Ludwigshafen. Joachim Paul unternimmt gar nicht erst den Versuch, irgendetwas zu verbergen. Der AfD-Kandidat, der sich am 21. September für das Amt des Oberbürgermeisters in Ludwigshafen zur Wahl stellt, zeigt sich offen mit rechtsextremen Gesinnungskollegen und offenbart dabei nicht nur Kontakte zu den ideologischen Vordenkern rechtsradikaler Gruppierungen in Mitteleuropa. Erst Anfang Juli präsentierte er sich bei der sogenannten Sommerakademie im thüringischen Schnellroda mit Martin Sellner und veröffentlichte das Foto auf seinem Instagram-Kanal.
Der österreichische Rechtsextremist hat im Frühjahr 2024 ein Buch zur „Remigration“ veröffentlicht. Seine Skizzen, wie man Afghanen schnellstmöglich außer Landes bringt, sind schon älter als das Geheim-Treffen von Potsdam im November 2023. Damals wurde öffentlich, dass selbst Inhaber einer deutschen Staatsangehörigkeit sich nicht sicher fühlen sollten, eines Tages ausgewiesen zu werden. „Remigration“ wurde zum Unwort des Jahres 2023 gewählt. Sellner war bis 2023 Sprecher der Identitären Bewegung Österreich. Er propagiert rassistische, völkische und antisemitische Positionen. Mehrere Staaten haben gegen Sellner Einreiseverbote verhängt. Das Einreiseverbot nach Deutschland ist inzwischen wieder aufgehoben.
Schnellroda ist ein geistiges Zentrum der Rechten in Deutschland
Joachim Paul, der sich selbst als rechts, aber nicht rechtsextrem bezeichnet, hat sichtlich kein Problem damit, immer wieder mit diesen Leuten in Verbindung zu sein. Auf die Frage, warum er in Schnellroda gewesen sei, antwortet Paul:
„Ich lese viel und gerne und habe mich über die Neuerscheinungen und Autoren des Antaios-Verlags informiert.“ Außerdem habe er sich die Diskussion zwischen Stefan Scheil (Geschichtsrevisionist und Kreistagsmitglied im Rhein-Pfalz-Kreis) und Dominik Kaufner angesehen. Schnellroda, eine Gemeinde mit nur einigen Dutzend Einwohnern, gilt als ein geistiges Zentrum der Rechten in Deutschland. Die Figur, um die sich dort alles dreht, heißt Götz Kubitschek. Der Publizist und Politaktivist pflegt Verbindungen zu Rechten in ganz Europa. Oft geht es um die Umdeutung von Geschichte.
Seit 2002 bis zur Auflösung im vergangenen Jahr war das Rittergut Schnellroda Sitz und Veranstaltungsort des laut Verfassungsschutz „gesichert rechtsextremen“, in privater Trägerschaft betriebenen Instituts für Staatspolitik (IfS). Johannes Thiedig, Vorsitzender des Ludwigshafener AfD-Kreisverbands, spielt die Begegnungen Pauls in dieser neurechten Denkfabrik herunter und verortet sie mehr oder weniger im privaten Bereich des OB-Kandidaten. Mit der AfD habe das wenig zu tun. Er selbst halte sich da heraus.
Fakt ist jedoch, dass die Bande zwischen Schnellroda und der AfD seit mehr als zehn Jahren eng sind. Der als rechtsextrem geltende Vorsitzender der AfD-Fraktion in Thüringen, Björn Höcke, wurde im Jahr 2015 bei einem Besuch dort zitiert. Er nannte Kubitscheks Rittergut „eine Oase der geistigen Regeneration“, es sei „ein Labsal“, wenn er hier sein dürfe.
Der Ludwigshafener OB-Kandidat Joachim Paul sieht das womöglich ähnlich. Je eher man die Spuren des 55-Jährigen innerhalb der Bewegung zu lesen imstande ist, desto klarer wird, dass es die Ludwigshafener mit einem Hardliner zu tun bekommen könnten, sollten sie ihm mehrheitlich ihre Stimme geben. Paul sagte zwar vergangene Woche im Interview mit dieser Redaktion, dass er Gewalt ablehne, de facto bewegten sich noch im vergangenen Jahr in seinem Umfeld aber Menschen, die nach Recherchen des Magazins Report Mainz in den 90er Jahren in „aggressiv-kämpferischer Weise“ gegen die Verfassung agiert hätten.
