Soziales

So sind die Zustände in der umstrittenen Unterkunft für Obdachlose in Bürstadt

Zwei marode Häuser in der Görlitzer Straße bieten obdachlosen Menschen in Bürstadt ein Dach über dem Kopf. Die Wohnsituation soll verbessert werden. Der geplante Standort der neuen Unterkunft gefällt nicht allen

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Sandra Bollmann
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Blick in eine der Wohnungen: Das winzige Bad nutzen drei Personen. Durch den Vorhang geht es in Gemeinschaftsraum und Küche. © Berno Nix

Bürstadt. Von außen sehen die beiden Häuser in der Görlitzer Straße gar nicht so schlimm aus. Der Garten wirkt ganz freundlich mit den vielen Fahrrädern und den Bierbänken auf dem Gras. Allerdings sind die Gebäude so alt und marode, dass darin eigentlich niemand mehr wohnen kann. Und dennoch sind hier 40 Menschen untergebracht, die sonst auf der Straße stehen würden.

„Es ist einfach unwürdig, hier jemanden einzuweisen“, sagt Franz Stehlik. Der Mitarbeiter der Diakonie betreut die Bewohner der beiden Häuser seit rund einem Jahr - mit einer halben Stelle im Auftrag der Stadt. Inzwischen hat er eine ganz gute Vertrauensbasis zu den Leuten aufgebaut, erzählt er. Und das sei auch wichtig, um helfen zu können.

Von außen wirken die Obdachlosenunterkünfte ein wenig verwahrlost, aber nicht weiter auffällig. Erst im Inneren offenbaren sich die schlimmen Zustände. © Berno Nix

Wir sind zur Ortsbegehung verabredet, wollen das Haus und die schlimmen Zustände, über die seit Jahren heftig diskutiert wird, mit eigenen Augen sehen. Keine Heizung, Schimmel an den Wänden - völlig unzumutbar, bemängeln Betreuer und Stadtverwaltung schon lange. Die Häuser müssten eigentlich schon längst abgerissen und ersetzt sein. Gescheitert ist das Ganze bislang daran, dass sich die politischen Parteien nicht auf einen neuen Standort einigen konnten. Inzwischen ist Bewegung in die Sache gekommen. Am 20. Dezember könnte tatsächlich die Entscheidung in der Stadtverordnetenversammlung fallen. Aber auch dann dürfte es noch eine ganze Weile dauern, bis der Ersatzbau steht und die Görlitzer Straße nicht mehr gebraucht wird.

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Bürstadt: Unterkunft für Obdachlose kaum noch bewohnbar

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Sandra Bollmann
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Ein Bewohner kommt uns entgegen und grüßt höflich. Wir gehen hinein. Die Briefkästen sind komplett herausgerissen, Mahnungen, Wochenblätter und Werbung türmen sich zu einem mittleren Durcheinander auf. Im Treppenhaus sammeln sich die Spinnweben in den Ecken. Franz Stehlik klingelt an einer der Türen. Der ältere Herr ist ihm gut bekannt, er lässt uns rein. Nicht in sein Zimmer, aber in die Wohnung: Ein schmaler Flur, drei Türen sind geschlossen. Wir sehen in ein winziges Bad, das den Fliesen nach aus den 60ern stammen dürfte. Die Toilette ist immerhin extra. Im Gemeinschaftsraum daneben hat sich allerlei Krimskrams zusammengefunden, in der Küche sammeln sich leere Bierflaschen. Ein bisschen frische Luft wäre jetzt gut.

Heizlüfter in Fußballgröße

Der echte Schock kommt allerdings erst, als Stehlik die Tür zu einem Zimmer öffnet, in dem sich gerade niemand aufhält. Ein einzelnes Bett steht darin. Ein Mini-Schränkchen. Und ein Heizlüfter in etwa Fußball-Größe. Hier soll jemand wohnen? Der Bodenbelag ist abgewohnt und voller Flecken. An der Wand klebt mit letzter Kraft eine uralte Tapete, einige Flächen sind grob verputzt. „Hier ist Schimmel entfernt worden“, erläutert Stehlik. Das Zimmer ist tatsächlich jemanden zugewiesen. Wo sich der Mann gerade aufhält, weiß der Diakonie-Mitarbeiter allerdings nicht. „Die Leute sind freiwillig hier“, sagt er. Die Stadt ist zwar verpflichtet, allen Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben, eine Unterkunft zu bieten. „Aber man kann das auch ablehnen“, macht Stehlik klar. Wer lieber auf der Straße lebt, macht das eben auch.

Ein einzelnes Bett steht in einem abgewohnten Zimmer. © Berno Nix

Wir klingeln an einer zweiten Wohnungstür und werden von einem Mann eingelassen, der uns freundlich begrüßt. Auch hier steht ein Zimmer leer, der Rollladen ist schräg auf Halbmast heruntergerutscht, der Balkon so baufällig, dass man lieber drin bleibt.

