Rhein-Neckar. Als im Jahr 2016 mit Anne Wenk eine Stabstelle für Integration im Landratsamt des Rhein-Neckar-Kreises eingerichtet wurde, da waren die Voraussetzungen noch ganz andere als heute. Zahlreiche Menschen kamen im Zuge der Flüchtlingskrise in die Region, was die Verwaltung vor große Herausforderungen stellte. „Damals gab es in Sachen Integrationsarbeit noch wenige Strukturen und die Netzwerke waren noch nicht so stark“, erinnert sich Wenk im Gespräch mit dieser Redaktion. Aufgabe des Kreises sei es unter anderem gewesen, die Kommunen zu unterstützen und die zugewanderten Menschen in Sprachkurse und letztlich in den Arbeitsmarkt zu bringen. „Geflüchtete waren definitiv unsere Hauptzielgruppe“, so Wenk.
Spannungen abbauen
Inzwischen ist viel passiert, die Arbeit mit Geflüchteten nimmt immer noch einen wesentlichen Teil ein, doch der Kreis verfolgt inzwischen einen ganzheitlicheren Ansatz. „Unsere Integrationsangebote richten sich an alle Menschen, die Bedarfe haben. Niemand soll durchs Raster fallen.“ 2018 wurde ein Integrationskonzept aufs Gleis gesetzt, dessen Fortschreibung über fünf weitere Jahre der Kreistag gerade beschlossen hat. Wenks Stabsstelle heißt mittlerweile nicht umsonst Integration und gesellschaftliche Entwicklung.
„Unsere Maßnahmen werden nicht an einer bestimmten Gruppe ausgerichtet“, erläutert Wenk. „Diesen Wandel versuchen wir immer mehr hinzubekommen.“ So sollen soziale Spannungen in der Gesellschaft möglichst abgebaut werden, die entstehen könnten, wenn bestimmte Gruppen explizit gefördert werden, andere aber nicht. „Integration ist kein Thema mehr, das sich nur um geflüchtete Menschen dreht. Wir müssen Integration immer mehr als Aufgabe der gesellschaftlichen Entwicklung begreifen“, sagte aus diesem Grund auch Landrat Stefan Dallinger jüngst bei einer Integrationskonferenz des Kreises in Lobbach. Es sei wichtig, dass alle Akteurinnen und Akteure im Gespräch miteinander bleiben.
Für die kommenden fünf Jahre ist der Zielansatz im Integrationskonzept laut Anne Wenk ganz neu gewählt worden. „2018 haben wir ganz konkrete Maßnahmen beschlossen, die umgesetzt werden sollten. Die Arbeit hat aber gezeigt, dass das nichts bringt, weil der Wandel so groß ist und sich die Rahmenbedingungen so schnell ändern. Wer hätte beispielsweise 2018 an einen Krieg in der Ukraine gedacht?“Deshalb seien nun statt konkreter Projekte vielmehr Wunschzustände definiert worden, denen man sich mit untergeordneten Handlungszielen annähern wolle.
Mehrsprachigkeit als Ressource
Dabei gibt es unterschiedliche Handlungsfelder, etwa Ausbildung und Arbeit, Kinder-, Jugend- und Familienbildung oder Antidiskriminierung und Bekämpfung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Ein weiterer wichtiger Bereich ist das Thema Sprache. Hier hat sich der Rhein-Neckar-Kreis zum Ziel gesetzt, Mehrsprachigkeit als Ressource zu betrachten. „Deutschsprachförderung ist weiterhin sehr wichtig, denn sie trägt zu einem besseren Zusammenleben bei. Gerade bei neu Zugewanderten wollen wir aber vermehrt das sprachliche Wissen nutzen“, erläutert die Integrationsbeauftragte. Damit verbunden sei die Weitergabe von kulturellem Wissen.
Im Handlungsfeld Ausbildung und Arbeit soll bei der Anwerbung von ausländischen Fachkräften künftig noch mehr die Situation im Herkunftsland berücksichtigt werden. „Konkret soll durch die Entnahme der Personen aus den Arbeitsmärkten in den Herkunftsländern kein Schaden entstehen“, so Wenk. Die Kreisverwaltung selbst will sich weiter öffnen, diverser und vielfältiger werden. „Wir wollen die bestmöglichen Menschen finden, um bei uns zu arbeiten. Und dabei sollen sie sich wohlfühlen.“
So viele ausländische Menschen leben im Kreis
Dass ein schlüssiges Integrationskonzept dringend erforderlich ist, zeigt ein Blick in die Statistik. 81 393 ausländische Personen leben derzeit im Rhein-Neckar-Kreis, das sind 14,6 Prozent der Gesamtbevölkerung. Vor sechs Jahren waren es noch 67 099 Ausländer, die 12,3 Prozent der Kreisbevölkerung ausmachten. Damit ist der Anteil im Zeitraum seit 2017 im gleichen Maße gestiegen wie in Deutschland insgesamt (12,2 auf 14,6 Prozent). In Baden-Württemberg liegt der Ausländeranteil mit 18,1 Prozent deutlich über dem Bundesschnitt.
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Nicht zuletzt durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine kamen im vergangenen Jahr wieder mehr Menschen aus dem Ausland in den Kreis. Die Integration der von dort Geflüchteten ist nach Wenks Angaben gut gelungen. „Durch ihren Status hatten sie auch eine gute Ausgangssituation, mussten kein komplettes Asylverfahren durchlaufen und haben schnell Zugang zu Sprachkursen erhalten“, berichtet sie.
Wie viele der Ukrainerinnen und Ukrainer letztlich dauerhaft Kreisbewohner bleiben, sei aber noch unklar. Eine bundesweite Erhebung habe jüngst ergeben, dass 44 Prozent in Deutschland bleiben wollen. „Das hängt aber natürlich maßgeblich von der weiteren Entwicklung des Krieges ab.“
Migrantische Expertise nutzen
Damit Integration gut gelingen kann, ist nicht nur die Mehrheitsgesellschaft gefordert, sondern natürlich auch die Zugewanderten selbst. „Dabei dürfen wir die Expertise der Migranten nicht aus dem Blick verlieren“, betont Wenk und verweist auf zahlreiche Vereine und Initiativen, in denen sich Menschen mit Migrationsgeschichte für die Integration von Neuankömmlingen im Rhein-Neckar-Kreis einsetzen.
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