Arbeitet ein früherer Schläger für den Landtagsabgeordneten?
Genannt wird in einem Beitrag etwa Norbert W. Sollte dieser Mann noch immer Mitarbeiter Pauls sein, dann bewegt sich ein Mann, der mehrmals wegen schwerer Körperverletzung verurteilt wurde, in unmittelbarer Nähe des rheinland-pfälzischen Landtags, wo Paul seit 2016 für die AfD sitzt. Der OB-Kandidat will jedoch nichts sagen: „Ich äußere mich grundsätzlich nicht zu aktuellen Mitarbeitern oder jenen, die für mich in der Vergangenheit gearbeitet haben. Diese sind keine Politiker, sondern Arbeitnehmer, die ein Recht auf den Schutz ihrer persönlichen Daten haben“, schreibt er auf Anfrage. Norbert W. war ein bundesweit bekannter Rechtsextremist, Teil einer Burschenschaft und der Skinhead-Bewegung. Die „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP), für die W. aktiv war, wurde 1995 verboten.
Paul, ebenfalls Burschenschaftler, pflegt noch weitere Kontakte. Wie er uns in der vergangenen Woche im Interview mit dieser Redaktion sagte, arbeite er für das alternative Medium „Freilich“. Dieses existiert seit 2018 und gilt als Nachfolger der rechtsextremen und antisemitischen „Aula“. Herausgegeben wird „Freilich“ vom Freiheitlichen Akademikerverband (FAV) und geleitet von Heinrich Sickl, der enge Verbindungen zur Identitären Bewegung pflegt und früher für die FPÖ als Lokalpolitiker unterwegs war. Anfang der 1990er-Jahre war Sickl in der verbotenen Neonazi-Gruppe „Nationalistische Front“ tätig.
Der Fokus des Magazins liegt auf Themen wie „Identitätspolitik“, „Migrationspolitik“ und „Islamkritik“. Wer sich einliest, erkennt schnell, dass es sich um eine Plattform handelt, die Autoren aus dem rechtsextremen Spektrum eine Öffentlichkeit gibt. Wie österreichische Medien berichten, kommt die finanzielle Unterstützung durch Inserate seitens der FPÖ. Das sozialdemokratisch geprägte Magazin Kontrast schrieb vor der Schließung des Instituts für Staatspolitik in Schnellroda: „Diese Verbindung zwischen Freilich und der FPÖ wird durch die enge Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Staatspolitik (IfS) und die aktive Werbung durch rechtsextreme Blogs aus Deutschland wie ‚Sezession‘ noch verstärkt.“
Anti-Paul-Netzwerk protestiert am Dienstagmorgen vor Wahlausschuss
Anfragen zu Joachim Paul, seinen Kontakten zur rechtsextremen Szene und seinem angeblichen Ämterverbot innerhalb der AfD blieben am Montag unbeantwortet. Das Schiedsgericht verwies auf Nachfrage an den Pressesprecher Robin Classen, der jedoch nicht antwortete. Unterdessen hat sich in den vergangenen Wochen in Ludwigshafen ein „Netzwerk gegen Joachim Paul“ gegründet, das den Koblenzer AfD-Politiker unter dem Verdacht mangelnder Verfassungstreue sieht und daher fordert, Joachim Paul nicht als Kandidat zur Oberbürgermeister-Wahl in Ludwigshafen zuzulassen.
Das Netzwerk habe guten Zulauf, berichtet Mitinitator Hans-Uwe Daumann und habe für heute Dienstag, 5. August, ab 10.30 Uhr, eine Kundgebung „gegen die Wählbarkeit von Joachim Paul“ am Ernst-Bloch-Zentrum angemeldet. Ab 11.30 Uhr wird im Ernst-Bloch-Zentrum der Wahlausschuss der Stadt Ludwigshafen tagen. Dort soll die Forderung platziert werden, Paul nicht zur Wahl zuzulassen. Er biete nicht die Gewähr, jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten, heißt es mit einem Zitat aus der Gemeindeordnung Rheinland-Pfalz.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar AfD-Kandidat ohne Scheu