Alle so nehmen, wie sie sind

„Hier wird gerade renoviert“, erzählt der Sozialarbeiter. Ohnehin sieht es in dieser Wohnung einen Hauch freundlicher aus. Es gibt ein wenig Deko an den Wänden und keinerlei abgestandene Gerüche. In der Unterkunft lebt er schon seit neun Jahren, berichtet unser Gegenüber. Wie es ihm so geht hier, in diesem Haus, wollen wir wissen. Der Mann winkt ab und schüttelt den Kopf. „Ich halte mich immer raus. Und mache die Türe zu.“

Gerade hat er gute Aussichten auf einen Job als Fahrer. Also heißt es, Daumen drücken. Stehlik nickt. „Ziel ist es, so schnell wie möglich wieder auszuziehen.“ Einigen Bewohnern könnte das - mit ein bisschen Hilfe - auch durchaus gelingen. „Aber der Wohnungsmarkt ist leer gefegt.“ Andere brauchen dagegen so viel Unterstützung, dass dieses Ziel in weite Ferne rückt. „Wir haben es mit schwierigen Menschen zu tun, viele sind sucht- oder auch psychisch krank. Oder beides“, erklärt der erfahrene Betreuer. Es geht viel um Schulden, auch wenn die Rente nicht schlecht - aber bis zur Monatsmitte eben ausgegeben - ist. Die Probleme sind so unterschiedlich wie die Hausbewohner: einige sehr nett und liebenswert. Andere tauchen ab, wenn der Mann von der Caritas kommt.

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Geplante Obdachlosenunterkunft in Bürstadt sorgt für Ärger

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Corinna Busalt
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Stehlik zuckt die Schultern. „Ich muss alle so nehmen, wie sie sind.“ Er sieht seine Aufgabe darin, tatsächlich ein „Gutmensch“ zu sein, der nicht kommt, um zu schimpfen, sondern Hilfe anbietet, Formulare erklärt, den Fahrdienst zum Job-Center und zur Tafel übernimmt oder einfach nur zuhört. „Wir lachen sehr viel zusammen“, erzählt er. Manchmal gibt es aber auch Tränen.

Stehlik ist so oft vor Ort, wie es seine halbe Stelle zulässt. Sinnvoller sei ein Büro in der Unterkunft. Im Neubau sollte das eingeplant werden. „Dann wäre auch das mit der Post geregelt.“ Wie es funktionieren kann, zeige eine Einrichtung in Bensheim, in der Fehlheimer Straße - mit einem Büro, das regelmäßig besetzt ist und einen Hausmeister hat, der stundenweise vor Ort ist. „Das läuft sehr gut“, sagt Stehlik.

Zahlreiche Polizeieinsätze

Als idealen Ort für einen Neubau sieht er in Bürstadt allerdings das Freizeitkickergelände - viel eher als den Bolzplatz, der im Gespräch ist. Das haben Stehlik und seine Kollegin Alexandra Weißhaar bereits im zuständigen Fachausschuss deutlich gemacht. Auf dem Gelände wäre auch Platz genug für einen Garten, den die Bewohner unter Anleitung pflegen könnten. Und für die Tafel, für die ebenfalls ein neuer Standort gesucht wird. Noch ein Vorteil: Die Unterkunft wäre weiter weg von der Wohnbebauung.

Franz Stehlik, Mitarbeiter der Diakonie, betreut die Bewohner der beiden Häuser seit rund einem Jahr - mit einer halben Stelle im Auftrag der Stadt. © Berno Nix

Dass die Nachbarn rund um die Görlitzer Straße genervt sind, kann der Sozialarbeiter gut verstehen. Tatsächlich müsse häufig die Polizei anrücken, weil es teilweise heftige Streitereien unter den Bewohnern gebe. Ja, es sei auch schon jemand aus dem Fenster geflogen, bestätigt er. „Aber inzwischen ist es besser geworden.“ Das hätten auch einige Anwohner eingeräumt. Die Betreuung und Unterstützung zeige Wirkung. Jetzt müsste sich eben dringend die Wohnsituation verbessern: „So kann es nicht bleiben“, sagt Stehlik. Es sollte einfach kein Mensch so leben müssen. 

Besuch ist erlaubt, Übernachtung verboten

In der Obdachlosenunterkunft in der Görlitzer Straße sind etwa 40 Menschen untergebracht. In den beiden Gebäuden gibt es je sechs Wohnungen, in denen drei Personen Platz finden. Die meisten sind von Männern bewohnt, aber auch einige Frauen und zwei Familien leben dort.

Eingewiesen werden Menschen, die sprichwörtlich auf der Straße stehen, beispielsweise nach einer Räumung. Die Unterlagen mit Personendaten sind bei der Stadt hinterlegt. Besucher sind erlaubt, übernachten dürfen allerdings nur die gemeldeten Bewohner.

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Schimmel in Bürstädter Obdachlosenunterkunft

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Sandra Bollmann
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„Wir wissen genau, wer sich hier aufhält“, widerspricht der von der Stadt beauftragte Betreuer Franz Stehlik Vermutungen aus der Bevölkerung, das Rathaus habe den Überblick verloren.

Die Unterkünfte sind völlig marode, eine Sanierung gilt als unrentabel. Seit Jahren streiten die politischen Fraktionen in Bürstadt über einen neuen Standort.

Jetzt scheint eine Lösung in Sicht. Im Bauausschuss haben - bis auf die CDU - alle Fraktionen für den Bolzplatz in der Karlsbader Straße gestimmt. Hier soll mit Wohncontainern schnell eine neue, zeitgemäße Obdachlosenunterkunft entstehen. Die CDU hält weiter an ihrem Vorschlag Freizeitkickergelände fest.

Die Entscheidung soll in der öffentlichen Sitzung der Stadtverordneten am Mittwoch, 20. Dezember, 19.30 Uhr fallen.

Redaktion Redakteurin "Südhessen Morgen", Schwerpunkt Bürstadt

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