blick auf die heruntergekommene Fläche. Die Tore kamen später und sind doch längst Schrott. „Wir Nachbarn haben oft selbst Gras gemäht. Damit unsere Kinder kicken konnten.“
Wieso das Areal nicht wieder hergerichtet wird, fragt sich Gisela Zimmermann. „Hier leben so viele Kinder, die das nutzen würden. Wir haben 2016 hier ein Haus gekauft, weil uns die Ruhe und die Nähe zum Wald gefallen haben“, erzählt sie. In vielen Häusern habe es inzwischen einen Generationenwechsel gegeben. Stevie Neuert bestätigt das, er ist Vater eines Babys und wohnt direkt gegenüber vom Bolzplatz. „Ich bin extra aus Mannheim weg - und jetzt soll ich aus dem Fenster auf die Obdachlosen gucken? Da habe ich doch keine Ruhe mehr, wenn ich zur Nachtschicht fahre.“
Zu wenig Rabatz gemacht
Ob da Eidechsen und Frösche auf der verwilderten Fläche leben, überlegen die Nachbarn. Und was überhaupt mit der Ferngasleitung ist, die unterirdisch verläuft? „Deswegen konnten die Container für die Kita Villa Kunterbunt nicht her. Und jetzt geht das auf einmal doch? Für Obdachlose?“ Zimmermann schüttelt den Kopf. Tatsächlich hat das Bauamt das prüfen lassen und im Ausschuss erklärt, dass über der Leitung nichts gebaut werden dürfe - eine Zufahrt oder Parkplätze seien aber durchaus möglich.
„Wir Bewohner haben uns bisher nicht genug beschwert und keinen Rabatz gemacht“, glaubt Jürgen Kilian. In der Steinlache habe das auch funktioniert, da hätten sich die Nachbarn mit Erfolg gewehrt. Ihn ärgert, dass über die Köpfe der Betroffenen hinweg entschieden wird.
Bärbel Hein würde sich zudem wünschen, dass die Obdachlosen in kleineren Einheiten untergebracht werden. „Da leben zu viele an einem Ort“, findet sie. Der auch noch menschenunwürdig ist. „Die heizen mit Radiatoren, und wenn es zu warm wird, reißen sie die Fenster auf“, sagt Mecky. Alle können verstehen, dass die Häuser abgerissen werden sollen. Sie glauben aber nicht, dass was Besseres nachkommt und sprechen daher schon jetzt von zwei Brennpunkten. „Es ist einfach nicht fair, dass wir den ganzen Zinober seit über 30 Jahren aushalten müssen und schon wieder dran sind“, meint Mecky.
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